Besonderes Projekt im Nationalpark Hunsrück-Hochwald

Auf spirituellen Wanderungen Gott in der Natur nahe kommen

Veröffentlicht am 30.06.2019 um 13:05 Uhr – Lesedauer: 

Idar-Oberstein ‐ Viele Menschen sind auf der Suche nach Spiritualität – aber nicht unbedingt in Kirchenräumen. Für sie bietet ein Projekt im Bistum Trier besondere Wanderungen an. Dort soll Glaube auf eine andere, besondere Art erfahrbar werden. Das Konzept ist so erfolgreich, dass es jetzt ausgebaut wird.

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Menschen, die nach Sinn und Glauben suchen, gibt es viele. Doch nicht alle werden in der Kirche fündig: In nicht selten alten Gemäuern, in denen Jahrhunderte der Tradition manchmal auch für eine gewisse Art der Erstarrung und Einengung sorgen, wenn es um Glaubensformen und Liturgie geht. Deshalb geht es im Bistum Trier auch in die Natur. Gemeinsam mit evangelischen Partnern ist dort das Projekt "Kirche im Nationalpark" entstanden, das dem jüngsten deutschen Nationalpark Hunsrück-Hochwald auch eine spirituelle Dimension geben will. Seit 2015 ist das Gebiet in Rheinland-Pfalz und dem Saarland der 16. Nationalpark in Deutschland, genauso lange gibt es dort von den Kirchen spirituelle Wanderungen, die bisher im Schnitt jeden zweiten Monat stattfinden.

"Die Idee war von Anfang an, die Natur mit einzubeziehen und auch die Bewahrung der Schöpfung deutlich zu machen", sagt Claus Wettmann, Pastoralreferent aus Idar-Oberstein. Die erste spirituelle Wanderung, die es in das Portfolio geschafft hat, leitet er. Sie beginnt an der Jakobuskirche in Birkenfeld und heißt folgerichtig "St. Jakobus trifft Nationalpark". Wettmann schätzt die Ungezwungenheit dieses Formats: Jeder kann mitgehen, unabhängig vom Alter. Es entsteht eine Gemeinschaft, in der man über Gott und die Welt reden kann.

Bild: ©A. Schmelzer / picture alliance / Arco Images GmbH

Eine typische Rossehalde im Nationalpark Hunsrück-Hochwald.

Dazu kommen dann spirituelle Impulse. "Diese Impulse hat die Natur schon gesetzt, ich brauche sie nur noch zu verstärken", sagt Wettmann. Er hält dafür zum Beispiel an den für das Gebiet typischen Steinhalden an, also mit kantigen Steinen besetzten Hängen. Es kann aber auch die Quelle eines Bachs, andere Gewässer oder ein abgestorbener Baum sein. An diesen Stellen legt die Wandergruppe dann eine kleine Pause ein und die Teilnehmer singen gemeinsam ein Lied, lauschen einem Text oder beten zusammen. Diese Einsprengsel sind immer anders und nie vorgeplant, sondern je nach Situation und Gruppe unterschiedlich. Die Spontanität ist Absicht: So hat Wettmann bei einem Aussichtspunkt schon den Sonnengesang des Heiligen Franziskus gebetet, aber am gleichen Ort auch schon Texte über Ausblicke und Weitblicke vorgetragen. Die Situation und die Menschen bestimmen das Programm. Darauf ist Wettmann vorbereitet: Jeder Teilnehmer bekommt am Anfang ein Liedheft, außerdem nimmt er eine handliche Bibel und etwas Pilgerliteratur mit, aus der sich seine Impulse speisen.

Variation in Weg und Geist

Wie das geistliche Programm variiert auch die gewanderte Strecke jedes Mal ein bisschen. Mit einer Försterin des Nationalparkamts, die jede Gruppe begleitet, legt er im Vorhinein die Route fest, immer etwas anders. Wenn seine Gruppe gut zu Fuß und wanderwillig ist, wird an die Strecke dann aber gerne auch noch ein "Schlenker drangehängt". Die Försterin steht der Gruppe außerdem für Fragen zum Nationalpark an sich, Flora und Fauna zur Verfügung. 

Die spirituellen Wanderungen laufen bisher "ziemlich erfolgreich", sagt Wettmann. Deshalb expandiert das Format: Neun weitere Menschen haben sich gemeldet, um ebenfalls solche Touren anzubieten. Sie kommen aus vielen unterschiedlichen Teilen des mit 10.000 Hektar Fläche sehr weitläufigen Nationalparks. Auch religiös kommen die neuen Begleiter mit unterschiedlichen Geschichten: Mal mehr, mal weniger religiös, vom Freikirchenmitglied bis zur Heilpraktikerin ist alles dabei: Spiritualität wird von ihnen also ganz unterschiedlich interpretiert. Gemeinsam haben sie die Ausbildung zu spirituellen Begleitern vor kurzem erfolgreich beendet.

Bild: ©Thomas Frey / dpa

Die Natur im Nationalpark wird sich selbst überlassen. Deshalb sind dort auch abgestorbene Bäume zu finden.

So unterschiedlich die neuen Begleiter, so verschieden werden auch ihre Touren: Einerseits werden sie durch die verschiedenen "Ecken" des Parks führen. Andererseits werden die Ehrenamtler ihre Ausflüge unterschiedlich ausgestalten. So wird bei einer der neuen Touren nicht gewandert, sondern gelaufen. "Die neuen Wanderungen werden mal mehr, mal weniger spirituell sein und manchmal auch den Fokus mehr auf die Gemeinschaft der Wandernden legen", erzählt Wettmann.

Unterschiedliche Spiritualitäten

Die Ausbildung haben eine Pastorin, eine Pastoral- sowie eine Gemeindereferentin geleitet: Neben Wissen über den Nationalpark etwa in Form möglicher Wanderwege und dem Zusammenspiel mit anderen, kommerziell arbeitenden Nationalparkführern standen Kenntnisse über Erste Hilfe, die eigene Spiritualität sowie Gruppendynamiken auf dem Lehrplan. Davon waren die Teilnehmer durchaus angetan: "Man kann hier alles zusammenbringen – die Erfahrung, sich körperlich zu betätigen, und gleichzeitig etwas Spirituelles zu erleben", so eine künftige Wegbegleiterin. Sie bezeichnet den Wald als "meine Kathedrale" will bei ihren Wanderungen den Fokus auf die persönliche Beziehung der Menschen zur Natur legen. "Im hektischen Alltag ist dafür oft keine Zeit, und doch spüren viele Menschen eine gewisse Sehnsucht danach. Ich finde es toll, wenn dieses Bedürfnis durch spirituelle Wanderungen gestillt werden kann." Einzige Bedingungen für die Wanderer: Über 18 Jahre alt, körperlich fit und einer christlichen Konfession zugehörig.

Eine Hellseherin legt Tarot-Karten
Bild: ©Kzenon/Fotolia.com

Vorgabe für die Wanderungen: keine Esoterik

Denn bei aller Vielfalt: Es sollen christliche Wanderungen sein, das Projekt soll nicht in Esoterik abdriften. Natur und christlicher Glaube sollen in Beziehung gesetzt werden, die Impulse müssen aber nicht dezidiert katholisch sein. "In der Natur hat man einen weiteren Blick und einen freieren Raum zur Verfügung, in dem man sich ganz anders entfalten und einbringen kann als im Kontext einer Gemeinde", findet Wettmann. "Der kirchliche Raum ist durch lange Traditionen geprägt, der ist oft eingeengt auf die Eucharistiefeier." Da gäbe es draußen einfach mehr Möglichkeiten. Außerdem erlebe man die Dinge beim Laufen schlicht anders als im Stehen oder Sitzen in einem Gebäude.

Nationalparkkirche als Ankerpunkt

Ganz außen vor ist das traditionelle Kirchengeschehen aber nicht: Es gibt eine Nationalparkkirche, die in das Projekt eingewoben ist: In ihrer Nähe windet sich seit Anfang Mai ein sogenannter "Schöpfungsweg". Der will dazu einladen, sich mit der Schöpfung und der Rolle des Menschen in der Schöpfung auseinanderzusetzen – und damit nicht nur zum Umweltschutz, sondern auch zu Gott zu finden.

Claus Wettmann spricht im Hinblick auf spirituelle Wanderungen von einem "wachsenden Markt". "Teilnehmer kommen gerne und auch gerne mehrmals", erzählt er. Da beispielsweise seine Wanderungen wochentags stattfinden, sei dort eher die ältere Generation vertreten – die aber oft bis zu 80 Kilometer zurücklegte, um mitwandern zu können. Zwischen zehn und 35 Menschen wandern in der Regel mit, bis auf einen kleinen Obulus für den Rücktransport vom End- zum Startpunkt müssen sie nichts bezahlen. Über mangelnde Nachfrage kann sich Wettmann also nicht beschweren. "Dabei spielen sowohl das Wandern in einem jungen Nationalpark wie auch die spirituelle Dimension eine Rolle", sagt er.

Die spirituelle Erkundung der Natur hat in Hunsrück-Hochwald also schon sehr konkrete Formen angenommen, die auch Kirchenfernen einen Zugang zu Glaube und Religion geben wollen. Wer sich nicht in Kirchenmauern traut, findet also vielleicht unter Bäumen das lang Gesuchte.

Von Christoph Paul Hartmann