Liturgie im Wandel

Gottesdienst ist kein Angebot, sondern Aufgabe

Veröffentlicht am 17.08.2019 um 14:01 Uhr – Lesedauer: 

Kirchliches Leben ist im Wandel. Doch dass Strukturreformen und Priestermangel sich auch auf die Feier der Gottesdienste auswirkten, sei innerhalb der Kirche viel zu lange ignoriert worden, klagen Liturgiewissenschaftler. Sie äußern nun eine ganze Reihe von Ideen, wie die Liturgiefeiern künftig aussehen könnten.

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Katholischer Glaube ist ohne Gebet und Gottesdienst nicht vorstellbar. Es geht dabei aber nicht um ein bloßes Hören und Sprechen von Texten. Wer Liturgie feiert, begibt sich in ein Gefüge von Gesten, Haltungen, Gesängen und Bewegungen. Gewänder in roter, violetter, grüner oder weißer Farbe, der Duft von Weihrauch, dröhnender Klang der Orgelpfeifen – ein Gottesdienst spricht den Menschen auf jeder sinnlichen Ebene an. Hinzu kommt, was manche "fromme Turnübungen" nennen: Stehen, Knien, Verneigen, Bekreuzigen. Liturgische Farben, Gewänder, Geräte und Körperhaltungen sind Teil jedes Gottesdienstes.

Die Liturgie (von griechisch λειτουργία - leiturgía) ist der öffentliche Gottesdienst der Kirche. Das öffentliche und gemeinsame Gebet des Volkes Gottes gilt als einer der Grundvollzüge der Kirche. Zur Liturgie gehören in der katholischen Kirche die Eucharistiefeier, die Feier der Sakramente, das Stundengebet, Wort-Gottes-Feiern oder auch Andachten und Segnungsfeiern. Nach den Worten des Zweiten Vatikanischen Konzils ist die Liturgie "der Höhepunkt, dem das Tun der Kirche zustrebt und gleichzeitig die Quelle, aus der all ihre Kraft strömt." (SC, Nr. 10)

Liturgie im frühen Christentum

"Es muss erfahrbar werden, dass eine Gemeinschaft vor Gott versammelt ist und dass die liturgische Feier einen Raum der Begegnung mit Gott ermöglicht", sagt der Leiter des Deutschen Liturgischen Instituts, Marius Linnenborn, im Gespräch mit katholisch.de.

Das war schon in der frühchristlichen Zeit Sinn und Zweck der Liturgie. Aus dem frühen Christentum sind örtliche Versammlungen kleinerer Gruppen bekannt, die sich trafen, um biblische Texte zu hören und das eucharistische Mahl zu feiern. Eine regelmäßige sonntägliche Versammlung ist überliefert, im Jakobus-Brief liest man von einer Krankensalbung, in anderen Texten des Neuen Testaments von Gebeten zu bestimmten Tageszeiten.

Mönche mit Gebetbüchern
Bild: ©KNA

Die Tageszeiten- oder Stundenliturgie ist schon früh überliefert.

Wichtig war dabei für die ersten Christen die Gemeinschaft und Regelmäßigkeit. Die Treffen hatten einen identitätsstiftenden Charakter. Andererseits boten sie die Möglichkeit, sich von der religiösen Umwelt abzusetzen. Das, was christliche Liturgie ausmache, sei oft unter Einfluss der religiösen Umwelt entstanden, habe aber eine spezifisch christliche Interpretation erhalten, erklärt der Liturgiewissenschaftler Benedikt Kranemann.

Die religiöse und kulturelle Umwelt hatte zu allen Zeiten der Kirchengeschichte Einfluss auf die Liturgie, die sich zusammen mit Kirche, Gesellschaft und Kultur verändert. So kann ein Ritus – auch wenn er nach außen gleich bleibt – aufgrund veränderter Spiritualität neu verstanden und anders erlebt werden als von Generationen davor.

"Die Grundstrukturen der Liturgie bleiben und die Tradition wird fortgeschrieben, aber das Verständnis und die Gestaltung hat viel mit dem Einfluss der Kultur der Gegenwart zu tun", so Kranemann.

Kirchliches Leben im Wandel

Die Kultur der Gegenwart beeinflusst auch heute kirchliches Leben. Nicht nur in Kirchenmusik oder Kirchenbau mache sich dieser Einfluss bemerkbar, sondern ebenso in gottesdienstlichen Feiern, sagt Kranemann. Segnungsfeiern für Paare am Valentinstag nennt er als ein Beispiel. Denn obwohl der heilige Valentin vermutlich bereits im 3. Jahrhundert lebte, setzt sich sein Gedenktag erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts in Deutschland als der Tag der Liebenden durch.

Herzstück der gottesdienstlichen Feierformen bleibt jedoch die Eucharistie, die "Quelle und Zentrum des kirchlichen Lebens" ist, wie es das Zweite Vatikanische Konzil festgehalten hat (LG 11). In der Feier der Eucharistie werde das, was Kirche ist, am tiefsten sichtbar, sagt auch Linnenborn.

Ein Bischof hält die Hostie während der Wandlung zur Elevation empor.
Bild: ©Katharina Ebel/KNA

Die Eucharistie soll "Quelle und Zentrum des kirchlichen Lebens" sein.

Die Eucharistie kann allerdings nicht gefeiert werden, wenn kein Priester vor Ort ist. Dass Probleme wie der Priestermangel und die damit verbundene eingeschränkte Möglichkeit Eucharistie zu feiern, auf die Kirche zukämen, sei aber seit Jahrzehnten bekannt und kein neues Phänomen, sagt Liturgiewissenschaftler Kranemann. Man habe jedoch mit den entscheidenden Schritten zu lange gewartet und warte immer noch. "Man hätte die Frage der Zulassung zur Ordination und der "viri probati" frühzeitiger und offensiver diskutieren müssen", sagt er.

Kranemann glaubt nicht, dass eine Gemeinde als "Reisebetrieb" funktionieren kann, wenn vor Ort keine Eucharistie mehr gefeiert wird. "Wenn man den Gottesdienst vor Ort aufgibt, stellt das langfristig die Existenz von Gemeinden in Frage.", so Kranemann. Worüber man nachdenken müsse, seien andere Formen von gottesdienstlicher Versammlung wie Wort-Gottes-Feiern, Segnungsgottesdienste und auch ökumenische Andachten. "In Gebieten, wo es nur noch ganz kleine Anteile katholischer und evangelischer Christen gibt, sollte man überlegen, ob es nicht ökumenische Gottesdienste geben kann, damit christliches Leben vor Ort überhaupt Bestand hat.", schlägt Kranemann vor.

Liturgie ist die Aufgabe von Gemeinde

Gottesdienst und Gebet dürften nicht nur Sache der Priester und Hauptamtlichen sein, sagt Linnenborn. Auch Laien und Ehrenamtliche sind berufen, Verantwortung für den Gottesdienst und das Gebet der Kirche zu tragen. "Ein Gottesdienst ist kein Angebot wie ein Konzert oder ein Vortrag, sondern eine Aufgabe aller Getauften."

Natürlich sei dafür Ausbildung und Vorbereitung notwendig. Dem stimmt auch Nicole Stockhoff, Leiterin der Fachstelle Gottesdienst im Bistum Münster, zu: "Um einen liturgischen Leitungsdienst zu übernehmen, bedarf es eines koordinierten und angepassten Qualifizierungskonzeptes in den Bistümern."

Bild: ©KNA/Lukas Barth

Ein Gottesdienst ist kein Angebot, sondern eine Aufgabe aller Getauften.

Dem Leiter des Deutschen Liturgischen Instituts bleibt es bei aller Vielfalt liturgischer Gestaltungsmöglichkeiten ein Anliegen, dass ein Sonntagsgottesdienst so gestaltet wird, dass möglichst alle Generationen gemeinsam Eucharistie feiern könnten. Man müsse versuchen, die Interessen aller, die vorher noch aus einem Angebot von Früh- und Langschläfermesse, Familienmesse oder Hochamt wählen konnten, zu vereinen. "Das ist doch gerade das Besondere an christlicher Gemeinde: Sie umfasst alle, nicht nur die Gebildeten oder Reichen. Alle feiern solidarisch miteinander Gottesdienst", sagt er.

Das hat für Linnenborn den Charakter eines Alleinstellungsmerkmals: "Vieles andere, das wir als Kirche tun, wie zum Beispiel karitativ tätig zu sein, machen andere Menschen auch. Dabei wird nicht sofort erkennbar, dass wir Christen sind." Im Feiern des Gottesdienstes werde Kirche aber in ihrem Kern erlebbar.

Lebensnahe und beziehungsstarke Gottesdienste 

Für Nicole Stockhoff müsste deshalb der Gottesdienst einen noch viel höheren Stellenwert einnehmen, statt bei ihm einzusparen. "Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir es in der Kirche immer noch nicht wahrhaben wollen, dass wir in der Gesellschaft eine Glaubenskrise verspüren und sich einige Menschen bewusst gegen Kirche und ihren Feierformen entschieden haben." Es würden Konzept- und Strukturpapiere geschrieben, ohne einmal innerkirchlich zu fragen, wie es um das eigene Glaubensleben und ein Leben aus der Eucharistiefeier stünde.

In vielen Pastoralplänen im Bistum Münster sei es derzeit ausdrücklicher Wunsch, lebensnahe und beziehungsstarke Gottesdienste zu feiern, sagt Stockhoff. Oft heißt es darin: "Unsere liturgischen Feiern sollen einen Raum eröffnen, damit Menschen mit sich selbst, mit anderen und mit Gott in Berührung kommen." Nicole Stockhoff ist überzeugt: "Genau diese Sätze gilt es in den nächsten Jahren in den Blick zu nehmen. Wir müssen verstärkt miteinander ins Gespräch darüber kommen, wie diese gottesdienstlichen Feiern vor Ort umgesetzt werden und wie es wirklich zu einem Beziehungsgeschehen zwischen Gott und Mensch kommen kann."

Von Hannah Küppers