Jubel und Stille
Die weiße Gestalt, die dann auf den Balkon trat, kam nicht mit hocherhobenen Armen, nicht in Siegerpose. Die Menge erblickte auf den Videowänden einen Diener der Menschen, der erst einmal lange und nachdenklich auf den riesigen Festplatz vor sich hinunterblickte, auf dem ihn die Katholiken aus aller Welt mit offenbar ehrlicher Freude begrüßten.
Es war besonders der Moment der vielen, die vom südamerikanischen Kontinent nach Rom gekommen waren. Ihre Begeisterung wirkte ansteckend. "Er ist ein ganz bescheidener Mann, er lehnt jeden Pomp in seiner Diözese ab", sagt eine mexikanische Ordensfrau, die schon in Buenos Aires gearbeitet hat. "Deshalb nennt er sich Franziskus."
Verbindung zur Gemeinde
Dann galt es, diesem Papst das erste Mal zuzuhören: Die Stimme klar, erzielten seine ersten italienischen Worte auf diesem Balkon offenbar eine besonders persönliche Wirkung bei den Tausenden Römern und anderen Pilgern der Halbinsel.
Als Franziskus nach dieser Begrüßung dann das "Vaterunser" begann, darauf das "Ave Maria" sprach und Zehntausende mit ihm zusammen beteten, auf Italienisch, Englisch oder Spanisch - stand man in der richtigen Ecke, hörte man auch die deutschen Worte - da schien die Verbindung zwischen dem neuen Stellvertreter Jesu Christi auf Erden und seiner großen Gemeinde vollends da zu sein. Sogar das Meer der filmenden Kameras und Handys wurde augenblicklich kleiner.
Dankgebet für Benedikt
Zuvor hatte das Dankgebet für seinen Vorgänger Benedikt XVI. noch einmal zustimmende Rufe auf den deutschen Papst laut werden lassen. Doch Franziskus beherrschte an diesem ersten Abend seines Pontifikats auch die völlige Lautlosigkeit. Seine Bitte um ein stilles Gebet für ihn und die Bewältigung seiner künftigen Aufgabe erfüllten die Massen in absolutem Schweigen, während er sich vor ihnen verneigte. Wer wollte, konnte in diesem Moment sogar den Schrei einer Möwe über dem Petersplatz hören.
Den folgenden ersten Segen "Urbi et Orbi" beantworteten die Besucher dagegen wieder mit der Ausgelassenheit eines Willkommensgrußes. Franziskus' Abschiedsruf - "eine gute Nachtruhe" - ließ viele schmunzeln. Kaum war der neue Pontifex durch die Türen der Loggia verschwunden, schien sich die Spannung der vergangenen Stunden wie auf Knopfdruck in einer lärmenden Volksfeststimmung aufzulösen.
Und erst jetzt war Raum für die Fragen: Wer ist er? Wo führt er die Kirche hin? "Er ist ein Naturwissenschaftler, der Chemie studiert hat", meinte ein junger Amerikaner, der sich informiert hatte. "Das ist etwas völlig Neues für die Kirche." Wie neu oder anders, das werden erst die Jahre zeigen. Der erste Abend seiner Regierung hat gezeigt: Viele wollen offenbar, dass der in sich ruhende Papst aus Argentinien ihnen seine Wege zeigt.