Die Bilanz nach einer Woche "Maria 2.0"

Der Kirchenstreik der Frauen endet – und soll doch weitergehen

Veröffentlicht am 18.05.2019 um 12:31 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Eine Woche lang haben katholische Frauen überall in Deutschland gestreikt. Andrea Voß-Frick, eine der Initiatorinnen der Bewegung "Maria 2.0", zieht eine positive Bilanz der Aktionen – und stellt klar, dass der Einsatz für eine weiblichere Kirche weitergehen soll.

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In den Augen von Andrea Voß-Frick war der Kirchenstreik der Frauen in den vergangenen sieben Tagen ein voller Erfolg. "Ich bin wirklich sehr berührt von den gemeinsamen Gottesdiensten, die wir auf Augenhöhe vor den Kirchentüren gefeiert haben", sagt die Mit-Initiatorin der Bewegung "Maria 2.0" über ihre Erfahrungen in Münster. Besonders das "starke Gemeinschaftsgefühl" unter den Frauen habe sie beeindruckt, erzählt Voß-Frick. "Wir sind alle von der gleichen Sehnsucht getrieben und wollen Reformen in der Kirche."

Wie viele Frauen sich an den Aktionen der heute zu Ende gehenden Streikwoche gegen Missbrauch und für eine weiblichere Kirche beteiligt haben, weiß auch sie nicht genau. Voß-Frick und ihre Mitstreiterinnen haben aber Rückmeldungen von mehr als 1.000 Gruppen erhalten, die Mahnwachen, Gottesdienste und Protestaktionen organisiert haben. "Es sind sehr unterschiedliche Veranstaltungen, zu denen bei einigen nur eine Handvoll Teilnehmerinnen gekommen sind, und bei anderen mehrere hundert." Die Organisatorinnen von "Maria 2.0" gehen daher von mehreren zehntausend Menschen aus, die dabei waren – etwa ein Viertel von ihnen Männer.

Nur wenige junge Unterstützer

Auch wenn sich einige Hochschulgemeinden und Jugendverbände mit den Streikenden solidarisiert haben, sind doch nur sehr wenige junge Menschen zu den Aktionen gekommen, berichtet Voß-Frick. Sie überrascht das nicht, denn viele Jugendliche würden die Kirche als rückständig ansehen und hätten mit ihr deshalb schon früh "nichts mehr am Hut". Es seien vielmehr die "treuen Gläubigen", die man auch in den Sonntagsgottesdiensten sehe, die "Maria 2.0" unterstützt hätten. Viele seien über den seit Jahrzehnten bestehenden Reformstau in der Kirche besorgt und verärgert, so dass sie "vor sich selbst rechtfertigen wollen, nicht aus der Kirche ausgetreten zu sein" und deshalb bei den Protesten mitmachten.

Themenseite: Kirchenstreik "Maria 2.0"

Eine Woche lang haben katholische Frauen deutschlandweit unter dem Motto "Maria 2.0" die Kirche bestreikt. Sie wollten damit gegen eine männerdominierte Kirche und für den Zugang von Frauen zu den Weiheämtern in der Kirche demonstrieren. Die Themenseite gibt einen Überblick über die Aktion.

Das sieht auch Maria Flachsbarth, die Präsidentin des Katholischen Deutschen Frauenbundes (KDFB), so. Sie sei "überwältigt von der Resonanz", die "Maria 2.0" gerade in den Reihen der Frauen hervorgerufen habe, die in den großen kirchlichen Frauenverbänden organisierten sind, sagte Flachsbarth vor einigen Tagen. Die große Beteiligung so vieler Frauen habe gezeigt, dass die Forderungen nach Reformen nicht nur von "ein paar verrückten Aktivistinnen an der Spitze der Frauenverbände" getragen würden, sondern von einer breiten Basis der Kirche in Deutschland. Aus dem gleichen Grund glaubt Mechthild Heil, die Vorsitzende der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd), dass die von "Maria 2.0" angestoßenen Proteste "keine Eintagsfliege" sein werden. Heil mahnt zu schnellen Reformen in der Kirche, denn sonst führe der jahrelang aufgestaute Frust der Frauen dazu, dass sie der Institution "scharenweise den Rücken kehren".

Voß-Frick treibt die gleiche Angst um: Sie befürchtet, dass in den kommenden Jahren und Jahrzehnten viele weitere Gläubige die Kirche verlassen werden. "Das müssen wir verhindern, denn die Botschaft Jesu ist so wichtig für diese Welt", sagt sie. Doch obwohl die Forderungen von "Maria 2.0" alles andere als neu sind, sieht die Münsteranerin aktuell Chancen für eine kirchliche Erneuerung: Mitten im Missbrauchsskandal sei man an einem besonderen Punkt angekommen. "Jetzt ist die Zeit zum Handeln gekommen", glaubt Voß-Frick. Eine Veränderung von unten sei in der Kirche schwieriger, doch "von oben" sehe sie kaum Möglichkeiten für Reformen.

Kritik an "Maria 2.0" von vielen Bischöfen

Mit "oben" meint Voß-Frick auch die deutschen Bischöfe. Viele der 27 Diözesanbischöfe hatten sich in der vergangenen Woche zum Kirchenstreik der Frauen geäußert – die wenigsten positiv. So kritisierte etwa der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer, "es führt uns keinen Millimeter weiter, wenn wir uns die Geschichte der Kirche zurechtbasteln, um uns dann am Ende etwa ein Frauenpriestertum zu genehmigen". Am deutlichsten hatte noch der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode sein Verständnis für die Proteste der Frauen ausgedrückt. "Die Ungeduld der Frauen ist groß, wenn es um echte Partizipation an den Diensten und Ämtern der Kirche geht", sagte Bode, der innerhalb der Bischofskonferenz für das Thema Frauen zuständig ist. Doch auch er kritisierte das Fernbleiben der Protestierenden von der Sonntagsmesse: "Die Eucharistie kann kein Instrument eines solchen Protests sein." Hamburgs Erzbischof Stefan Heße rief "Maria 2.0" dazu auf, sich am von den Bischöfen geplanten "synodalen Weg" zu beteiligen und ihre Reformforderungen dort einzubringen.

Das lehnt Voß-Frick jedoch ab. Sie verweist darauf, dass es genügend qualifizierte und gut ausgebildete Frauen in der Kirche gebe, die jedoch keine wirklichen Gestaltungsmöglichkeiten in der Hierarchie hätten. Diesen Theologinnen und Verbandsfunktionärinnen sollte man einen Platz im "synodalen Weg" anbieten, so Voß-Frick. Sie hält es für ein positives Zeichen und einen großen Erfolg von "Maria 2.0", dass der Frauenstreik die meisten Bischöfe dazu gedrängt habe, sich zu den geforderten Reformen zu positionieren. Dass wünscht sich die Münsteranerin auch von ihrem Heimatbischof Felix Genn, der bislang zu den Protesten geschwiegen hat. Die Initiatorinnen fühlen sich von ihm unverstanden und möchten ihre Anliegen Genn gern persönlich nahe bringen – "am liebsten ganz vertraulich im Wohnzimmer".

Bild: ©Privat/katholisch.de

Andrea Voß-Frick war eine der Initiatorinnen des Kirchenstreiks der Frauen im Rahmen der Bewegung "Maria 2.0".

Kritik an "Maria 2.0" kam in den vergangenen Tagen nicht nur aus dem Episkopat, sondern auch von konservativen Laien. So wurde etwa die Gegeninitiative "Maria 1.0" ins Leben gerufen. "Wir sind Christinnen, Frauen, Töchter, Ordensschwestern, Ehefrauen, Mütter, Freundinnen, Helferinnen und vieles mehr. Was uns verbindet: Wir sind gerne überzeugt katholisch", heißt es auf der Internetseite einer zweiten neu gegründeten Bewegung, der Gebetsaktion "Maria. Mutter der Kirche". Beide Gruppen beklagten, "Maria 2.0" wirke auf gläubige Frauen "abschreckend und sensationsheischend" und stehe im Gegensatz zur kirchlichen Lehre.

"Kein Strohfeuer, sondern ein Leuchtfeuer"

Von dieser Kritik sieht sich Voß-Frick in ihrem Engagement bestätigt, denn man habe eine Diskussion innerhalb der Kirche anstoßen wollen. "Deshalb ist für uns klar, dass 'Maria 2.0' weitergehen wird." Man wolle "kein Strohfeuer, sondern ein Leuchtfeuer sein". Welche konkreten Schritte nun folgen würden, müsse innerhalb der Initiative in Ruhe entschieden werden, sagt Voß-Frick. Einige Ideen seien, jedes Jahr jeweils im Marienmonat Mai zu einer Streikwoche der Frauen aufzurufen oder monatliche Aktionen zu etablieren. Doch das steht alles noch in den Sternen.

In jedem Fall wolle man versuchen, "unabhängig und frei" zu bleiben und sich nicht durch eine zu umfangreiche Struktur, etwa als Verein oder Verband, selbst zu behindern. Dennoch sieht es Voß-Frick als wichtig an, das in den vergangenen Wochen und Monaten gesponnene Netzwerk mit den kirchliche Frauenverbänden und Gruppen wie "Wir sind Kirche" auszubauen: "Aber wir wollen uns nicht vereinnahmen lassen, was derzeit etwa politische Parteien versuchen." In den kommenden Tagen will Andrea Voß-Frick jedoch zunächst einmal die vielen Stunden Schlaf nachholen, auf die sie in dieser Woche verzichten musste. "Schließlich musste ich mich neben 'Maria 2.0' auch um meine Familie kümmern, und einen Fulltime-Job habe ich auch noch." Doch der nächste Termin im Einsatz für eine geschlechtergerechte Kirche steht schon in ihrem Kalender: der Evangelische Kirchentag im Juni in Dortmund.

Von Roland Müller