Ordensoberin: Taten gegen Nonnen hierzulande kein Massenphänomen
Die Deutsche Ordensobernkonferenz (DOK) berät ab diesem Sonntag bei ihrer Mitgliederversammlung auch über das Thema Missbrauch. Zum Auftakt des Treffens im rheinland-pfälzischen Vallendar spricht die Konferenzvorsitzende Katharina Kluitmann darüber im Interview. Die 54-jährige Franziskanerschwester und promovierte Psychologin äußert sich unter anderem kritisch zu kirchlichen Machtstrukturen.
Frage: Schwester Katharina, mehr als 200 Ordensoberinnen und -obere werden bei der Mitgliederversammlung über das Thema sexueller Missbrauch beraten. Welche Dimension hat sexueller Missbrauch in Orden in Deutschland?
Kluitmann: Sie sprechen ein Problem an, mit dem wir uns bei der Mitgliederversammlung beschäftigen möchten: Wir wissen noch nicht genug über das, was in den einzelnen Gemeinschaften geschehen ist und geschieht, an Taten, aber auch an Aufklärung, Aufarbeitung und Prävention. Da die Orden sehr unterschiedlich sind, raten die Fachleute konstant von einer gemeinsamen Studie ab, so dass wir uns um eine andere Vorgehensweise bemühen müssen. Wir stehen in der Herausforderung, dass Schwestern und Brüder sowohl auf der Täterseite als auch auf der der Betroffenen und Unterstützer stehen.
Frage: Wie hilfreich sind die neuen Normen von Papst Franziskus zum innerkirchlichen Vorgehen bei Fällen von sexuellem Missbrauch?
Kluitmann: Die neuen Normen des Papstes werden wir in bewährter Zusammenarbeit mit der Bischofskonferenz in den Leitlinien, die ohnehin gerade überarbeitet werden, berücksichtigen.
Frage: Inwieweit spielt das Machtgefälle in den Orden eine Rolle, wenn es um das Risiko für sexuellen Missbrauch geht? Ordensfrauen stehen ja grundsätzlich in der kirchlichen Hierarchie unter den Klerikern. Sind Novizinnen und Novizen besonders gefährdet?
Kluitmann: Macht ist immer die Voraussetzung für sexualisierte Gewalt, sei es bei Minderjährigen, sei es bei Volljährigen, beispielsweise beim Missbrauch im Rahmen des Ausbildungsverhältnisses. Natürlich spielt klerikale Macht auch eine Rolle, wenn Ordensfrauen oder andere Frauen oder Männer im Rahmen von Beichte und Begleitung missbraucht werden.
Frage: Sie haben unlängst gesagt, dass Sie keinen "systematischen" Missbrauch in Orden sehen, aber die dahinterstehenden Ursachen durchaus "systemischen Charakter" haben könnten. Wie meinen Sie das?
Kluitmann: Ich halte Missbrauch von Klerikern an Ordensfrauen in Deutschland nicht für ein Massenphänomen und glaube nicht, dass er sozusagen "mit System" betrieben wird. Aber natürlich hat er, wo er vorkommt, "systemische" Ursachen im Sinne der bereits angesprochenen klerikalen Machtstrukturen.
Frage: Das Treffen in Vallendar steht unter der Überschrift "Die Wahrheit macht uns frei. Missbrauch wahrnehmen – aufarbeiten – vorbeugen". Wird bisher bei diesem Thema die Wahrheit unterdrückt oder zu wenig zur Kenntnis genommen?
Kluitmann: Nicht erst seit dem Bekanntwerden der MHG-Studie hat sich die Deutsche Ordensobernkonferenz intensiv mit Fragen des sexuellen Missbrauchs beschäftigt, auch mit Fachleuten, und oft in enger Kooperation mit der Bischofskonferenz. Als eher kleine Organisation sind wir auf diese Hilfe ebenso angewiesen wie auf die Hilfe, die wir vom "Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs" bei der Bundesregierung erhalten, mit dem wir auch eine Vereinbarung zu diesem Thema haben. Aber trotz all dieser Bemühungen reicht die Arbeit natürlich nie, solange noch Betroffene unter dem Geschehenen leiden.
Frage: Sie befassen sich bei der DOK-Konferenz auch mit "geistlichem Missbrauch". Zu dieser Form missbräuchlichen Verhaltens könne es in geistlichen Gemeinschaften "aus persönlichen wie aus systemischen Gründen kommen", heißt es in der Ankündigung. Wie ist das zu verstehen?
Kluitmann: Geistlicher Missbrauch, den die Präventionsbeauftragte des Bistums Eichstätt, Gabriele Siegert, kürzlich sehr passend als "spiritualisierte Gewalt" bezeichnet hat, hat ähnliche Dynamiken und systemische Gründe wie sexualisierte Gewalt, jedoch andere Ausdrucksformen. Warum Menschen in diesem Bereich zu Täterinnen oder Tätern werden, liegt allerdings teilweise an anderen Persönlichkeitsmerkmalen als beim sexuellen Missbrauch. Das bedarf einer eingehenden psychologischen Klärung, und wir sind bei der spiritualisierten Gewalt noch stärker am Anfang der Auseinandersetzung.