Arp Schnitger – der Stradivari des Nordens
Monopolisten haben in der Regel einen schlechten Ruf. Aufgrund ihrer beherrschenden Stellung schlägt ihnen oftmals Skepsis und Ablehnung entgegen. Forschung und Literatur sind sich zudem weitgehend einig, dass Monopole nur selten positive Effekte haben. Mit Blick auf Arp Schnitger, der am Sonntag vor 300 Jahren starb, ist das anders: Das einem Monopol gleichkommende Orgelbauprivileg, das Schnitger im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert in Norddeutschland besaß, war ein absoluter Glücksfall. Dank dieses Vorrechts konnte er in rund fünf Jahrzehnten entlang der Nordseeküste zahlreiche Orgeln höchster Qualität bauen, die Musikfreunde bis heute begeistern.
Geboren wurde Arp Schnitger Anfang Juli 1648 in Schmalenfleth, einem kleinen Dorf in der Wesermarsch. Das genaue Geburtsdatum ist nicht bekannt, wohl aber die Taufe am 9. Juli im nahegelegenen Golzwarden. Schnitger entstammte einer angesehenen Tischlerfamilie. Schon in jungen Jahren wurde er von seinem Vater ebenfalls in das Handwerk des "Snitgers" – niederdeutsch für Tischler – eingeführt, ehe er sich als Lehrling bei seinem Verwandten Berendt Hus in Glückstadt an der Unterelbe dem Orgelbau zuwandte. Höhepunkt dieser Lebensphase war 1673 die Fertigstellung der Orgel in der Stader Kirche St. Cosmae et Damiani, die als eine der bedeutendsten Barockorgeln Norddeutschlands gilt.
Großes handwerkliches und künstlerisches Geschick
In den folgenden Jahren sprach sich Schnitgers handwerkliches und künstlerisches Geschick schnell herum. Nachdem er 1676 die zwischenzeitlich nach Stade verlegte Werkstatt seines Lehrmeisters übernommen hatte, erhielt er nicht mehr nur Anfragen aus der näheren Umgebung, sondern auch aus Bremen und Hamburg. 1682 siedelte er in die Stadt an der Elbe über und erhielt vom Kirchenvorstand der Kirche St. Nicolai den Auftrag für den Bau einer großen Orgel. Fünf Jahre arbeiteten Schnitger und seine Mitarbeiter an dem monumentalen Instrument mit 67 Registern, das nach seiner Fertigstellung als größte Orgel Deutschlands galt und Schnitgers internationalen Ruhm begründete.
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Wenig später wandte sich der Orgelbauer in der Hansestadt bereits dem nächsten Großprojekt zu: Für die Hamburger Kirche St. Jacobi errichtete er teilweise mit Material eines älteren Instruments eine neue Orgel mit 60 Registern, die – nachdem die Orgel in St. Nicolai 1842 beim großen Stadtbrand zerstört wurde – heute als größte erhaltene Barockorgel der Welt gilt. Im Laufe der Jahre spielten auf diesem Instrument berühmte Komponisten wie Dietrich Buxtehude, Georg Friedrich Händel und Johann Sebastian Bach.
In der Folge dehnte sich Schnitgers Wirkungskreis immer mehr aus. Neben Norddeutschland und den Niederlanden wurde er auch für Auftraggeber in England, Russland, Dänemark, Portugal und Spanien tätig. Schwerpunkt seines Handelns blieb jedoch der Nordseeraum zwischen Groningen und Hamburg, wo er – dank zahlreicher Orgelbauprivilegien in mehreren Grafschaften und Herzogtümern sowie der 1708 erfolgten Ernennung zum königlich preußischen Hoforgelbauer – bald tatsächlich eine Art Monopolstellung innehatte.
Ein gebildeter und frommer Mann mit Geschäftssinn
Seit 1684 war Schnitger mit der wohlhabenden Hamburger Kaufmannstochter Gertrud Otto verheiratet, mit der er sechs Kinder hatte. Ab 1705 lebten sie gemeinsam auf dem elterlichen Hof seiner Frau im heute zu Hamburg gehörenden Neuenfelde, wo Schnitger bis zu seinem Tod mit dem "Orgelbauerhof" eine weitere Werkstatt betrieb. Die vier Söhne der Familie ergriffen ebenfalls den Beruf des Vaters, aber nur zwei von ihnen überlebten ihn und führten sein Werk fort. Nach dem Tod seiner ersten Frau heiratete Schnitger 1712 oder 1713 die Organistenwitwe Anna Elisabeth Koch, die er bei der Renovierung einer Orgel in Abbehausen an der Unterweser kennengelernt hatte.
Schnitger, von dem kein gesichertes Porträtbild existiert, war ein überaus gebildeter und frommer Mann. An einigen seiner Orgeln und in vielen seiner Schriftstücke findet sich die damals gebräuchliche Formulierung "Soli Deo Gloria" ("Gott allein die Ehre"), Manuskripte begann er meist mit Formulierungen wie "In Jesu Namen, Amen" oder "Ach Gott, lass mich erwerben ein ehrliches Leben und seliges Sterben". Mit Blick auf sein Gewerbe wird Schnitger ein guter Geschäftssinn nachgesagt. Zugleich ist aber auch bekannt, dass er einige Orgeln zum Selbstkostenpreis baute oder Ratenzahlung ermöglichte, wenn die Kirchengemeinden nicht vermögend genug waren. Er habe, so Schnitger selbst in einer überlieferten Aufzeichnung, "nie viel verlangt, sondern den Kirchen, wenn sie keine ausreichenden Mittel besaßen, zur Ehre Gottes die Orgeln für den halben Preis gebaut".
Im Juli 1719 starb Schnitger in Neuenfelde. Das genaue Todesdatum ist nicht bekannt, allerdings ist seine Beerdigung für den 28. Juli 1719 im Begräbnisbuch der Neuenfelder Kirchengemeinde eingetragen. Gemeinsam mit seiner ersten Frau und einer Tochter wurde er in der Kirche St. Pankratius beigesetzt, in der auch eine seiner Orgeln steht. Schnitgers Grab geriet mit der Zeit zunächst in Vergessenheit, 1971 wurde es jedoch wiederentdeckt und zum Gedenken in der Nähe eine schlichte Steinplatte in den Boden eingelassen.
Der "bedeutendste Orgelbauer der Barockzeit in Nordeuropa"
Nach heutigen Erkenntnissen hat Arp Schnitger zu Lebzeiten rund 105 Orgeln neu gebaut sowie 60 wesentlich umgebaut oder umfangreich repariert. Knapp 40 dieser Instrumente sind noch erhalten, 30 davon am Ursprungsort (vor allem in und um Hamburg sowie in der niederländischen Region Groningen).
Musiker und Orgelexperten sind bis heute von Schnitgers Kunstfertigkeit und dem Klang seiner Instrumente begeistert. Selbst kleinere Orgeln in Ostfriesland oder der Wesermarsch bieten eine große musikalische Vielfarbigkeit, die die Zuhörer schnell in ihren Bann zeiht. Der bekannte Orgelexperte Harald Vogel sieht in Schnitger den "bedeutendsten Orgelbauer der Barockzeit in Nordeuropa". Andere nennen ihn mitunter den "Stradivari des Nordens", weil er für den Orgelbau des 17. und 18. Jahrhunderts das gewesen sei, was sein Zeitgenosse Antonio Stradivari für den Geigenbau war – eine Ausnahmeerscheinung des Musikinstrumentenbaus, dessen Werk immer noch fasziniert.