"Viele sind von der Glaubensverkündigung gelangweilt"
Frage: Herr Warmbrunn, wie schätzen Sie aktuell die Stimmungslage der württembergischen Katholiken ein?
Warmbrunn: Natürlich prägt die Missbrauchsproblematik die Stimmung. Aber es geht nicht nur darum, es geht auch um Glaubensverkündigung und Glaubensvermittlung - viele sind davon enttäuscht und gelangweilt.
Es gelingt einfach nicht, der dürftigen Botschaft des Materialismus etwas entgegenzusetzen. Der Glaube müsste spürbar beglückend sein und froh machen, aber nicht traurig oder wütend. Die Botschaft der geschenkten Freiheit, wo ist sie? Wir hören Formeln, Mahnungen, Belehrungen. Und die Kirche hält an Dingen fest, um die es im Kern überhaupt nicht geht.
Frage: Welche Erwartungen haben Sie an den "synodalen Weg"?
Warmbrunn: Insgesamt bin ich skeptisch. Der Dialogprozess der Bischofskonferenz hat aus meiner Sicht auch nichts gebracht. Wenn jetzt am Ende nur ein Brief an den Papst herauskommen soll, ist das Ziel nicht sehr hoch gesteckt. Die Themen Macht, Partizipation und Gewaltenteilung, die Sexualmoral und die priesterliche Lebensform sind natürlich gut gesetzt. Einen Beschwichtigungsprozess brauchen wir aber nicht, es müssen sehr konkrete Veränderungen herauskommen.
Frage: Glauben Sie, dass die Amazonas-Synode dem "synodalen Weg" auf die Sprünge helfen könnte?
Warmbrunn: Ja. Denn es geht ja darum, in bestimmten Situationen und Notlagen von vorgegebenen Wegen abweichen zu können. Natürlich ist die Situation am Amazonas anders als bei uns. Aber wie versteht man Notlage? Sind die große Enttäuschung und Resignation über die Kirche nicht auch eine Notlage? Ich bin überzeugt: Wir brauchen in der katholischen Kirche Sonderwege und können uns nicht immer wieder auf das Gleichheitsprinzip berufen. Vielfalt muss eine Rolle spielen.
Frage: Zum Dauerbrenner scheint sich Maria 2.0 zu entwickeln.
Warmbrunn: Ja. Mit dem Lehrschreiben von Papst Johannes Paul II. über die Ämterfrage habe ich ein erhebliches Problem - vor allem mit dem 'ein für alle Mal'. Eine solche Festlegung für die Ewigkeit steht nur Gott zu. Ich fordere eine dogmatische und kirchenrechtliche Diskussion - eine Wandlung von Lehrmeinungen hat es in unserer Kirche schon immer gegeben, das ist nichts Besonderes.
Die Ungleichbehandlung von Frauen kann nicht der Wille Gottes sein. Das spüren die Menschen. Die eucharistische Botschaft besteht darin, Macht, Geld und Kompetenz in Liebe zu teilen. Alles, was gut ist, vermehrt sich durch Teilen in Liebe. Die konsequente Gleichbehandlung und Gleichberechtigung aller Frauen weltweit wäre für unsere Weltkirche eine wahrlich begeisternde Aufgabe!
Frage: Sie wollen also nicht warten, bis auch der letzte Verfechter patriarchaler Strukturen in Änderungen einwilligt.
Warmbrunn: Eben nicht. Gleichheit, Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit gehören zum Schöpfungsprinzip. Das müssen wir in die Weltkirche hineinwirken.
Frage: Und was halten Sie davon, wenn das auch im Weltmaßstab einzigartige Rottenburger Modell der Mitbestimmung in die Weltkirche hineinwirken würde?
Warmbrunn: Auch wenn wir im Vergleich zu den evangelischen Landeskirchen einen Schritt zurück sind. Es stimmt: Wir können gestalten, auch wenn das Wort des Bischofs ein sehr hohes Gewicht hat. Im Haushaltsrecht haben wir tatsächlich die Möglichkeit, Vorlagen zu stoppen. Und in dem Gremium haben die Laien die Mehrheit! Vom Denken in absolutistischen Strukturen, wie es einigen Teilen der Weltkirche noch vorherrscht, müssen wir endgültig Abschied nehmen. Wir brauchen in allen Fragen Dialog auf Augenhöhe.