Wie junge Menschen im Bistum Eichstätt ihren Lebensweg ergründen
Für Melanie Bittl gehörte der sonntägliche Kirchenbesuch immer schon dazu. Sie engagierte sich 14 Jahre lang als Ministrantin am Eichstätter Dom, bestimmte schon früh die Geschicke der Dompfarrei im Pfarrgemeinderat mit. Doch rückblickend sagt die 23-Jährige: "Mit hat immer etwas Entscheidendes gefehlt. Eine richtige Gottesbeziehung hatte ich nie." Der Glaube habe sich nur auf das Kirchengebäude und die festen Gebete beschränkt.
2014 hat Bittl in Eichstätt das Abitur gemacht und anschließend Soziale Arbeit studiert. Mit dem Bachelor abgeschlossen. Und dann? "Dann war nicht klar, wie es weitergehen soll", sagt die 23-Jährige. "Ich hatte das Gefühl, dass ich ein Jahr zur Auszeit und Orientierung brauche." Doch Auszeiten könnten unterschiedlich gestaltet werden. Die einen Reisen durch Australien. Die anderen engagieren sich in einem Freiwilligen Sozialen Jahr. Noch andere machen erst einmal nichts. Um ihre Beziehung zu Gott zu finden, musste sich Bittl ebenfalls so eine Auszeit nehmen: Neun Monate im "you-Berufungshaus" des Bistums Eichstätt. Sie ist eine von fünf Teilnehmern, die im Juli das erste Orientierungsjahr der Diözese beendet haben.
Christoph Wittmann, der das diözesane Zentrum für Berufungspastoral und damit auch das Berufungshaus leitet, sieht genau da für die Kirche die Chance, einen anderen Schwerpunkt zu setzen: nämlich im Hinblick auf die geistliche Dimension. "Wir können jungen Menschen einen Raum anbieten, in dem wir als Gesprächspartner zur Verfügung stehen." Das Bistum Eichstätt eröffnete dafür im Herbst 2018 das Berufungshaus. Damit folgt man dem Trend vieler Diözesen und kirchlicher Einrichtungen, mehrmonatige Auszeiten zur Orientierung anzubieten. Elf solcher christlicher Orientierungsjahre werden in Deutschland angeboten – von Vechta über Aachen bis München. "Die jungen Menschen sind vielfältig talentiert, können sich mehr entfalten als früher und stehen doch bei allen Möglichkeiten stark unter Druck", sagt Wittmann.
Zweitens kommt laut Wittmann hinzu, dass junge Christen wie Melanie Bittl mit den Fragen nach der eigenen Identität und der Bedeutung des Glaubens in den Kirchengemeinden häufig alleine seien. "Einerseits, weil sich nur wenige diese Fragen stellen. Andererseits, da in vielen Fällen die Mitarbeiter der Seelsorge nicht die Zeit haben, jemanden so persönlich zu begleiten", sagt der Leiter des Berufungshauses.
Klar strukturierter Wochenablauf
Um das zu ermöglichen, baut das Eichstätter Modell auf drei Säulen auf: Persönlichkeitsbildung, Glaubensvertiefung, Berufsorientierung. Die Wochen sind immer ähnlich getaktet. Montags herrscht sechs Stunden lang sinngemäß Wüste im Haus. Keiner redet, alle gehen ins Gebet und nehmen sich Zeit für Gott. Von Dienstag bis Donnerstag setzen sich die Teilnehmer in einem Persönlichkeitscoaching mit ihren Stärken und Schwächen auseinander, beschäftigen sich durch Vorträge mit theologischen Grundfragen und engagieren sich vor Ort in einem Sozialpraktikum. Freitags lernen sie ein Musikinstrument. Dazu kommt ein Mal im Jahr eine Pilgerfahrt ins Heilige Land.
Für das Zimmer im Berufungshaus, Verpflegung und das Programm zahlen die Teilnehmer 295 Euro im Monat. Damit werde gut ein Drittel der Kosten abgedeckt, sagt Christoph Wittmann. Die anderen zwei Drittel übernehme das Bistum Eichstätt. Einen Überblick über die genauen Kosten für das Projekt könne das Bistum momentan noch nicht aufstellen. Einerseits, da Renovierung und Ausstattung des Hauses langfristige Investitionen seien, andererseits, da der Rechnungsabschluss für das gerade vergangene Orientierungsjahr noch nicht fertig sei. Laut dem Leiter der Berufungspastoral sei das Bistum daran interessiert, das Haus und finanzielle Mittel über mehrere Jahre zur Verfügung zu stellen. "Es sind genug Interessenten da und es hat eine Außenwirkung", sagt er. Als Beispiele dafür führt er an, dass die Teilnehmer Straßenmission betrieben, Firmgruppen begleitet und Angebote in Pfarreien mitgestaltet haben.
Wenn Melanie Bittl über ihren Weg zu Gott nachdenkt, sagt sie: "Da gab es nicht den einen Moment". Es sei ein Wandel mit der Zeit gewesen. Durch theologische Impulse, bei Exerzitien, in Israel auf den Spuren Jesu, in freien Gebeten und vielen Messen habe sie Gott immer besser kennengelernt. Jetzt sagt sie: "Er geht jeden Schritt, jede Sekunde meines Lebens mit mir". Sie habe gelernt, Entscheidungen mit Gott zusammen zu treffen, weil sie wisse, dass diese gemeinsame Entscheidung immer gut sei.
Entscheidungen gemeinsam mit Gott treffen – wie kann das gehen? Wenn man Christoph Wittmann diese Frage stellt, berichtet er, wie er mit den jungen Erwachsenen zu dieser Frage gearbeitet hat. Sie hätten verschiedene Gebetsformen kennengelernt, zum Beispiel die Kontemplation, bei der man sich bewusst mache, dass Gott zu einem spricht. Sie haben gemeinsam darüber nachgedacht, wo Gottes Stimme im Alltag vernehmbar ist. Wo man selbst inneren Frieden findet. "Denn aus christlicher Sicht drückt sich der Wille Gottes darin aus, dass ich auf mich selbst komme, auf das, was ich im innersten will."
Auf Fragen wie diese hat sich im ersten Eichstätter Berufungsjahr "eine ganz bunte Truppe" eingelassen, wie Priester Wittmann erzählt: ein junger Mann, der aus einer Krankheitsphase kommt, zwei Abiturientinnen, Melanie Bittl als Absolventin des Studiengangs Soziale Arbeit, eine Werkzeugmechanikerin. Dazu eine junge Frau mit Berufsschulabschluss, die das Orientierungsjahr nach der Hälfte der Zeit abgebrochen hat. In den neun Monaten beteten, wohnten, kochten und putzten sie zusammen in dem Haus im Zentrum der Kleinstadt. Die Teilnehmer hatten eine eigene Etage mit Privatzimmern, Kapelle, Schulungsraum und Wohnzimmer für sich. Darüber befinden sich die Büroräume des diözesanen Zentrums für Berufungspastoral sowie Küche, Esszimmer und ein Konferenzraum.
Der Eingangsbereich des Hauses diente als Begegnungsraum, indem zum Beispiel die Jugend 2000 Lobpreisabende gestaltete. "Wir haben sehr nah aneinander gelebt", sagt Melanie Bittl. Besonders lehrreich sei gewesen, die Lebensweisen ihrer Mitmenschen kennenzulernen. Trotz aller Nähe sei es wichtig gewesen, dass jeder mit seinem eigenen Zimmer einen Rückzugsort hatte, um nachdenken zu können. Also das zu tun, wofür sie sich während Schule und Studium kaum Zeit genommen hatte.
Dass das Orientierungsjahr in Eichstätt angeboten wird, ist die Folge einer generellen Umstrukturierung der diözesanen Berufungspastoral. Hieran arbeitet Christoph Wittmann schon seit 2012, damals noch als Subregens des Priesterseminars. "Zu der Zeit haben wir für Priester- und Ordensberufungen gebetet und junge Menschen in Interessentenkreisen mit Blick auf den Eintritt ins Priesterseminar begleitet", sagt er. Ein Umdenken musste her – Bischof Gregor Maria Hanke forderte, die Aufgaben der Abteilung breiter zu denken. Die Berufung aller jungen Christen sollte in den Blick genommen werden. Daher beauftragte der Bischof Christoph Wittmann und die Messdienerreferentin Sarah Hairbucher, ein Modell für ein Berufungsjahr in Eichstätt zu entwickeln.
"Wenn ich daran denke, freue ich mich total auf die Arbeit."
Entstanden ist das "you-Berufunghaus", das ab Herbst 2019 acht neue junge Erwachsene aufnimmt. Das Angebot läuft bewusst unabhängig vom Priesterseminar und doch haben die Teilnehmer die Möglichkeit, die wöchentlich stattfindende öffentliche Messfeier im Seminar zu besuchen und sich mit den Seminaristen auszutauschen. Das Berufungshaus ist zudem eng mit der Universität, den kirchlichen Institutionen und den sozialen Einrichtungen vor Ort vernetzt. Referenten des Bischöflichen Ordinariats halten Vorträge im Schulungsraum des Berufungshauses, die Teilnehmer können probehalber Vorlesungen an der Universität besuchen und arbeiten im Sozialpraktikum in Projekten der Caritas und des Bistums. Außerdem gehört ein Praktikum in einem örtlichen Handwerksbetrieb dazu.
Wenn Christoph Wittmann über die Ziele des Berufungsjahres spricht, geht auf die persönliche Entwicklung der Teilnehmer ein. Der Erfolg liege darin, dass die jungen Erwachsenen sagen könnten: Das war eine super Zeit, vielleicht sogar die beste Zeit im Leben. Kein Wort von priesterlichen Berufungen, neuen Mitarbeitern in der Pastoral und im Ordinariat. Es gehe in erster Linie um die persönliche Begleitung der jungen Menschen und ihrer Pläne – wenn daraus eine Aufgabe in der Kirche erwachse, umso besser. Die künftigen Wege der Teilnehmer lauten: Theologie-Studium, ein Studium der Religionspädagogik und Lehre als Zimmermann. Melanie Bittl wird als Sozialarbeiterin im Kinderdorf der Caritas in Eichstätt arbeiten – dort, wo sie schon das Sozialpraktikum absolvierte.
Sie begründet ihre Entscheidung damit, dass sie das Gefühl habe, in dem Beruf etwas erreichen zu können – gemeinsame mit den Kindern und Jugendlichen daran zu arbeiten, dass diese ihr Leben gut führen können. "Das ist eine große und wichtige Aufgabe, die ich sehr gern übernehme" sagt sie. Und: "In der Entscheidungsfindung war ich oft mit Gott im Gespräch und habe gemerkt, dass es genau das Richtige für mich ist. Denn wenn ich daran denke, freue ich mich total auf die Arbeit."