Warum Jesus das wahre Opferlamm ist
"Haec sunt enim festa paschalia" singen Christen in der Osternacht mit dem auf Latein verfassten Osterlob Exsultet – "Gekommen ist das heilige Osterfest". Im Deutschen nicht mehr erkenntlich trägt dieses höchste aller christlichen Feste weiterhin den Namen des alttestamentlichen Pessachfestes, an dem bis heute das Judentum der Befreiung aus Ägypten gedenkt. In den beiden das Christentum prägenden Kirchensprachen Latein und Griechisch wird Ostern pascha und πάσχα genannt. Beide Worte sind eine Transkription aus dem zur Zeit Jesu im Heiligen Land gesprochenen Aramäisch, in dem פסחא (gesprochen: pas-cha) dieses im Neuen Testament am häufigsten genannte jüdische Fest bezeichnet. Nicht nur wird das jüdische Pessachfest häufig im Neuen Testament genannt. Sondern gemäß der Darstellung der Evangelien nach Matthäus, Markus und Lukas feierte Jesus sein letztes Abendmahl mit seinen Jüngern als ein Pessachfest: "Mit großer Sehnsucht habe ich danach verlangt, vor meinem Leiden dieses Paschamahl mit euch zu essen", sagt Jesus in Lukas 22,15 zu seinen Jüngern.
Wer verschiedene Bibelübersetzungen vergleicht, wird merken, dass in einigen Ausgaben das griechische Wort πάσχα mit "Pessachmahl" und in anderen mit "Pessachlamm" wiedergegeben wird. Weder die eine noch die andere Übersetzung ist falsch, sondern der Text in Exodus 12, der die Vorschriften für das Fest beinhaltet, bezeichnet sowohl das Mahl als auch das zu schlachtende Tier. In der Aufforderung Gottes an Mose in Exodus 12,8-11 heißt es: "Noch in der gleichen Nacht soll man das Fleisch [des geschlachteten Lammes] essen. Über dem Feuer gebraten und zusammen mit ungesäuertem Brot und Bitterkräutern soll man es essen. [...] So aber sollt ihr es essen: eure Hüften gegürtet, Schuhe an euren Füßen und euren Stab in eurer Hand. Esst es hastig! Es ist ein Pessach für den HERRN."
Was meint der Begriff "Pessach"?
Hier kann der hebräische Begriff פסח (gesprochen: pessach) sowohl das gesamte Mahl als auch nur das geschlachtete Lamm bezeichnen. In dem folgenden Befehl Moses an die Ältesten des Volkes wird jedoch deutlich, dass mit dem Begriff "Pessach" das zu schlachtende Lamm bezeichnet wird: "Holt Schafe oder Ziegen für eure Sippenverbände herbei und schlachtet das Pessach!" Und in Exodus 12 wird indirekt auch eine Erklärung des Begriffes gegeben, die sich hinter dem deutschen Wort "vorübergehen" in Vers 13 verbirgt.
Das erste Pessach begeht Israel schon vor der Befreiung aus Ägypten. Kurz bevor Gott die Ägypter mit der zehnten und letzten Plage schlägt und der Pharao Israel aus Ägypten hinausziehen lässt, kommt die Dramatik scheinbar zu einem Stillstand. Und Gott befiehlt seinem Volk die Feier des ersten Pessach, das in Zukunft der Erinnerung an die bevorstehende Befreiung aus der Sklaverei dienen soll. In der Erzählung kommt dem Pessach jedoch nicht nur eine Relevanz für die künftigen Generationen zu, sondern es ist Teil der Erzählung der Tötung aller Erstgeburten Ägyptens durch Gott.
Gott handelt gegen die Feinde seines Volkes, während Israel einen Gottesdienst feiert. Das Blut des Pessachlamms markiert die Trennung zwischen Heil und Unheil sowie zwischen dem Gottesvolk und seinen Unterdrückern: "Wenn ich das Blut sehe, werde ich an euch vorübergehen und das vernichtende Unheil wird euch nicht treffen, wenn ich das Land Ägypten schlage", mit diesen Worten begründet Gott die Forderung das Blut des Pessachlammes an die Türrahmen zu streichen – und mit diesen Worten wird das Wort Pessach erklärt. Dass Gott an den Häusern der Israeliten "vorübergehen wird" ist die Übersetzung des hebräischen Verbes פסח, von dem sich der Name des Festes ableitet. Dessen Grundbedeutung ist "zurückstoßen" und bedeutet in diesem Fall ein Abwenden der tödlichen Gefahr. Der Tod des Lammes wird so zum Zeichen für das Leben.
"Schafft den alten Sauerteig weg, damit ihr neuer Teig seid!"
Anders als in den restlichen Evangelien feiert Jesus gemäß Johannes das letzte Abendmahl nicht als Pessachmahl, sondern er stirbt in der Stunde, als die Pessachlämmer für die in der Nacht folgende Pessachfeier geschlachtet werden (siehe Johannes 19,14). So identifiziert auch Paulus Jesus direkt mit dem geschlachteten Tier: "Schafft den alten Sauerteig weg, damit ihr neuer Teig seid! Ihr seid ja schon ungesäuertes Brot; denn als unser Paschalamm ist Christus geopfert worden." (1 Korinther 5,7). Mit diesen Worten setzt er die Bedeutung der in Ägypten geschlachteten und das Leben der Israeliten rettenden Lämmer mit dem endgültige Erlösung schaffenden Tod Jesu am Kreuz gleich.
Und darüber hinaus knüpft er noch an eine zweite Pessachtradition an. Gemäß Exodus 12 sollen die Israeliten mit dem Pessachlamm ungesäuertes Brot essen. Eine ausführliche Begründung dafür wird im Festkalender im Buch Deuteronomium gegeben: "Du sollst nichts Gesäuertes dazu essen. Sieben Tage lang sollst du ungesäuertes Brot dazu essen, die Speise der Bedrängnis, denn in Hast bist du aus Ägypten gezogen, damit du dein ganzes Leben lang des Tages gedenkst, an dem du aus Ägypten gezogen bist." Das ungesäuerte Brot verweist sowohl auf das Elend Israels als Sklaven in Ägypten als auch auf die plötzliche Wende in einer Nacht von der Existenz als Sklaven hin zur Freiheit. Paulus verwendet das Bild vom Sauerteig, der in der griechischsprachigen Welt auch ein Sinnbild für Fäulnis, Zersetzung und Tod war, um vor der Ansteckungsgefahr vor dem Bösen zu warnen und in dem Bild des ungesäuerten Brotes einen neuen Anfang – wie in der Nacht des ersten Pessach – zu verdeutlichen.
Wenn in der katholischen Kirche bei der Kommunion die ungesäuerte Hostie als "Leib Christi" ausgeteilt wird, dann ist dies nicht nur ein Gedenken an das letzte Abendmahl Jesu sowie seine Kreuzigung, sondern auch an das Pessachfest. Mit der Aufforderung "Tut dies zu meinem Gedächtnis!" hat Jesus im Evangelium nach Lukas jedoch scheinbar die Feier des Pessach durch die Vergegenwärtigung des letzten Abendmahls ersetzt (siehe Lukas 22,19). Die ersten Christen feierten Pessach nicht mehr, sondern: "Wir, die vom Neuen Bund, vollziehen unser Pascha an jedem Herrentag; wir sättigen uns immer am heilbringenden Leib und haben am Blut des Lammes teil ...", schrieb der Kirchenvater Eusebius von Cäsarea im dritten Jahrhundert.
Kontinuität zwischen christlichem Osterfest Pessachfest
Und doch stehen das christliche Osterfest und das Pessachfest aus christlicher Perspektive in einer Kontinuität. In einer alten jüdischen Tradition, dem palästinensischen Targum zu Exodus 12,42, wird die Nacht des ersten Pessachs drei weiteren Heilsnächten zugeordnet: der Nacht der Schöpfung, einer Nacht der Offenbarung an Abraham sowie der Hoffnung auf eine Nacht, in der Gott die Erlösung der Welt vollbringen wird. In diesem Ineinanderfügen von Heilsnächten wird Israels Wachen in der Hoffnung auf die Rettung durch Gott in Ägypten kommentiert: "Eine Nacht des Wachens war es für den HERRN, als er sie aus dem Land Ägypten herausführte. Als eine Nacht des Wachens für den HERRN gilt sie den Israeliten in allen Generationen" (Exodus 12,42).
In der Osternacht teilen Christen diese Hoffnung und warten auf das zweite und endgültige Kommen Jesu Christi. An die theologische Hoffnung, dass die Nacht des Pessach, der Befreiung aus Ägypten, auf die Erlösung der Welt verweist, knüpfen Christen an, wenn sie in der Osternacht im Exsultet singen: "Gekommen ist das heilige Osterfest, an dem das wahre Lamm geschlachtet ward, dessen Blut die Türen der Gläubigen heiligt und das Volk bewahrt vor Tod und Verderben."