Gurk-Klagenfurt: Eine Diözese im Ausnahmezustand
Die Situation im österreichischen Bistum Gurk ist verfahren – und scheint immer verfahrener zu werden. Die neueste Wendung: Vor gut einer Woche hat der Vatikan den bisherigen Diözesanadministrator der sedisvakanten Diözese, Engelbert Guggenberger, durch einen Apostolischen Administrator abgelöst – damit untersteht das Bistum jetzt direkt Rom. Die Ablösung erfolgte wenige Tage, bevor Guggenberger ein Jahr im Amt gewesen wäre und damit als Diözesanadministrator mehr Kompetenzen erworben hätte, etwa bei der Ernennung von Pfarrern. Nun leitet der österreichische Militärbischof Werner Freistetter die Amtsgeschäfte, bis ein neuer Bischof gefunden ist. Freistetter beeilte sich zwar sogleich zu versichern, dass er Brücken bauen und die Situation befrieden wolle — doch das römische Eingreifen verärgert viele Gläubige.
Ausgangspunkt für die Krise im Bistum Gurk-Klagenfurt, das das Gebiet des Bundeslands Kärnten umfasst, war im vergangenen Jahr die Versetzung des langjährigen Bischofs Alois Schwarz. Der bis dahin besonders für seine guten Predigten bekannte Geistliche leitet nun das Bistum St. Pölten. Auf den ersten Blick war das eine nicht weiter spektakuläre Personalie. Doch durch den Weggang von Schwarz brach sich in Gurk-Klagenfurt eine breite Kritik an seiner Amtsführung Bahn, die unter der Oberfläche offensichtlich schon lange gebrodelt hatte. Wie groß die Unzufriedenheit war, zeigte sich auch daran, dass der bisherige Diözesanadministrator Engelbert Guggenberger im Dezember vergangenen Jahres trotz eines Verbots des Vatikan einen Prüfbericht interner und externer Experten über die Situation des Bistums veröffentlichte, der es in sich hatte. Von einem "System Schwarz" sprach Guggenberger bei der flankierenden Pressekonferenz. Führungsstil, Arbeitsklima, personelle Entscheidungen des früheren Bischofs: All das stand nun in der Kritik. Und noch mehr: Bischof Schwarz sei aufgrund seiner Lebensführung ins seinem Amt immer mehr beeinträchtigt gewesen, "weil er für Priester im Zusammenhang mit der Zölibatsverpflichtung erpressbar war", so Guggenberger.
Als eine seiner ersten Entscheidungen als Diözesanadministrator setzte er im Sommer vergangenen Jahres Andrea Enzinger, die Direktorin eines diözesanen Bildungshauses ab. Der im Dezember veröffentlichte Prüfbericht wirft ihr Misswirtschaft vor. Die Personalkosten des Bildungshauses seien deutlich zu hoch gewesen und hätten letztendlich auch den Haushalt des Bistums belastet, heißt es da. Mitarbeiter Enzingers bezeichnen deren Führungsstil als "unberechenbar", "nicht kommunikativ" und "unprofessionell". Weiter heißt es in dem Papier, Enzinger habe "das Bistum Gurk für ihre persönlichen Interessen missbraucht" und durch ihr "Agieren dem Ansehen des Bischofsamts und der Kirche in Kärnten Schaden zugefügt". Nach den Worten Guggenbergers habe Bischof Alois Schwarz zu Enzinger in einem "Abhängigkeitsverhältnis" gestanden. Zeitungsberichte werden da deutlicher: Die beiden sollen Gerüchten zufolge über Jahren ein Verhältnis gehabt haben, berichtete etwa die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Doch sowohl Enzinger als auch Schwarz bestreiten das. Er sei "froh und stolz darauf", Frauen in leitenden Positionen beschäftigt zu haben und werde das auch weiter tun, sagte Schwarz im vergangenen Jahr. Außerdem bekenne er sich "zum Zölibat und der damit verbundenen Lebensweise".
Neben seiner persönlichen Lebensführung sorgten aber auch Schwarz' Amtsführung und sein Umgang mit Geld für Aufsehen. Zwar hätten die die untersuchten Jahresabschlüsse den gesetzlichen Vorschriften entsprochen, heißt es in dem Prüfbericht. Alois Schwarz habe in seinen Entscheidungen aber an zuständigen Gremien wie dem Wirtschaftsrat vorbei agiert. Entgegen den Vorgaben des Kirchenrechts sei außerdem etwa der Vermögensverwaltungsrat in seinen Kompetenzen ausgehöhlt worden, weswegen die Diözese zeitweise "ohne effektives Aufsichtsorgan" dagestanden habe.
Auch die österreichische Justiz interessiert sich für Alois Schwarz. Mögliche Ermittlungen wegen Einladungen zur Jagd, die der Bischof an verschiedene Wirtschaftstreibende und Politiker ausgesprochen hatte, haben sich zwar erledigt. Hierzu teilte die österreichische Korruptionsstaatsanwaltschaft kürzlich mit, dass sie keinen Anfangsverdacht gegen Schwarz sehe. Weiter ermittelt wird nach verschiedenen Medienberichten jedoch wegen des Umgangs des Bistums unter seiner Führung mit verschiedenen Immobilien. Dabei geht es unter anderem um den Verdacht der Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit dem Kauf und baldigen gewinnbringenden Verkauf von Wohnungen am Wörthersee vor einigen Jahren. Wegen dieses Vorgangs hat sich das Bistum in diesem Frühjahr selbst angezeigt, Schwarz wurde persönlich von der Staatsanwaltschaft vorgeladen. Im Raum steht auch der Vorwurf, der Bischof habe in Wien zeitweise sehr günstig in einer Wohnung des Bistums gelebt, für die eigentlich ein viele höhere Miete hätte verlangt werden können. Schwarz indes bestreitet auch finanzielles Fehlverhalten. Er habe sich als Kärtner Bischof stets an den Vorgaben des Kirchenrechts orientiert und versucht, das Stammvermögen des Bistums zu erhalten. Dem Ausgang der aktuellen Ermittlungen sehe er zuversichtlich entgegen und kooperiere mit den Behörden, so eine Sprecherin.
Zerrüttetes Vertrauen und Ängste bei Gläubigen
Angesichts der zerrütteten Situation im Bistum Gurk hatte Papst Franziskus schon im vergangenen Dezember, kurz nach der "verbotenen Pressekonferenz", direkt eingegriffen und den Salzburger Erzbischof Franz Lackner als Apostolischen Visitator in das Bistum geschickt – im Gegensatz zum jetzt dauerhaft eingesetzten Administrator eine Art päpstlicher Besucher oder Inspekteur, der sich über einen gewissen Zeitraum ein Bild von der Lage im Bistum machen sollte. Diese Maßnahme Roms hatten sowohl Guggenberger als auch Bischof Schwarz begrüßt. Lackner machte sich an die Arbeit. Mitte März hatten er und seine Mitarbeiter mit rund 200 Katholiken aus Kärnten gesprochen, 145 Gesprächsprotokolle verfasst und mehr als 2.600 schriftliche Kontakte gehabt. Seinen Bericht schickte Lackner dann nach Rom. Dort liegt er nun unveröffentlicht — kaum einer im Bistum weiß also, was der Visitator dem Papst empfiehlt. Klar ist nur, dass Lackner die Diözese Gurk im "Ausnahmezustand" sieht und auch personelle Konsequenzen als nötig erachtet. Er habe während seiner Visitation viel zerrüttetes Vertrauen und Ängste bei Gläubigen und Mitarbeitern in Kärnten gespürt, so Lackner.
Die warten nun also weiter auf Informationen und Aufklärung im Fall Schwarz. Der neue österreichische Nuntius hat sich sein Urteil allerdings schon gebildet. Erzbischof Pedro Lopez Quintana, erst seit ein paar Wochen im Amt, sagte im Juni der Zeitung "Die Presse", Schwarz habe sich in Kärnten nichts zuschulden kommen lassen. Die Versetzung nach St. Pölten sei jedenfalls keine Bestrafung, sondern eine Beförderung gewesen. "Die Diözese ist bedeutender", so Lopez.
Möglicherweise trug auch dieser für die Kärntner wenig charmante Satz zusätzlich dazu bei, dass bei einigen Gläubigen die Geduldsschnur riss. Nach dem vielen personellen Hin und Her und der jüngsten Entscheidung aus Rom hat die Katholische Aktion, die diözesane Laienvertretung, nun eine Petition gestartet. Damit solle darauf aufmerksam gemacht werden, dass viele Gläubige die erneute Intervention Roms ohne Angaben von Gründen als "nicht zeitgemäßes hierarchisches, autoritäres Eingreifen" empfänden, sagt Angela Rosenzopf-Schurian, Generalsekretärin der Katholischen Aktion, zu katholisch.de. Es habe bei Priestern wie ehren- und hauptamtlichen Mitarbeitern eine "große Unruhe und ein großes Unverständnis gegenüber der kirchlichen Hierarchie" hervorgerufen. Statt nur eines neuen Drehens am Personalkarussell hätten sie sich die Veröffentlichung des Berichts von Franz Lackner gewünscht. Folgerichtig fordert die Petition vom Vatikan die baldige Aufklärung der Vorgänge im Bistum sowie Entscheidungen zum Wohl der Diözese Gurk-Klagenfurt. Aktuell haben bereits über 2.400 Menschen unterzeichnet.
Überhaupt macht sich Rosenzopf-Schurian angesichts des Durcheinanders große Sorgen um die Reputation des Bistums. "Viele der Gläubigen kommen da einfach nicht mehr mit. Sie waren schon kurz davor, aus der Kirche auszutreten – und jetzt wird durch Rom schon wieder Vertrauen zerstört“. Glaubt man den Angaben der "Kleinen Zeitung", haben gar nicht wenige diese Drohung schon in die Tat umgesetzt: Danach gab es in der Diözese Kärnten in den ersten fünf Monaten dieses Jahres schon 3.370 Kirchenaustritte – fast so viele wie gesamten vergangenen Jahr (3.526). Schon 2018 war Kärnten innerhalb der Österreichischen Diözesen bei den Austrittszahlen der traurige Spitzenreiter.
Ein kleiner Lichtblick kommt da von Kardinal Christoph Schönborn, der als Vorsitzender der Österreichischen Bischofskonferenz die Vorgänge in Gurk-Klagenfurt ebenfalls beobachtet. Er habe die Zusage des päpstlichen Nuntius und aus Rom, dass die Ernennung eines neuen Bischofs "zügig erfolgen wird", so Schönborn kürzlich. Vielleicht wäre das dann für die Diözese eine echte Chance, einmal zur Ruhe zu kommen.