"Urlaub" in der Bibel: "Ruht ein wenig aus!"
"Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus!" Diese Worte Jesu an seine Jünger findet man im sechsten Kapitel des Markusevangeliums und manch aufmerksamer Bibelleser mag schon gestutzt haben, angesichts einer solchen Anweisung. Denn eigentlich ist man doch ganz anderes gewöhnt von Jesus und seinen Jüngern: Sie predigen das Evangelium, unermüdlich heilen sie Menschen von ihren Krankheiten, nirgends können sie sich in Ruhe aufhalten, weil ihnen das Volk ständig auf den Füßen ist. "Ruht ein wenig aus": In der kirchlichen Leseordnung ist die Perikope für den 16. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B) vorgesehen, der meistens in die Monate Juli bzw. August fällt. Ein sehr schöner Zufall, der vor allem so manchem Prediger in die Hand spielt, der damit die biblische Steilvorlage für eine ferien-/urlaubsorientierte Ansprache hat. Und das Bibelwort zeigt doch auch auf eine unaufdringliche Art und Weise, dass Urlaub und Ferien unserem christlichen Glauben gar nicht so fremd sind.
Ins neue Gotteslob hat ein Lied Eingang gefunden, das sich gut um die Zeit der Mittsommerwende singen lässt: "Das Jahr steht auf der Höhe". Es greift die Gefühle auf, die viele Menschen in dieser Sommerszeit bewegt. Die Hälfte des Jahres ist erreicht, von nun an werden die Tage wieder kürzer werden. Freilich will man davon um dieses Zeit noch nicht viel wissen. Jetzt gilt es erst einmal, die langen Sommertage auszunutzen, den Sonnenschein und die Wärme im Übermaß zu genießen. Mitunter wird die Mittsommerwende in unseren Breiten gar nicht so stark als Jahreshöhepunkt wahrgenommen, da sie in Europa doch eher den Beginn des Sommers markiert. Doch wenn der Tag am längsten ist, beginnt die Nacht zu wachsen, so sagt es der Liedtext, der aus der Feder von Detlev Block stammt. Dies geschieht zunächst kaum merklich, dafür ist ein anderer Gedanke aus dem Lied viel offensichtlicher zu beobachten: Auf die Zeit der Reife und des Wachsens folgen die Erntezeit und die Wochen, in denen Äcker und Felder brachliegen.
"Das Jahr lehrt Abschied nehmen": Wachsen und ernten sind Bilder, die sich auch im christlichen Glauben widerspiegeln. Zuerst liegt es im natürlichen Jahresrhythmus begründet, dass auf die Zeit des Wachsens im Frühling die Ernte im Sommer und Herbst erfolgt. Schon Jesus, der in einer bäuerlich geprägten Gesellschaft in Galiläa lebte, hat auf diesen natürlichen Jahreslauf Bezug genommen: Viele seiner Gleichnisse und Bilder entstammen der Landwirtschaft oder dem bäuerlichen Leben. Am bekanntesten ist wohl das Gleichnis vom Senfkorn, das in die Erde fällt und zum großen Baum heranwächst. Christliches Leben vollzieht sich im Einklang mit der ganzen Schöpfung, die Natur selbst ist ein Abbild dieses Lebens, das vom Werden und vom Vergehen geprägt ist.
Das Leben erfreut sich an der Schönheit der Schöpfung
Eben weil die Schöpfung für den Glauben nicht fremd ist, sondern der Mensch mitten in sie hineingestellt ist, darf sich das Leben an ihrer Schönheit erfreuen. "Geh aus mein Herz und suche Freud in dieser lieben Sommerzeit an deines Gottes Gaben", heißt es in einem geistlichen Sommerlied von Paul Gerhardt. Auch dieser Text verweist auf die Realität, wie sie vielerorts in den Sommermonaten zu erleben ist: Menschen machen sich überall auf den Weg, um ihre Freude im Urlaub zu suchen, um dem alltäglichen Trott zumindest ein bisschen zu entfliehen und die Sommerhitze zu genießen. In manchen Diözesananhang zum Gotteslob hat es dieses Lied geschafft – und für manchen Gottesdienstbesucher mag es beim Singen etwas befremdlich wirken. Denn die schier endlose Aufzählung von fleißigen Bienen, wachsendem Weizen, Storch, Schwalben und aufblühenden Blumen gleicht doch eher einem profanen Volkslied als einem geistlichen Gesang. Und doch zeigt das Lied eine sehr wichtige Erkenntnis: Der Lauf der Jahreszeiten hat seinen Platz im Gottesdienst und selbst das ganze Kirchenjahr ist an diesen wechselnden Zeiten ausgerichtet.
Schon im Alten Testament zeigt sich, dass die großen Festtage des alten Israel mit den Zeiten der Aussaat und der Ernte in Verbindung standen. Bis heute hat sich dieses Gedenken im Judentum bewahrt und wurde vonseiten der Christen übernommen – wenngleich der ursprüngliche Festgedanke aus dem landwirtschaftlichen Leben, wie ihn das Alte Testament beschreibt, im Christentum verlorengegangen ist. Aber all das macht deutlich: Es ist vielleicht sogar ein ‚Muss‘, im Sommer die Schönheit der Natur in ihrer Vielgestaltigkeit zu genießen. Immerhin ist das nicht nur Erholung für Geist und Seele, sondern auch Möglichkeit, dem Schöpfer auf die Spur zu kommen. Schon das Erste Vatikanische Konzil hält in der Konstitution "Dei filius" ausdrücklich fest: "Der Mensch kann Gott, den Ursprung und das Endziel aller Dinge, durch das natürliche Licht seiner Vernunft aus den geschaffenen Dingen mit Gewissheit erkennen." Gerade deshalb es wichtig, besonders im Sommer die Augen offenzuhalten, das Wunder der vielgestaltigen Natur zu genießen und darin den Gott zu erahnen, der die Schöpfung ins Dasein gerufen hat und allem Leben gewährt.
Der Schöpfer zeigt sich auch in der Entspannung
Dieser Schöpfer selbst hat dem Menschen Zeiten zur Erholung und Entspannung eingeräumt. Das zeigt sich schon ganz am Anfang der Bibel, in den Texten, in denen dieses Schöpfungswerk Gottes reflektiert wird. Am siebten Tag, so heißt es im zweiten Kapitel der Genesis, ruhte Gott, als er sein Werk vollendet hatte. Dieser göttliche Ruhetag war schließlich der Ursprung des Sabbat, des wöchentlichen Tag des Ausruhens, der bis heute im Judentum mit großer Sorgfalt bewahrt wird. Dass Arbeit und Ruhe nicht zusammengehen, wussten schon die Menschen im alten Israel. Daher verbot sich auch jegliche Arbeit an diesem besonderen Wochentag. Was manchmal als übertrieben Vorsichtsmaßnahme missverstanden wird, hat eigentlich einen sehr tiefen Sinn: Einen Tag völlig frei zu halten von Arbeit und Verpflichtungen eröffnet die Freiheit, sich ganz auf sich selbst und die eigenen Bedürfnisse konzentrieren zu können. Wer die ganze Woche mit Geschäftigkeit und Betriebsamkeit beschäftigt ist, für den kann ein ganzer Wochentag, an dem man einfach nur nichts machen darf, ein wahrer Moment des Aufatmens und Krafttankens sein. Und so heißt es auch im Buch Exodus als Begründung für den Sabbat: "Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel und Erde gemacht; am siebten Tag ruhte er und atmete auf." (31,17)
Erholung, Ruhe, Aufatmen – gerade jetzt in der heißen Sommerzeit: Das ist dem christlichen Glauben nicht fremd, sondern tief in seine DNA eingeschrieben. So ist die Bibel voll von zahlreichen Beispielen, in denen Menschen sich der Hektik des Alltags entziehen, um in stillen Momenten zu sich selbst und dadurch auch zu Gott zu finden. Elija, als er am Horeb weilt und sich den Tod wünscht, schläft und stärkt sich mit der Speise des Engels, bevor er seinen Verkündigungsauftrag wahrnimmt (vgl. 1 Kön 19,5ff). Jesus weist seine Jünger zur Erholung an – und diese nehmen das gerne wahr, auch in der schwersten Stunde Jesu, am Ölberg. Der junge Eutychus ist gar von der nicht enden wollenden Predigt des Paulus so ermattet, dass er am offenen Fenster einschläft, in den Tod stürzt und erst von Paulus wieder ins Leben gerufen werden muss (Apg 20,9ff). Und im 127. Psalm heißt es gar: "Den Seinen gibt der Herr Schlaf".
Warum sind Erholung und Urlaub aus der Perspektive des Glaubens so wichtig? Einerseits, um mit neuer Kraft und mit viel Elan Gottes Reich in dieser Welt anbrechen zu lassen und das Evangelium Jesu mit Wort und Tat zu verkünden. Andererseits aber auch, um gerade in den Momenten des Aufatmens Gott selbst zu begegnen; denn er hat diese Freiräume geschaffen, um den Menschen die Möglichkeit zu gewähren, inmitten der Hetze des Alltags ihm auf die Spur zu kommen. Er selbst ist es ja, der den Menschen immer neu die Chance eröffnet, zu neuer Größe heranzuwachsen und das eigene Menschsein in ungeahnter Weise zu entfalten. Und wann geht das besser, als im Urlaub?