Gesetz gegen Alkoholismus begründete Belgiens Starkbierkultur

Wie Ordensleute vor 100 Jahren die Sozialisten austricksten

Veröffentlicht am 29.08.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Brüssel ‐ Nach dem Ersten Weltkrieg wollte Belgiens Regierung gegen den in der Arbeiterschaft verbreiteten Alkoholismus vorgehen. Mit Erfolg – aber auch mit interessanten Nebenwirkungen: Findige Ordensleute machten aus der Not eine Tugend.

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Es war eine der ärgsten Unsitten der Industrialisierung: Die Arbeiter erhielten am Monatsende ihre Lohntüte bar auf die Hand, ließen sich mit dem Geld volllaufen, und ihre Frau und Familie mussten in Hunger und Elend bleiben. Besonders perfide war, wenn die Unternehmer auf dem Firmengelände eigene Kneipen aufmachten und die ausgezahlten Gehälter quasi binnen weniger Stunden wieder einsammelten.

Nach dem Ersten Weltkrieg wollte Belgiens sozialistische Regierung per Gesetz gegen den verbreiteten Alkoholismus in der Arbeiterschaft vorgehen. Und das sogenannte Vandervelde-Gesetz vom 29. August 1919 erreichte vor 100 Jahren tatsächlich einiges. Es hatte aber auch interessante Nebenwirkungen, wie die Geschichte der belgischen Bierkultur zeigt.

Auf 40 Einwohner kam ein Bistro

Während in den USA im Januar 1919 die totale Alkoholprohibition beschlossen und 1920 mit Verfassungsrang faktisch verhängt wurde, war der Ansatz des belgischen Premierministers Emile Vandervelde (1866-1938) behutsamer: Im Kern besagte sein Gesetz, dass Hochprozentiges über 18 Prozent nicht mehr im öffentlichen Raum ausgeschenkt werden durfte.

Und Belgiens Cafe- und Kneipendichte war erheblich: 1889 kam landesweit auf 40 Einwohner ein Bistro, inklusive der berüchtigten Firmenkneipen. Nun blieb nur noch der (begrenzte) Verkauf von Spirituosen in Getränke- und Lebensmittelläden ohne Ausschank gestattet. Zusätzlich vermieste eine Vervierfachung der Steuer den Brennereien das Geschäft.

Hopfen, Gerste und Bier.
Bild: ©Printemps/Fotolia.com

Gerste und Hopfen sind für die Bierherstellung existenziell.

Des einen Leid ist meist des anderen Freud. Das Brauwesen im Land machte sich den Rückschlag beim Hochprozentigen mit einer guten Geschäftsidee zunutze. Belgien hat eine lange Brautradition; weil Gerste, Hopfen und exzellentes Wasser als Grundstoffe vorhanden sind. Aber auch weil die Spanischen Niederlande angesichts der protestantischen Verfolgungen in den Nachbarländern eine große Aufnahmetradition für katholische Orden besaßen. Und Ordensleute waren nun mal gute Brauer - die ihre Produkte angesichts der neuen Gesetzeslage nun geschickt fortzuentwickeln wussten. So ist die Häufung von Trappistenbieren in Belgien keineswegs Zufall.

In unserem Nachbarland ist das Brauereiwesen weit weniger Beschränkungen unterworfen als etwa in Deutschland. Hierzulande sind durch das Reinheitsgebot von 1516 als Zutaten nur Hopfen, Malz, Hefe und Wasser zugelassen. In England wurde 1880 die Malzsteuer durch die Besteuerung von Höherprozentigem ersetzt; die Dominanz von Leichtbieren war die Folge.

Belgische Biere sind für Aromenvielfalt bekannt

Belgiens Brauer dagegen, auch die Klöster, erhöhten angesichts erhöhter Nachfrage den Alkoholgehalt ihrer Produkte nach und nach von 5 auf bis zu 13 Volumenprozent. Viele Klassiker der belgischen Bierkunst wurden damals entwickelt. Das Vandervelde-Gesetz war damit zwar kein Fehlschlag - aber es wurde, sagen wir, doch etwas verwässert.

Belgiens Bierkultur wird im gesamten sonst so zerstrittenen Land gelebt. Überall gibt es Brauereien, Klöster, Museen, Kurse und Seminare, Feste und Veranstaltungen, Restaurants und Kneipen, die zur Kreativität und Vielfalt der Bierlandschaft beitragen.

Die Frucht- und Karamel-Aromen der belgische Starkbiere werden von Liebhabern gerühmt. Seinen vollen Geschmack entfalten sie, so will es das Bier-Marketing, nur im Originalglas und bei einer Trinktemperatur zwischen 12 und 14 Grad. Von alledem konnte Premier Vandervelde vor 100 Jahren noch nichts ahnen. Aber wenn doch: Hätte er sich wohl für den Feierabend ein, zwei Fläschchen beiseite gestellt?

Von Alexander Brüggemann (KNA)