Warum eine Kirche zum Kaufhaus wird
Alle vier Evangelien berichten übereinstimmend, dass Jesus die Händler aus dem Jerusalemer Tempel vertrieben hat. "Macht das Haus meines Vaters nicht zu einer Markthalle", soll der Gottessohn dem Evangelisten Johannes zufolge ausgerufen haben (Joh 2,16). Knapp 2.000 Jahre später macht das Bistum Bilbao in Spanien das genaue Gegenteil: Es überlässt Kaufleuten aus Fernost eines ihrer Gotteshäuser.
"Die Tür einer Kirche in Bilbao zu öffnen, kostet 30 Euro am Tag"
Die Kirche Christ König in Bilbao, mit knapp 350.000 Einwohnern die größte Stadt des Baskenlandes, wird zukünftig ein chinesischer Basar sein. Die letzte Messe in der inzwischen profanierten Kirche wurde einen Tag vor Heiligabend des vergangenen Jahres gefeiert. Bischof Mario Iceta, der die nordspanische Diözese leitet, war persönlich zu der Gottesdienstgemeinde gekommen, die sich über 47 Jahre stets am gleichen Ort zur Feier der Eucharistie getroffen hatte. Fotos von diesem Tag zeigen, dass dem Oberhirten sein Hadern mit der Schließung der Kirche anzusehen gewesen ist.
Doch Iceta war keine andere Wahl geblieben, als die Immobilie zu verkaufen, die sich im Erdgeschoss eines mehrere Etagen umfassenden Wohnhauses im Stadtzentrum befindet: Sein Bistum muss sparen, wo es kann. "Die Tür einer Kirche in Bilbao zu öffnen, kostet 30 Euro am Tag", rechnete er lokalen Medien vor. Was auf den ersten Blick nicht nach hohen Ausgaben aussieht, summiert sich bei den 296 Pfarreien der Diözese zu einer guten Stange Geld – Geld, das das Bistum Bilbao nicht hat. Das Jahresbudget von 33 Millionen Euro bringt die Diözese größtenteils durch Zuwendungen der Gläubigen auf. Eine schwierige Aufgabe, denn die Einwohner Bilbaos lassen nur zu einem Drittel die in Spanien zu entrichtende Kirchen- und Kultursteuer von gerade einmal 0,7 Prozent des Bruttoeinkommens an die katholische Kirche fließen – und das, obwohl mehr als die Hälfte Katholiken sind.
"Wir erhalten kein Geld aus dem generellen Staatshaushalt", erklärt Iceta weiter. Andere kirchliche Einrichtungen und Bistümer jedoch schon. Um die schwierige ökonomische Situation zu verbessern, hat sich das Bistum zum Ziel gesetzt, innerhalb der kommenden fünf Jahre seine Finanzen zu konsolidieren. Deshalb sieht sich das Bistum "dazu gedrängt, sich räumlich neu zu gestalten", so der Bischof. Die ehemalige Kirche mit einer Grundfläche von knapp 1.000 Quadratmetern bot sich zum Verkauf geradezu an: Durch ihre ungewöhnliche Lage in einem Wohnhaus lag eine nachträglich Nutzung als Ladenlokal auf der Hand. In unmittelbarer Nähe gibt es bereits weitere chinesische Ein-Euro-Läden. Außerdem hatten sich 35.000 Euro Schulden von Renovierungsarbeiten am Gebäude angesammelt.
Hat das Bistum einen finanziellen "Deal" gemacht?
Auch durch ein umstrittenes Großbauprojekt im Herzen Bilbaos will das Bistum Geld einsparen. Ab 2021 sollen alle diözesanen Behörden, Arbeitsstellen und höheren Bildungseinrichtungen in einem zwei Straßenblocks überspannenden Gebäude zusammengefasst werden. Um die hohen Kosten bewältigen zu können, arbeitet das Bistum mit einer großen Versicherung zusammen, die Krankenhäuser betreibt. Beide Investoren wollen das neue Gebäude gemeinsam nutzen. Doch das ruft Unmut in der Bevölkerung hervor: Einige Kritiker werfen der Diözese vor, nur an einem finanziellen "Deal" interessiert zu sein; andere beklagen die allzu großen Ausmaße des neuen Bistumssitzes.
Während das Bauprojekt noch Zukunftsmusik ist, hat die Diözese bereits im April damit begonnen, die Inneneinrichtung von Christ König zu entfernen. Die an den Wänden angebrachten Keramik-Kunstwerke, die das Leiden und die Kreuzigung Jesu zeigen, wurden Stück für Stück entfernt, die insgesamt 850 Einzelteile in Kartons verpackt und ins Depot des Diözesanmuseums gebracht. Weitere Gegenstände aus dem modernen Kirchenbau aus den 70er-Jahren sollen auf andere Pfarreien verteilt werden. Denn von denen "gibt es genug in Bilbao", wie der Bischof die Schließung von Christ König neben den finanziellen Problemen auch begründet hatte.
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Zudem waren die Kirchenbänke in dem profanierten Gotteshaus in den vergangenen Jahren immer leerer geworden – wie in ganz Spanien. Waren während der Franco-Diktatur nahezu alle Spanier katholisch, sind es heute noch zwei Drittel, von denen nur etwas mehr als zehn Prozent regelmäßig den Gottesdienst besuchen. Doch auch diese Zahl sinkt stetig. Ebenso werden die Priester immer weniger: Gibt es im Bistum Bilbao heute 80 Pfarrer, waren es 1960 noch 1.000. Das diözesane Priesterseminar in einem Vorort Bilbaos bot vor 50 Jahren Platz für 800 Studenten, seit den 90er-Jahren ist der mehrere große Gebäude umfassende Komplex ein Hotel.
Die Umwandlung von Christ König in einen chinesischen Ein-Euro-Laden ist nur ein Beispiel für die aktuelle Entwicklung der spanischen Kirche, die zwar noch Privilegien seitens des Staates genießt und mit einer ausgeprägten Infrastruktur gesegnet ist, aber immer mehr Rückhalt in der Gesellschaft und auch Gläubige verliert. Der Verkauf von Kirchen macht natürlich viele der verbliebenen Katholiken traurig, doch die kritischen Stimmen halten sich in Grenzen. Die Menschen sind schon an die Profanierung von Gotteshäusern gewöhnt. In Bilbao gibt es mehrere ehemalige Kirchen, die heute etwa als Garage oder Konzertsaal dienen – nun kommt ein chinesisches Kaufhaus dazu. Derzeit bietet das Bistum zwei weitere Kirchen zum Verkauf an. Wie diese Gebäude zukünftig einmal genutzt werden, steht noch in den Sternen.