Die katholische Kirche, die Grünen und ein unvergessenes Zitat
Als die Spitzen der Deutschen Bischofskonferenz jüngst mit jenen von Bündnis 90/Die Grünen zusammenkamen, fehlte in den meisten Berichten ein Zitat nicht: "Das Tischtuch ist zerschnitten." Damit beschrieb vor über 30 Jahren der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Hans Maier (88), das damalige Verhältnis zu den Grünen. Im Gespräch erzählt der CSU-Politiker und einstige bayerische Kultusminister, wie es dazu kam, wo es heute Schnittmengen gibt und von grüner Politik in der eigenen Familie.
Frage: Professor Maier, können Sie das Zitat vom zerschnittenen Tischtuch überhaupt noch hören?
Maier: Es ist längst Geschichte. Bei einer Pressekonferenz beim Aachener Katholikentag 1986 wollte Vatikan-Journalist Eberhard von Gemmingen von mir wissen, wie das denn nun mit den Grünen und der Kirche sei. Damals forderten die Grünen die komplette Abschaffung des Abtreibungsparagrafen 218. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Joseph Höffner, hatte sich heftig dagegen gewandt. Ich schloss mich an, und das ZdK lud deshalb keine Grünen zum Katholikentag ein. Den Vergleich mit dem "zerschnittenen Tischtuch" machte ich spontan. Ich habe ihn nie mehr wiederholt.
Frage: Wann hat man angefangen, an diesem Tischtuch zu flicken?
Maier: Man hat sich einfach wieder zusammengesetzt, vor allem auf individueller Ebene.
Frage: Aber erst 2001 wurde eine grüne Katholikin ins ZdK berufen, Christa Nickels.
Maier: Die Kirche bewegt sich eben langsam, und mit ihr auch die katholische Laienwelt. Was die frei gewählten Mitglieder des ZdK betraf, war das in den 1960er Jahren eine reine Unions-Geschichte. Erst später kam mit Georg Leber der erste prominente Sozialdemokrat dazu. Die Grünen folgten noch später; sie haben eine Annäherung vollzogen.
Frage: Warum tat sich die Kirche dennoch mit den Grünen so schwer?
Maier: In ihren anarchischen Anfangszeiten wollten die Grünen das ganze Staat-Kirche-System umstürzen. Heute stehen sie für Forderungen, die sogar innerhalb der katholischen Welt geteilt werden, wie etwa die Ablösung der Staatsleistungen. Einzelne Landesverbände wollen allerdings den Religionsunterricht abschaffen und ihn komplett durch Ethik ersetzen. Inzwischen habe ich aber den Eindruck, dass die Attacken auf das Staatskirchenrecht oder die Kirchensteuer weniger geworden sind. Die Grünen wollen darüber kein Gezänk mehr anfangen, die Gemeinsamkeiten scheinen ihnen wichtiger zu sein.
Frage: Wo liegen diese?
Maier: Das große Jahr der Migration 2015 dürfte wesentlich gewesen sein. Die Bundeskanzlerin war aufseiten der Kirche, aber in den Unionsparteien hat sich damals eine Absetzbewegung entwickelt. Da sind die Grünen und die in die Enge getriebene katholische Welt von Laien, Entwicklungs- und Flüchtlingshelfern einander näher gekommen. Man ist sich ferner einig, dass man vor Ort für Frieden sorgen muss. Aber Ländern in Afrika etwa könne man nicht europäische Muster überstülpen, diese müssten sich eine Lösung aus der eigenen Kultur erarbeiten. Dieses Denken kommt aus der katholischen Soziallehre.
Frage: Wer hat sich mehr angenähert, die Kirche den Grünen oder umgekehrt?
Maier: Ich glaube beide einander, selbst wenn dies nicht bewusst passiert ist. Die ganze Welt hat sich verändert. Unser Parteiensystem ist ein anderes geworden, neue Themen sind in den Vordergrund getreten, wie Ernährung, Wohnen, Umwelt- und Artenschutz oder das Zusammenleben verschiedener Kulturen. Daraus ergeben sich neue Konstellationen. Das hat die Grünen mehr in die Mitte gebracht. Sie haben ja auch regieren gelernt. Erinnert sei an Winfried Kretschmann oder Joschka Fischer - übrigens beide Katholiken.
Frage: Sind Sie von Ihren sechs Töchtern am Esstisch mit grünen Themen konfrontiert worden?
Maier: Mit grünen und roten Themen. Die 68er-Lehrer haben auch auf meine Kinder eingewirkt. Meine älteste Tochter schaffte es als 17-jährige Gymnasiastin mit ihrer Kritik am Schulsystem und an der Familie bis in den "Spiegel". Damals warf mir Franz-Josef Strauß vor, meine Familie nicht im Zaum halten zu können. Ich sagte dazu: "Du wirst es nicht glauben, wir streiten uns eine Stunde, dann setzen wir uns ans Klavier und spielen miteinander, oder sie singt und ich begleite sie." In der Politik muss Freiheit herrschen, da muss man Konflikte aushalten. Eine Enkelin von mir kandidiert übrigens für die Grünen in Berlin.
Frage: Eine tolerante Familie ...
Maier: Lustig ist ja, dass ich, als ich 1963 nach Bayern kam, als linker Revoluzzer galt. Grund war mein Buch "Revolution und Kirche". Diesen Ruf habe ich in meiner Zeit als bayerischer Kultusminister gründlich verloren. Ich nehme für mich in Anspruch, dass ich nie ein Konservativer und nie ein Linker war. Mein Ort war immer die radikale Mitte. Ich bin aber nach allen Seiten offen für Gespräche. Wenn Menschen mit vernünftigen Gründen für etwas kämpfen und dabei Rücksicht nehmen auf ihre Gegner, tut das unserer Demokratie gut.
Frage: Die Gretchenfrage dieser Tage lautet: Wie hältst Du es mit der AfD? Wird sich am Ende das Verhältnis der Kirche zur AfD ähnlich wie das zu den Grünen entwickeln?
Maier: Das lässt sich schwer vergleichen. Die Grünen sind auf die Institution Bundesrepublik zugegangen und tragen heute zur Stabilität dieses Gebildes in einem populistischen Europa bei. Bei der AfD findet sich ein wirres Gedankengemisch. Ich glaube nicht, dass das eine Zukunft hat. Man wird mit ihnen sprechen müssen. Aber einen Annäherungsprozess wie bei den Grünen kann ich mir nicht vorstellen.