Seelsorge zwischen Autoscooter und Festzelt
Sein Büro liegt in zwar in Bonn, doch die meiste Zeit des Jahres ist Sascha Ellinghaus unterwegs – und zwar in ganz Deutschland. Der Leiter der Circus- und Schaustellerseelsorge in Deutschland reist zu den großen Volksfesten, Märkten und Zirkusveranstaltungen. Aber nicht zum Feiern oder Spaß haben: Ellinghaus reist zu seiner weit verstreuten "Gemeinde".
Frage: Herr Pfarrer Ellinghaus, sind Sie ein Zirkus-Fan?
Sascha Ellinghaus: Ich bin von klein auf gerne in den Zirkus gegangen. Ich bin damit groß geworden, das gehörte in meiner Kindheit einfach zu den üblichen Unterhaltungsevents.
Frage: Ist das auch der Grund, dass Sie Seelsorger für Zirkusleute und Schausteller geworden sind?
Ellinghaus: Nein, das war eher Zufall. Während meiner Kaplanszeit habe ich gemeinsam mit dem Arbeitskreis Jugendpastoral im Dekanat Werl des Erzbistums Paderborn eine Möglichkeit gesucht, wie wir uns bei den Ministranten und Sternsingern für ihren Einsatz bedanken können. Da sind wir auf den Gelsenkirchener Weihnachtszirkus gekommen. Da ich den Eintrittspreis etwas drücken wollte, bin ich mit der Zirkusfamilie in Kontakt gekommen. Der ist mit der Zeit gewachsen. Als der damalige Leiter der Zirkus- und Schaustellerseelsorge regionale Mitarbeiter suchte, gab ihm die Zirkusfamilie den Hinweis, mich zu kontaktieren. Er sagte nämlich, er brauche jemanden, der Freude an der Kirmes oder am Zirkus hat, weil es eine Pastoral ist, bei der man ganz intensiv zu dem Menschen gehen muss. So bin ich dann gefragt worden, ob ich mir vorstellen könnte, in diesem Seelsorgebereich mitzuhelfen. Von 2002 an habe ich das ehrenamtlich gemacht und von 2011 an im Nebenamt neben der Leitung eines Pfarrverbands. Seit 2014 habe ich die Leitungsstelle in der Zirkus- und Schaustellerseelsorge in Deutschland inne – und mache das bis heute gerne. Ich bin der einzige Hauptamtliche in Deutschland, werde aber unterstützt von einigen regionalen Ansprechpartnern, die das neben der Pfarreiseelsorge tun.
Frage: Wie haben Sie sich auf diese Aufgabe vorbereitet? Es ist ja ein anderes pastorales Arbeiten als in einer gewöhnlichen Gemeinde…
Ellinghaus: Da dieser Aufgabenbereich in der Kirche sehr singulär ist, ist es schwer, sich speziell darauf vorzubereiten. Ich bin da langsam hineingewachsen und habe nach und nach die Besonderheiten dieses pastoralen Feldes kennengelernt. Man muss sich immer an die Leute anpassen, zu denen man gesandt ist, um auch ihre Wünsche hinsichtlich des Glaubens oder des sakramentalen Lebens erfüllen zu können. Das geht von einfachen Beratungsgesprächen über Segnungen bis hin zu Sakramentenfeiern.
Frage: Sie sind sozusagen ein Pfarrer mit Gemeinde, aber ohne Pfarrkirche. Wie organisieren Sie sich?
Ellinghaus: Zum einen gibt es eine feste Gottesdienstliste auf Volksfesten, die jährlich stattfinden, wie beispielsweise auf dem Münchner Oktoberfest. Das geht natürlich nicht bei den Zirkusbetrieben, weil die nicht jedes Jahr zum gleichen Zeitpunkt in der gleichen Stadt sind. Zum anderen werden Gottesdienste mit den Schaustellern, aber teilweise auch mit den Gläubigen vor Ort gefeiert, um eine enge Verbindung zwischen dem Volksfest und der Kirche herzustellen. Viele der Feste sind ja kirchlichen Ursprungs. Dann gibt es Anfragen für Erstkommunionen, nach der Begleitung bei Sterbefällen, Taufen und Hochzeiten. Da versuchen wir, die Terminwünsche zu erfüllen und fahren dann zu den entsprechenden Anlässen hin.
Frage: Wenn Sie mit den Kindern Erstkommunion feiern – wie koordinieren Sie die Sakramentenvorbereitung?
Ellinghaus: Das ist eine große Herausforderung meiner Tätigkeit. Selber machen kann ich sie nicht, das ist einfach entfernungsmäßig nicht möglich. Wir versuchen aber, für jedes Kind, das zur Kommunion angemeldet wird, eine Vorbereitung zu organisieren. Daraus lässt sich aber kein allgemeines System entwickeln, weil Schausteller- und Zirkusleute unterschiedlich reisen. Wir versuchen da, in Absprache mit der Familie einen Weg zu finden, etwa in Phasen, wenn etwa ein Fest oder ein Markt länger dauert. Manchmal bietet sich da die Adventszeit an, weil sie dann oft rund sechs Wochen am gleichen Weihnachtsmarkt stehen. Wir versuchen dann, in Zusammenarbeit mit den Gemeinden vor Ort, einen Pastoralreferenten oder Gemeindereferenten zu finden, der in kompakter Weise dann das Kind auf die Erstkommunion vorbereitet. Das hat sich bisher recht gut bewährt.
Frage: Wie viele Tage im Jahr sind Sie unterwegs?
Ellinghaus: So etwa 250 Tage sind es. Im vergangen Jahr hatten wir insgesamt 158 Einsätze bei Sakramentenfeiern und Geschäftssegnungen.
Frage: Sind Sie auch mal länger an einem Ort oder nur zu diesen bestimmten Anlässen?
Ellinghaus: Wir haben erstmal eine Besuchstour, wo wir ohne Anlass bei den Zirkusfamilien vorbeischauen und mit ihnen sprechen, wenn sie irgendwo gastieren. Im Prinzip ist das wie ein Hausbesuch in einer Pfarrei. Bei einigen größeren Festen sind wir auch mehrere Tage; bei einem größeren Zirkus, wo die Verbindungen enger sind, bin ich auch mal länger. Aber die meisten fahre ich täglich an. Wenn ein Gottesdienst auf dem Autoscooter oder in der Zirkusmanege stattfinden soll, muss ich mit dem Auto hinfahren, weil ich das ganze Gottesdienstmaterial, etwa Altar, Orgel und Messgewänder, im Kleinbus mitbringen muss. Wenn es nur darum geht, eine Segnung vorzunehmen, kann ich natürlich auch mit der Bahn anreisen.
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Frage: Kann überhaupt eine tiefere Verbindung zu den Leuten entstehen, wenn man immer nur für eine relativ kurze Zeit bei ihnen ist?
Ellinghaus: Es sind ja immer wieder die gleichen Leute, die ich besuche und treffe. Unter Umständen treffe ich die sogar alle drei Wochen. Das ist fast öfter, als ein Gemeindepriester seine Pfarreischäfchen zu Gesicht bekommt. Ich fahre ja nicht hin, um das Fest zu erleben, sondern meiner Gemeinde zu begegnen. Man sieht sich relativ häufig, nur an verschiedenen Orten. Bei einem Zirkus ist das etwas anders, der reist ja wie ein Dorf, immer in der gleichen Konstellation. Da muss ich mich gar nicht vorstellen, die meisten Leute kennen mich schon. Man kommt dann auch sofort ins Gespräch.
Frage: Verspüren Sie bei den Schaustellern und Zirkusleuten ein höheres Bedürfnis nach seelsorglicher Begleitung als in einer gewöhnlichen Pfarrei?
Ellinghaus: Ich glaube schon, dass bei Zirkusleuten und Schaustellern eine tiefe christliche Verwurzlung zu finden ist, auch wenn sich das schon seit Generationen nicht im regelmäßigen Besuch des Sonntagsgottesdienstes niederschlagen konnte. Die ständigen Ortswechsel und Arbeitszeiten immer dann, wenn andere frei haben, haben dies schon immer unmöglich gemacht. Deshalb ist es so wichtig, hier eine eigene Seelsorge zu haben, die sich der besonderen Arbeitszeiten und Bedürfnisse dieser Personengruppe annimmt. Ich glaube, dass die "Menschen auf der Reise" dankbar sind, dass es diese spezielle Seelsorge für sie und ihre Familien gibt.
Frage: Was beschäftigt die Schausteller und Zirkusleute besonders?
Ellinghaus: Im Grunde genommen sind sie von den gleichen Problemen betroffen wie die Menschen in einer normalen Pfarrgemeinde. Es ist die Begeisterung, wenn Kinder geboren werden, es ist die Trauer über Krankheits- und Todesfälle, es ist die Freude, wenn die Kinder zur Erstkommunion gehen. Worüber sich die Zirkus- und Schaustellerleute immer sorgen, ist die Bildung ihrer Kinder. Wir helfen ihnen so gut es geht, dass ihre Kinder eine Schulbildung ohne große Brüche bekommen, was bei der Reisetätigkeit nicht immer einfach ist. Der Bildungsföderalismus in Deutschland macht dies besonders schwierig. In jedem Bundesland gelten andere Regeln. Wir fördern beispielsweise Projekte, die für eine chancengleiche Bildung von Zirkus- und Schaustellerkindern einstehen. Hier arbeiten eng mit der "Schule für Circuskinder in NRW" zusammen und sind unter anderem Mitglied im "European Network for Traveller Education" (ENTE).
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Frage: Erinnern Sie sich an besonders schöne oder tragische Momente bei ihrer Arbeit?
Ellinghaus: Das umfasst das ganze Spektrum, was ein Pfarrer auch in einer größeren Gemeinde erfahren kann. Wunderschöne, gelungene Feiern, etwa Taufe oder Hochzeiten, sind immer besonders schöne Erlebnisse, weil man in der Welt der Zirkusleute und Schausteller familiär sehr eng verbunden ist. Da kommen in der Regel viel mehr Menschen zusammen, als man das aus dem privaten Umfeld kennt. Das hat natürlich immer auch einen sehr hohen emotionalen Wert.
Frage: Worauf achten Sie bei Ihrer Arbeit besonders?
Ellinghaus:. Wir möchten erreichen, dass Leute, die aufgrund ihres Berufes dauernd unterwegs sind, auch einen Seelsorger haben, den sie kennen, zu dem sie Vertrauen aufgebaut haben. Wir möchten vermeiden, dass sie bei jedem Kontakt mit der Kirche an einen neuen Seelsorger sich wenden müssen. Meine regionalen Kollegen und ich sollen feste Ansprechpartner für sie sein. Seelsorge heißt ja immer Beziehungsarbeit. Und das hat ganz viel mit dem Aufbau von Vertrauen zu tun. Dazu gehört auch, dass man etwas von der Lebens- und Arbeitsweise von Schaustellern und Zirkusleuten versteht, beziehungsweise von diesem gelernt hat. Es braucht eine ganze Zeit, bis man das Vertrauen der Leute gewonnen hat, obwohl sie einem sehr offen entgegenkommen.
Frage: Was haben Sie für Ihre Arbeit von den Schaustellern gelernt?
Ellinghaus: Ich staune immer wieder über das Talent von Zirkusleuten und Schaustellern, flexibel zu sein und mit plötzlichen Änderungen zurechtzukommen. Dazu kommen dieser starke Zusammenhalt und das Rücksichtnehmen aufeinander. Denn nur so kann ein Fest oder eine Zirkusvorstellung gelingen.
Frage: Sehnen Sie sich ab und zu danach, wieder einfacher Gemeindepfarrer zu sein?
Ellinghaus: Das Bedürfnis habe ich bisher noch nicht verspürt, weil ich in diesem Bereich sehr gerne arbeite. Wenn ich sonntags nicht irgendwo dienstlich bin, helfe ich in der Seelsorgeeinheit meines Wohnsitzes aus und halte dort eine Messe. Aber ich sehne mich nicht nach dem normalen pastoralen Dienst in einer Pfarrei zurück oder schaue wehmütig auf meine Zeit dort zurück. Dafür mache ich meine jetzige Aufgabe viel zu gern.