Leipziger Disputation: Showdown auf dem Weg zur Kirchenspaltung
Lange hatte Leipzig auf das Ereignis hingefiebert: Schon ein Jahr zuvor, 1518, hatten sich die späteren Kontrahenten Martin Luther und Johannes Eck in Augsburg getroffen und sich die sächsische Stadt als Austragungsort ausgeguckt. Es folgte ein monatelanges, schriftliches Vorgeplänkel, bis es im Frühsommer 1519 soweit war: Nach einem feierlichen Empfang in der Thomaskirche samt Auftritt des Thomanerchors stand die Stadt an der Pleiße ab dem 27. Juni fast drei Wochen lang im Zeichen der "Leipziger Disputation".
Solche akademischen Streitgespräche, Vorläufer der heutigen Lehrseminare, waren an mittelalterlichen Universitäten nichts Besonderes: Man stellte Thesen auf und diskutierte darüber. Brisant an diesem Fall war jedoch zweierlei: der Inhalt – es ging um die Autorität des Papstes – und die Gesprächspartner.
Auf der einen Seite stand der Wittenberger Professor Andreas Bodenstein (1486–1541), genannt Karlstadt, ihm zur Seite sein Kollege Martin Luther (1483–1546). Der war zwar damals ebenfalls schon Theologieprofessor, aber noch kein berühmter Reformator. Der Anschlag seiner 95 Thesen mit Kritik an der Kirche seiner Zeit war noch keine zwei Jahre her. Parallel lief in Rom ein Ketzerprozess gegen ihn.
Den beiden gegenüber stand – modern gesprochen – ein echter Star der Szene. Der katholische Theologe und Ingolstädter Professor Johannes Eck (1486–1543) war ein Großmeister im Disputieren. Sich selbst hielt er für unschlagbar.
Ursprünglich war bloß ein Streitgespräch Karlstadt-Eck geplant. Doch seit einiger Zeit bewegte vor allem Luthers Kritik am ausufernden Ablasshandel der Kirche viele Menschen. "Das waren Themen, die interessierten", erklärt der Leipziger Kirchenhistoriker Armin Kohnle. "Daher war ab einem bestimmten Punkt klar: Ohne Luther kann man in Leipzig nichts machen."
Eck und Karlstadt legen los
So legen die Kontrahenten los, beginnend mit Eck und Karlstadt. Schauplatz ist die Pleißenburg. Heute steht dort das Neue Rathaus, 1519 hieß die Burg noch herzogliches Schloss. Denn nach Leipzig war die Disputation auf Betreiben von Herzog Georg von Sachsen gekommen.
Die Sache zieht sich. Luther notiert, Diskutanten und Zuhörer "mußten alle Tage zweymal auf dem Schlosse sein, dieweil die Disputation währete, [...] zu Morgens um 7 Hora, bis um 9, nach Mittage Hora 2 bis auf 5". Während dieser rund fünf Stunden täglich wird jedes einzelne lateinisch gesprochene Wort protokolliert – entsprechend langsam wird gesprochen.
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Kind des Teufels, Wildschwein, Spalter - das Repertoire, mit dem Katholiken über lange Zeit Luther beschrieben, liest sich wie ein Lexikon der Schimpfwörter. Umso gravierender war der späte Wandel.Als Luther eingreift, geht es – anders als von den Zuschauern im voll besetzten Saal erwartet – nicht vordringlich um den Ablass. Kohnle: "Es kristallisierte sich eindeutig ein Punkt heraus, der diese Disputation ausmachte: die Frage des päpstlichen Primats." Im Mittelpunkt stehen also Macht und Vorrangstellung des Kirchenoberhauptes in Rom.
Über viele Tage geht es um folgende Frage: Entspringt das Papsttum göttlichem Recht und ist von Christus persönlich eingesetzt worden, wie Eck aus traditioneller Warte argumentiert? Oder beruht es auf menschlichem Recht, wie Luther findet? "Das weitete sich dann bald zu der Frage, welche Autoritäten in der Kirche generell maßgeblich sind", erklärt Kohnle.
Kann ein Konzil irren?
Dann der Showdown: Eck kommt auf die Konzilien zu sprechen – kirchliche Versammlungen, die zu jener Zeit eine Alternative zum Papsttum hätten sein können. Luther aber, sagt Kohnle, sei bereits damals überzeugt gewesen, es gebe nur eine einzige Autorität in der Kirche: die Heilige Schrift. "Eck sieht, dass Luther hier eine offene Flanke hat und bringt die Rede auf das Konzil von Konstanz (1414–1418) und die Frage, ob eine solche Versammlung denn auch irren könne", erklärt Kohnle.
Das Konstanzer Konzil hatte den böhmischen Reformator Jan Hus zum Ketzer gestempelt – er wurde auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Luther lässt sich in Leipzig dennoch zu dem Satz hinreißen, nicht alle von Hus' Aussagen seien ketzerisch gewesen. "Das", betont Kohnle, "war ein potenzielles Todesurteil."
Dem entgeht Luther zwar, denn anders als Hus verfügt er über politischen Rückhalt. Allerdings lässt sich Eck wegen der Episode bald darauf als Sieger der Disputation feiern. Einen objektiven Sieger habe es indes ebenso wenig gegeben wie bei modernen Politdebatten, sagt Kohnle: "Auch da wird man eher dem den Sieg zusprechen, der die Meinung vertritt, die man selber hat."
Auf lange Sicht indes, ist sich der Historiker sicher, wurde die Disputation vor allem für Luther wichtig. Erst nach Leipzig beschäftigte er sich intensiv mit Hus' Thesen, dachte über sein Verhältnis zur Papstkirche nach – und wandte sich schließlich in Reaktion auf den ihm auferlegten Kirchenbann 1521 endgültig vom Papsttum ab. Damit wurde der Kirchenspaltung der Weg bereitet, so dass die "Leipziger Disputation" heute als entscheidende Etappe auf Luthers Weg zum Reformator gelten kann.
Neben der sich endgültig abzeichnenden Trennung in katholische und evangelische Kirche blieben einige der schon vor 500 Jahren in Leipzig besprochenen theologischen Grundsatzfragen bis heute erhalten. Kohnle: "Welche Autoritäten sind in der Kirche maßgeblich, wie kann man verantwortlich theologisch reden: All das ist bis heute nicht bis zu einem Konsens gediehen."