Wenn der Bischof durch die Straßen springt
Nach dem Gottesdienst am Pfingstdienstag eröffnet der Erzbischof von Luxemburg, Jean-Claude Hollerich, die Prozession zum Grab des heiligen Willibrord. Dann legt er seine liturgischen Gewänder ab, fasst links und rechts ein weißes Tuch und hüpft zusammen mit einer Jugendgruppe durch die Straßen von Echternach. Zurück an der Kirche setzt er die Mitra wieder auf und nimmt den Bischofsstab, um in der Gruppe der Prälaten ein weiteres Mal den Prozessionsweg zu gehen. Diesmal jedoch ohne dabei im Takt der uralten Polkaweise zu springen.
Die Echternacher Springprozession ist eine der ungewöhnlichsten Prozessionen der Welt. Vor allem, weil sie eigentlich gar keine Prozession ist, sondern ein „religiöser Tanz“. „Und bei einem Tanz geht man ja nicht einfach – so wie es bei anderen Prozessionen gang und gäbe ist – sondern man bewegt sich rhythmisch“, erklärt Alex Langini, Diözesankonservator des Erzbistums Luxemburg, im Gespräch mit katholisch.de.
Die Springer stellen sich dazu in Reihen zu je fünf Personen auf. "Eine Gruppe hat meist 50 bis 100 Teilnehmer", sagt Langini. Zwischen sich halten sie weiße Tücher. "Früher waren das klassische Stofftaschentücher. Aber heute benutzen alle ja nur noch die aus Papier. Die gehen beim Springen schnell kaputt. Deshalb verteilt man extra Stofftücher." Einige Gruppen haben aber auch eigene, bunte Tücher als Erkennungszeichen.
Damit die Springer im Takt bleiben, werden sie musikalisch begleitet. Die Musikgruppen spielen seit Mitte des 19. Jahrhunderts alle die gleiche Melodie, eine langsame Polka. Dennoch klingt es immer anders. "Erstens, weil sich einige Musikanten verspielen. Und zweitens, weil es nicht nur Blaskapellen gibt, sondern auch eine Geigengruppe, eine Mandolinengruppe und früher war auch eine Flötengruppe dabei", erklärt Langini.
Die Musik mag vor der Neuzeit eine andere gewesen sein, doch springen tun die Echternacher schon seit Jahrhunderten. Der angelsächsische Missionar Willibrord, der als Wegbereiter des Bonifatius die Friesen in den heutigen BeNeLux-Staaten christianisierte, starb 739. Schon bald pilgerten viele Menschen zu seinem Grab in Echternach. Dort hatte Willibrord ein Kloster gegründet. Die Mönche förderten und organsierten die Wallfahrt. "Spätestens seit dem elften Jahrhundert spricht man von großen Prozessionen zu seinem Grab", sagt der Diözesankonservator. Doch sprangen sie auch? Ein erster Hinweis auf diesen ungewöhnlichen Brauch findet sich in einem Hymnus auf Willibrord, der in der Abtei Prüm überliefert wurde. Dort liest man, dass man den Heiligen mit "magno tripudio" feiern solle, das kann man mit "großer Freude" übersetzen, aber auch mit "großem Tanz".
Warum springen die Echternacher?
"Das ist zweideutig, aber vielleicht auch bewusst", sagt Langini. Denn der Brauch war nicht unumstritten. Tanzriten hatten in vorchristlichen Religionen eine große Bedeutung als Form der Anbetung oder spirituellen Ekstase. Deshalb versuchten die ersten Missionare, die heidnischen Feste christlich umzudeuten. Doch ganz geheuer war das Tanzen dem Klerus nie.
Aber das ist nur eine Erklärungsmöglichkeit. Denn die Echternacher Prozession war seit dem Mittelalter auch ein sogenannter Heiltanz: "In der Volksmedizin gilt das Prinzip Gleiches wird mit Gleichem geheilt", erklärt Langini. "Das heißt, wenn Sie an ungewollten Bewegungen leiden, die aussehen können wie ein Tanz, können Sie das heilen oder sich dagegen schützen, indem Sie diese Bewegungen freiwillig machen." Im Mittelalter nannte man Epilepsie, Chorea und Antoniusfeuer auch "Tanzkrankheiten" – aufgrund der durch die Krankheit oder die damit verbundenen Schmerzen hervorgerufenen Zuckungen und Krämpfe. "Und anscheinend hat es funktioniert. Die Volkspsychologie hat ja ihre eigenen Gesetze." Das Treiben in Echternach gefiel aber nicht allen.
Ende des 17. Jahrhunderts schrieb zum Beispiel eine Reihe von Pfarrern aus der Eifel, von wo aus viele Menschen zum Grab des Willibrord pilgerten, eine Beschwerdeschrift an den Bischof von Trier. Dieser war damals auch für Echternach zuständig. Die Springprozession sei heidnischer Unfug, kritisierten sie. Vor allem würden die Pilger aus der Eifel während der langen Anreise nach Echternach nicht nach Männern und Frauen getrennt schlafen. Damit keine unehelichen Kinder zur Welt kämen, wollten sie die Prozession verbieten. Nur der vehemente Einspruch der Mönche konnte das bischöfliche Verbot abwenden.
Ein Jahrhundert später versuchte es der Trierer Bischof erneut mit einem Verbot. Mittlerweile standen auch die Kirchenfürsten ganz im Licht der Aufklärung. Für "mittelalterlichen Hokuspokus" und gar Wunderheilungen war kein Platz mehr in einer Welt, die man – auch in Glaubensdingen – rational erklären wollte. Damals wurde auch noch in Prüm eine Springprozession abgehalten. Der Bischof sprach also sein Verbot aus. Echternach fiel zwar in seine geistliche Herrschaft, aber die Verordnung konnte ohne Einwilligung der Luxemburger Regierung nicht in Kraft treten. Und in Luxemburg ließ man sich Zeit mit der Entscheidung, sehr viel Zeit. In Prüm wirkte das bischöfliche Verbot schneller. Die ähnlich alte Springtradition verschwand binnen weniger Jahre. Deshalb kommen seit Anfang des 19. Jahrhunderts Pilger aus Prüm nach Echternach, um dort mitzuspringen. Ihnen wird die Ehre zuteil, als erste Springer direkt nach der Eröffnungsgruppe, die gehend die Willibrorduslitanei beten, zu springen.
Nicht Kirche noch König konnten den Echternachern das Springen verbieten
Neben der religiösen Bedeutung bekam die Springprozession auch identitätsstiftende Wirkung für die Luxemburger Bevölkerung. Als das Land 1815 dem Königreich der Niederlande zugeteilt wurde, wollte es der protestantische König, Wilhelm I., geschickter angehen als die Trierer Bischöfe: Anstatt die Prozession zu verbieten, verlegte er sie schlicht auf Pfingstsonntag. So sollten die katholischen Luxemburger keinen zusätzlichen Feiertag mehr haben. Der Klerus beugte sich der Entscheidung aus Holland und feierte am Sonntag die große Pilgermesse – vor leeren Bänken. Denn die Echternacher gingen nicht hin und sprangen stattdessen wie gewohnt am Pfingstdienstag.
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Nur während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg musste die Springprozession ausfallen. Trotz Verbots hatte die Prozession 1940 noch in kleinem Rahmen in der Basilika stattgefunden. Daraufhin kam es zu Verhaftungen und Deportationen. Erst 1945 konnten die Echternacher wieder zu Ehren ihres Patrons springen – durch eine vollkommen zerstörte Stadt. So wurde die Prozession zu einem wichtigen Symbol des Durchhaltewillens und der Gemeinschaft für die Bewohner des kleinen Landes.
Das hat auch damit zu tun, dass nicht das Erzbistum, sondern die Echternacher selbst ihr Patronats- und Volksfest organisieren. Die Sorge der Bürger um ihre Traditionen reicht dabei ebenfalls weit zurück. Die letzten Mönche wurden 1797 von französischen Revolutionären aus der Abtei vertrieben. Die Gebäude wurden verkauft, als Steingutfabrik genutzt oder verfielen. Mitte des 19. Jahrhunderts gründete sich deswegen der Willibrordusbauverein. Der kaufte die säkularisierte Abteikirche und rettete sie vor dem Einsturz. Seitdem setzt sich der Verein auch für die Verehrung des heiligen Willibrords ein. Seit 1975 ist er offizieller Veranstalter der Prozession.
Die Echternacher Springprozession erfreut sich auch heute noch großer Begeisterung. Schulkinder in ganz Luxemburg bekommen frei, wenn sie mitspringen wollen. Durchschnittlich nehmen jedes Jahr 10.000 Menschen an der Prozession teil, mehr als doppelt so viele schauen zu. Die Zuschauerzahlen seien in den letzten Jahren aber etwas zurückgegangen, sagt Langini. Weil sie dem Spektakel nichts mehr abgewinnen können? Nein. "Weil sich mehr Leute trauen, selbst mitzuspringen."
Die Prozession steht allen Menschen offen. Noch immer dominiert zwar der religiöse Charakter des Willibrordusfestes, aber die 10.000 Springer sind nicht alle katholisch. "An der Prozession nehmen auch Menschen teil, die gar keinen Bezug zur Kirche haben, die gar nicht gläubig sind. Die machen trotzdem mit, weil sie dabei etwas empfinden, was sie nicht in Worten ausdrücken können." Langini rät Anfängern allerdings, nicht direkt bei den traditionsreichen Springergruppen der Echternacher Frauen oder Männer mitzuspringen. "Die springen sehr schön, das kann nicht jeder sofort", sagt er. Auch die Gruppe des Echternacher Gymnasiums, bei der er selbst mitspringt, legt Wert auf die Performance. "Aber bei 'Pax Christi' können alle mitmachen", sagt er und lacht.
Ja wie springen sie denn?
Doch egal, ob man nun besonders schön oder als Anfänger springt, die wichtigste Frage ist eigentlich die: Wie springt man richtig? Denn hartnäckig hält sich die Vorstellung, man würde "zwei vor und eins zurück" oder "drei vor und zwei zurück" springen. Das stimmt aber nicht. "Es ist ganz klar", sagt Diözesankonservator Langini, "es wird nur nach vorne gesprungen." Es gebe nur folgende Besonderheit: Während die Echternacher Springer strikt vorwärts springen, betonen die deutschen Pilger aus der Eifel die Schritte nach links und rechts. Sie springen auch vorwärts, nur eben schräg.
Dass ein Bischof bei der Prozession mitspringt, wäre früher übrigens absolut undenkbar gewesen, sagt Langini. "Aber heute ist das normal." Und Erzbischof Jean-Claude Hollerich ist auch nicht der einzige hüpfende Würdenträger. Der Abt der Benediktinerabtei Kornelimünster, Friedhelm Tissen, der jedes Jahr mit einer Pilgergruppe aus der Eifel anreist, springt auch mit. Der Luxemburger Erzbischof springt dabei nur geradeaus, der deutsche Abt betont die Schritte nach links und rechts.