Kolumne: Mein Religionsunterricht

"Wo wohnt Gott?": Eine schwierige Frage mit konkreter Antwort

Veröffentlicht am 10.05.2019 um 14:45 Uhr – Lesedauer: 

Wentorf ‐ Gemeinsam mit seinen Schülern fragt sich Lehrer Heinz Waldorf im Religionsunterricht, "wo" Gott wohnt. Um auf diese schwierige Frage eine Antwort zu finden, schauen sie in die Lebensläufe der Heiligen. Und tatsächlich: Besonders bei Martin von Tours oder Elisabeth von Thüringen werden sie fündig...

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Im sechsten Schuljahr denken wir immer darüber nach, wo Gott wohnt. Wie das Amen in der Kirche kommen stets zu Beginn naheliegende Antworten. "Überall!", wissen die einen. Die andern sind sich sicher: "Im Himmel!" Nun ist "überall" stets auch "nirgends", womit dann schnell klar wird, wie wenig gewonnen ist mit dieser Antwort. Und was und wo der Himmel sei, vermag auch niemand zu sagen. Grund genug, sich jedes Jahr erneut auf die Suche nach dem Ort Gottes zu begeben. Ich greife auf die Reihe "Der Ort Gottes" im Religionsbuch für das 5./6. Schuljahr von Hubertus Halbfas zurück, und zwar auf die alte Ausgabe. Dort wird noch der Bezug zum im fünften Schuljahr bereits präsenten Martin von Tours hergestellt. Die Legenden, die sich um Elisabeth von Thüringen ranken, erscheinen in ihrer ganzen Breite und Fülle. Und die Kinder können Bekanntschaft mit dem faszinierenden Eustachius machen, der vor seiner Bekehrung Placidus hieß – freilich unter Verwendung des nicht minder faszinierenden Gemäldes von Antonio Pisanello (1395-1455) aus der Londoner National Gallery.

Das "Überall" des Anfangs wird sehr konkret

Wir versuchen den Ort Gottes in den alten Legenden und im Leben der Heiligen, über die erzählt wird, zu finden. Die Kinder bereiten Referate vor und lernen dabei noch eine Reihe anderer vorbildlicher Menschen kennen, etwa Janusz Korczak oder Martin Luther King. Wo Gott sich finden lässt, erarbeiten wir uns mit Hilfe der Legende, die von Elisabeth erzählt wird. Elisabeth soll einmal einen Aussätzigen in ihr Ehebett gelegt haben. Als der Landgraf davon hörte, soll er wutschnaubend ins Gemach gestürmt sein, die Bettdecke zurückgeschlagen und den gekreuzigten Jesus erblickt haben. Jeder kennt den Fuchs, der dem kleinen Prinzen sein Vermächtnis mitgibt, man sehe nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche sei für die Augen unsichtbar. Das wissen die Kinder im sechsten Schuljahr allerdings bereits, sodass ich die so existentielle Unterscheidung zwischen dem inneren und dem äußeren Auge hier nur quasi nebenbei in Erinnerung rufe. Wenn wir nach dem Ort Gottes fragen, haben wir in der Legende einen Anhaltspunkt. Gott wohnt in denen, die Hilfe brauchen, er solidarisiert sich mit den Kleinen und Schwachen, in ihnen begegnet uns der gekreuzigte Christus. An dieser Stelle ist das "Überall" des Anfangs vom Tisch; der Ort Gottes ist äußerst konkret und mitten in diesem Leben. Und der Himmel ist sehr geerdet, wird dort wahr (selbstverständlich stets eingedenk des eschatologischen Vorbehalts!), wo Menschen ähnliche Dinge vollbringen wie Elisabeth.

Niemand in der Lerngruppe würde den Anspruch erheben, sich mit einer solchen Frau messen zu können. Aber es wird immer sehr schnell deutlich, dass jeder zumindest eine Ahnung hat, wo in seiner Umgebung die "Aussätzigen" hausen, die integriert werden möchten. Bestätigung finden wir in der zweiten Legende, die wir uns anschauen und die fast nie jemand kennt. Dass Martin von Tours seinen Mantel gegeben hat, wissen die meisten; neu ist der zweite Teil der Legende, der Traum in der darauffolgenden Nacht. Ich freue mich in dieser Reihe immer darüber, den Kindern nebenbei großartige Kunstwerke präsentieren zu können. In der Unterkirche der Basilika in Assisi hat Simone Martini (1280/85-1344) Fresken mit Stationen aus dem Leben des heiligen Martin geschaffen und neben der Mantelteilung auch den Traum dargestellt. Christus trägt den Mantel des Bettlers – eindrücklicher lässt sich die christliche Überzeugung, wo Gott wohnt, nicht darstellen!

Bild: ©privat

Mit diesen Blumen haben sich einige Schüler des Großhansdorfer Gymnasiums bei den Mitarbeitern der Schule bedankt, die keine Lehrer sind - und damit Tränen der Rührung hervorgerufen.

Aber ich wollte dieses Mal ja über Nächstenliebe schreiben. Ein tolles Beispiel für Nächstenliebe haben meine Schüler in diesem Jahr am Großhansdorfer Gymnasium gegeben. Nachdem wir alle sehr beeindruckt von den großartigen vorbildlichen Menschen waren, hier und dort auch über eigene Handlungsmöglichkeiten nachgedacht hatten, kam die Sprache auf unsere persönlichen Helden des Alltags. Ich stellte zwei meiner Helden vor: ein älteres Ehepaar, das an einer meiner Schulen seit Jahr und Tag vom einen Ende der Stadt zu Fuß zur Schule läuft, dort drei Stunden putzt und dann den Weg wieder zurück geht. Ich muss gestehen, dass ich diese beiden bewundere. Ich habe außer einem kurzen Gruß noch nie mit ihnen gesprochen, bin aber stets wieder beeindruckt, wenn sie mir begegnen – meist auf ihrem Gang durch die Stadt, wenn ich bereits meine Schule beendet habe.

Die Schüler wollen sich "mal bedanken"

Eine Schülerin meinte, dass man solche Menschen gar nicht richtig wahrnehmen würde, dass sie aber doch eine sehr wichtige Aufgabe erfüllten und dass man ihnen eigentlich mal richtig danken müsse. Das empfanden eine Reihe anderer ebenso. Da ich für solche Schülerideen immer offen und der Meinung bin, dass in der Regel sichtbar wird, dass sie das Gelernte verstanden und aus ihm Konsequenzen zu ziehen verstehen, habe ich den Überlegungen Raum gegeben. In kurzer Zeit hatten sich fünf Schülerinnen gefunden, die den Plan vorbrachten, sich bei allen, die in der Schule neben den Lehrern noch wichtige Funktionen haben, aber nie wirklich im Mittelpunkt stehen, "mal zu bedanken". Ohne dass ich noch groß meine Hände im Spiel hatte, sammelten sie von jedem aus der Gruppe – immerhin 26 Kinder – einen Euro ein, um Blumen für die Putzleute, die Hausmeister, die Menschen in der Mensa und die Sekretärinnen einzukaufen. Das war vor den Osterferien. Die Zeit über die Ferien brauchten die fünf noch, um sich irgendwie zu organisieren.

Letzte Woche aber haben sie ihr Vorhaben in die Tat umgesetzt, sind vormittags in den Pausen in die Mensa, ins Büro und in das Zimmer der Hausmeister gegangen und haben mit Blumen und Schokolade Danke gesagt. Nach dem Unterricht bekamen auch die Menschen, die die Schule putzen ihre Geschenke. Natürlich habe ich angeboten, jeweils dabei zu sein. Die Schülerinnen aber meinten, sie bekämen das sehr gut allein hin. Als sie mir dann davon erzählten, sahen sie zufrieden und glücklich aus, fanden es bemerkenswert, von den Frauen in der Mensa umarmt worden zu sein. Einer der dort Engagierten erzählte mir noch, er habe vor Rührung Tränen in den Augen gehabt. "Wir haben so tolle Kinder", sagte eine andere.

Weißt du, wo der Himmel ist? Ich habe etwas gegen Sonntagsreden und Sonntagslieder, die montags keine Bedeutung haben. Ich habe aber sehr viel Achtung vor kleinen und großen Menschen, die versuchen, ein Stück Himmel auf der Erde zu verwirklichen. Dass das geht und dass das gar nicht so schwer ist, haben meine Kinder gelernt. Und dass die Freude, die sie geschenkt haben, Teil der eschatologischen Freude ist, dass mit ihr ein Stück Reich Gottes auf der Erde ankommt, darüber haben wir heute gesprochen.

Von Heinz Waldorf

Der Autor

Heinz Waldorf ist Lehrer am Gymnasium Wentorf bei Hamburg.

Linktipp: Kolumne "Mein Religionsunterricht"

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