De Maizière: Kirchen sind in der Vertrauenskrise
Der langjährige Bundesminister Thomas de Maizière (CDU) hat den christlichen Kirchen mangelnde Akzeptanz in der Gesellschaft attestiert. Katholische und evangelische Kirche befänden sich in einer ebenso großen Vertrauenskrise wie Gewerkschaften, Medien, politische Parteien und andere große Organisationen, sagte de Maizière am Dienstagabend in Leipzig. Das verstärke sich noch, wenn kein Problembewusstsein vorhanden sei, fügte der frühere Innen- und Verteidigungsminister hinzu. "Ich bin mir bei den Kirchen nicht so sicher, ob sie den Ernst der Lage schon erkannt haben", betonte er.
Dabei halte er eine Institution, die in den letzten Dingen wie dem Beginn und dem Ende des Lebens oder den Grenzen der Forschung kritische Fragen stelle, für unverzichtbar für die Gesellschaft, sagte de Maizière, der dem Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages angehört. Religion habe eine Bedeutung für die Wertbindung und Wertbildung - und zwar weit über die Kirchenmitglieder hinaus. "Das christlich-kulturelle Erbe prägt unser Land und ich sehe nicht, dass wir dort aussteigen sollten oder wollen", so de Maizière weiter. Starke Religionsgemeinschaften und Kirchen seien eine "Entlastung" für staatliches Handeln.
De Maizière debattierte in der Aula und Universitätskirche St. Pauli der Leipziger Universität mit dem langjährigen Fraktionsvorsitzenden der Linken im Bundestag, Gregor Gysi, zum Thema "Mit Religion Staat machen". Gysi erklärte, die Gesellschaft wisse heute gar nicht mehr, wie sehr sie durch das Christentum geprägt sei. Zwar nehme die Zahl der Kirchenmitglieder ab, sagte Gysi: "Das heißt aber nicht, dass die Zahl der Gläubigen abnimmt."
"Ohne Bergpredigt hätten wir keine allgemeinverbindliche Moral"
Der Linken-Politiker würdigte die wertebildende Kraft der Kirche. "Ohne die Bergpredigt hätten wir überhaupt keine allgemeinverbindliche Moral", erklärte er. Er fürchte sich vor einer gottlosen Gesellschaft, auch wenn er selbst nicht gläubig sei. "Eine religionsfreie Gesellschaft möchte ich nicht erleben", erklärte Gysi.
Zugleich plädierte er für eine striktere Trennung von Kirche und Staat. Gysi sagte, anstelle des Staates sollten die Kirchen die Kirchensteuer selbst einziehen. Auch sei es an der Zeit, staatliche Entschädigungszahlungen an die Kirchen wegen Enteignungen vor rund 200 Jahren auslaufen zu lassen. Auf der andere Seite sollte der Staat den Kirchen Zuschüsse etwa zum Erhalt von Kirchen zahlen, erklärte Gysi. Schließlich sei es der Staat, der viele Gebäude unter Denkmalschutz stelle.
Gysi warnte zudem davor, die staatliche Finanzierung theologischer Fakultäten einzuschränken: "Man kann sicher über die notwendige Anzahl diskutieren, aber im Prinzip brauchen wir diese Fakultäten." Wolle man sie abschaffen, müsse man sich fragen: "Wer kümmert sich dann um die Ausbildung von Theologen - und zwar ganz ohne unseren staatlichen Einfluss?", so Gysi auch unter Verweis auf die Ausbildung von islamischen Religionslehrern und Imamen. (tmg/epd/KNA)