Der Priester, der Präsident Macron beleidigte
In der kleinen Dorfkirche von Le Planquay wird eigentlich keine Messe mehr gefeiert. Die etwas mehr als 150 Seelen des Dorfes in der Normandie besuchen normalerweise in der benachbarten Kleinstadt Bernay den Gottesdienst. Doch Pater Francis Michel ist mit dem Bürgermeister per Du, der auch die Kirchenschlüssel für Le Planquay verwaltet. Und seinem guten Freund kann er keinen Gefallen abschlagen. So kommt es, dass der 70-jährige Pater am Sonntag in einer reich bestickten Kasel in St. Ouen steht und zusammen mit den versammelten Gläubigen ein Lied anstimmt – allerdings keinen Lobgesang auf Gott und die Schöpfung . Gut hörbar schmettert er stattdessen: "Emmanuel Macron, du großer Idiot, wir kommen dich holen!" Die versammelten Menschen sind auch keine normale Dorfgemeinde, sie tragen gelbe Warnwesten, das Zeichen der französischen Protestbewegung "Gilets Jaunes".
Das Lied, dessen Refrain der Pater mitsingt, ist ein beliebter Protestsong der Bewegung. Videos dieser Szene gehen seit vorgestern in den sozialen Medien viral – und damit um die Welt. Auch auf dem offiziellen YouTube-Kanal der "Gelbwesten" wurde mittlerweile ein kurzer Clip veröffentlicht.
Christian Nourrichard ist deshalb richtig wütend. Er ist schockiert von der Aktion des Paters. Die Kirche als "heiligen Ort, an dem sich Männer und Frauen versammeln um Gott zu feiern", dürfe man nicht für politische Kundgebungen nutzen. "Priester sollen sich nicht an Bewegungen beteiligen, die politische Umwälzungen zum Ziel haben." Nourrichard ist nicht irgendwer, sondern Bischof von Évreux und damit Michels Vorgesetzter.
Neongelbe Weste über schwarzer Soutane
Bereits in der Vergangenheit hatte es Probleme mit dem Priester gegeben. Denn der ist eifriger Unterstützer der "Gelbwesten". Sein Bischof erzählt, dass Michel bereits im Mai festgenommen worden sei, weil er sich am Bau von Barrikaden in Paris beteiligt hatte, die das Vorrücken der Ordnungskräfte verhinderten. Fotos im Netz zeigen ihn vielfach mit neongelber Warnweste über der schwarzen Soutane. Er fühle sich in seiner Kirche fehl am Platze, sagte Michel vor einiger Zeit in einem Interview. Die Gelbwesten hätten ihn hingegen aufgenommen, "sie sind wie eine Gemeinschaft von Brüdern".
Während ihn die Anhänger der Bewegung bejubeln, schaltet sich die Staatsmacht ein. Der Präfekt des Departements Eure, zu dem Le Planquay gehört, ist verärgert. Die Worte gegen den Präsidenten seien besonders verletzend und "es ist klar, dass diese Demonstration in der Kirche keine Messe gewesen ist". Er sieht die seit 1905 in der französischen Verfassung festgeschriebene Trennung von Kirche und Staat verletzt. Die Staatsanwaltschaft werde sich mit dem Pater befassen müssen.
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Bereits zu Weihnachten hatte Michel auch dem Jesuskind seiner Kirchenkrippe eine neongelbe Weste angezogen. Schließlich sei Jesus nicht unter den Reichen oder Hohepriestern geboren worden. "Er wurde unter den Demütigen und den Hirten geboren. Wenn er heute geboren würde, könnte er auf einem Kreisverkehr geboren werden", war seine Begründung.
Doch das Bild des noblen Unterstützers der Entrechteten stimmt so nicht ganz. Der 1975 geweihte Michel war eigentlich Priester in Thiberville. 2017 sprach ihn ein Berufungsgericht schuldig, Kollektengelder seiner Gemeinde veruntreut zu haben. Der Pater hatte die beträchtliche Summe von 116.000 Euro über ein System von elf verschiedenen Konten in die eigene Tasche manövriert.
Intrige gegen den Pater?
Deshalb hatte Bischof Nourrichard den Pater bereits im November 2016 ins beschauliche Le Planquay versetzt. Die Unterstützer des Paters witterten allerdings eine Intrige gegen ihn. Sie behaupteten, Veruntreuung sei nur der Vorwand, in Wahrheit sei ihr Priester abgesetzt worden, um ihn daran zu hindern, die Messe auf Latein zu feiern. Zu Unrecht: Das entsprechende bischöfliche Dekret erlaubte dem Pater ganz konkret sowohl die Messfeier im ordentlichen als auch im außerordentlichen Ritus.
Weil sich der Priester aber nicht an die anderen bischöflichen Auflagen hielt, wurde er Ende 2017 mit einer "suspensio a divinis" belegt. Fortan war es ihm verboten die Sakramente zu spenden. Doch der Pater feierte weiterhin die Messe, taufte Kinder und nahm Gläubigen die Beichte ab. Er soll sogar Paare getraut haben, die mit anderen Partnern eigentlich bereits in gültig-katholischen Ehen verheiratet waren.
Gegen die neueste Aktion kann der Bischof allerdings wenig unternehmen. Weder Pater Michel noch sein Freund der Bürgermeister würden sich auf seine drängenden Anfragen melden, sagt Nourrichard. Weil die Dorfkirche – wie alle Gotteshäuser in Frankreich – durch die Stadt verwaltet werde, könne er selbst keine Schließung erwirken. Doch Nourrichard stehe in Kontakt mit Rom, um den "Gelbwesten-Pater" in den Laienstand zu versetzen.