Jenseits gängiger Formate
Aber nützliche Berufserfahrungen, die seine Mitbrüder nicht haben. Und Lebenserfahrung. An diesem Donnerstag wird der 57-Jährige als 105. Erzbischof von Canterbury und geistlicher Führer der Anglikaner feierlich ins Amt eingeführt.
Bei der Wahl des neuen Primas hat Justin Welby tatsächlich alle Favoriten hinter sich gelassen. Der frühere Öl-Manager und Finanzexperte von Elf Aquitaine war womöglich die Lösung für ein Patt. Denn die Favoriten der Buchmacher, teilweise schon seit Monaten gehandelt, kamen nicht durch.
Ein Quereinsteiger
Und Welby scheint eine sehr gute Lösung. Ein spannender Typ, ein echter Quereinsteiger. Der Eton-Absolvent, Jurist, Manager, Theologe und Familienvater wurde erst 1993 zum Priester und erst im Oktober 2011 zum Bischof geweiht.
Management-Qualitäten gingen seinem Vorgänger, dem brillanten Intellektuellen und Feingeist Rowan Williams (63) als Primas zuweilen ab; er suchte vor allem den Kompromiss im Dialog. Welby steht für Realitätssinn, eine enorme Auffassungsgabe und Weltläufigkeit, die ehemalige Geschäftskollegen und Amtsbrüder ihm bescheinigen.
Welbys Berufsausbildung ist makellos: Schulabschluss in Eton; Jura und Geschichte in Cambridge und Dublin; Managerposten in Paris und London, bei denen es etwa um die Finanzierung von Ölförderprojekten in Nigeria ging. Parallel engagierte sich Welby bereits als Laie in einer anglikanischen Gemeinde im Londoner Stadtzentrum. Der Unfalltod seiner kleinen Tochter - einem von insgesamt sechs Kindern - brachte ihn Gott näher.
Ein Träumer mit Realitätssinn
1989 dann die radikale Umorientierung: Theologiestudium, Diakonen- und Priesterweihe, Ämter als Pfarrer, Kanoniker in Coventry (seit 2002) und von 2007 bis 2011 als Dekan der Kathedrale von Liverpool. Dabei weist Welbys Karriere als Seelsorger auch Stationen in sozialen Brennpunkten auf. Weggefährten schwärmen von seinem gewinnenden Wesen, von Freundlichkeit und Überzeugungskraft.
Seine Karriere in der Ölindustrie bedeutet offenbar keine ideologische Nähe zum Finanzsektor - im Gegenteil. Im Parlament sitzt Welby (als Oberhausmitglied) im Ausschuss für Bankenaufsicht. Er kritisiert den Umgang mit der Finanzkrise als einen hektischen Aktivismus, der aber "keinerlei sozialen Zweck verfolgt". Welby verlangt eine Wiederherstellung des zerstörten sozialen Zusammenhaltes, des Gemeinwohls und der Solidarität - ohne freilich darüber seinen Realitätssinn zu verlieren. Einer Kappung von Banker-Boni erteilte er kürzlich eine klare Absage: Solche Rasenmähermethoden wisse die Branche mit Sicherheit zu umgehen.
Frauenweihe weiter auf der Agenda
Der 105. Erzbischof von Canterbury ist auch als Sanierer gefragt, was die Frage der inneren Kircheneinheit angeht. Dabei hat er, selbst ein Mitglied des evangelikalen Kirchenflügels, zum Erhalt der Kircheneinheit denselben Spagat auszuhalten wie sein eher liberaler Vorgänger. Schon unmittelbar nach seiner Wahl musste er bei der Abstimmung über die Zulassung von Frauen zum Bischofsamt eine herbe Niederlage einstecken. Sein leidenschaftliches Plädoyer für Bischöfinnen, um den Blick endlich wieder nach vorn richten zu können, lief ins Leere. Das quälende Thema bleibt auf der Agenda.
Für den schweren Job ist der Manager Welby ebenso gefragt wie der Versöhner. Auch als Kirchenoberhaupt agiert er mit einer so überzeugenden wie entwaffnenden Menschlichkeit und Offenheit. Über die Wunden in seinem Leben spricht er unverhohlen, zuletzt über den Alkoholismus seines Vaters - und dass seine Ehefrau den Auftrag habe, auch in dieser Hinsicht auf ihn zu achten. In solchem Freimut steckt Mut - und Kraft. Von einer solch kraftvollen Persönlichkeit sind einige Impulse zu erwarten.
Von Alexander Brüggemann (KNA)