Nach Wahlen: Bestürzung über AfD-Erfolg und Aufrufe zum Dialog
Die Reaktionen von Religionsvertretern nach den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen sind von Bestürzung und dem Blick nach vorne geprägt. Der Berliner Erzbischof Heiner Koch rief zu Dialog und Zusammenarbeit auf. Ab sofort müsse es "wieder um die drängenden Themen gehen, wie den Strukturwandel in der Lausitz, den Fachkräftemangel, eine gute Bildung und eine Anpassung der Lebensverhältnisse in Stadt und Land", sagte Koch am Sonntagabend. Der Erzbischof warb dafür, parteiübergreifend nach Lösungen zu suchen: "Langwierige und eigensinnige Koalitionsverhandlungen schaden dem Ansehen der Politik und vor allem dem Land."
Der Dresdner Bischof Heinrich Timmerevers und sein evangelischer Amtskollege Carsten Rentzing riefen dazu auf, das Wahlergebnis zu akzeptieren. "Unterschiedliche politische Überzeugungen sind zu respektieren, Fairness und Toleranz sind Tugenden, die unsere Gesellschaft – auch jetzt – braucht", erklärten die beiden Bischöfe in einer Stellungnahme. Es sei nun der gemeinsame Auftrag aller Gewählten, eine Politik für die Menschen zu gestalten und verantwortlich zu handeln. "Dazu gehören Sacharbeit, politischer Diskurs, das Gespräch miteinander und die stete Bereitschaft, aufeinander zuzugehen. Demokratie ist immer auch Streit um die besseren Ideen", betonten Timmerevers und Rentzing.
"Nutzen Sie Ihre Möglichkeiten und bringen Sie sich ein"
Die Bischöfe forderten die Bevölkerung auf, sich weiter für ein gelingendes Miteinander in einzusetzen: "Nutzen Sie Ihre Möglichkeiten und bringen Sie sich ein. Weder die Freiheit noch die Verantwortung enden mit dem heutigen Tag bis zur kommenden Wahl." Demokratie brauche Menschen, die sie aus Überzeugung und mit Lebendigkeit gestalteten. Den gewählten Politikern wünschten Timmerevers und Rentzing eine hohe Sensibilität für die Sehnsucht der Menschen nach Freiheit, Sicherheit und einem gerechten Miteinander.
Vertreter des Judentums und Holocaust-Überlebende zeigten sich bestürzt über die Wahlergebnisse der AfD. In beiden Ländern setze sich "der Trend in die rechtsextreme und von Wut und Hass dominierte Welt der AfD fort", erklärte der Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner. Wenn "mehr als jeder fünfte Bürger in dieser Richtung abbiegt, hat die Demokratie in Deutschland ein ernstes Problem", warnte er.
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, forderte eine klare Abgrenzung der anderen Parteien von der AfD. "Man darf jetzt auf keinen Fall ihrer Anbiederung folgen, die - wie inzwischen von Parteichef Gauland mehrfach zu hören war - das Wort 'bürgerlich' für die Partei beansprucht", sagte Schuster der "Jüdischen Allgemeinen" (Montag). Die Ergebnisse der Wahlen seien "ein wenig besser", als zeitweise befürchtet, so Schuster. "Trotzdem wäre es verheerend, sich jetzt, da die AfD weder in Potsdam noch in Dresden stärkste Fraktion geworden ist, entspannt zurückzulehnen und weiterzumachen wie bisher." Der Wahlkampf in den vergangenen Wochen habe deutlich gezeigt, dass es notwendig und erfolgreich sei, auf die Menschen zuzugehen und "nicht Politik von oben" zu machen, sagte der Zentralratspräsident.
Laut vorläufigem amtlichen Endergebnis ist die AfD in beiden Ländern zweitstärkste Kraft: In Sachsen kommt sie demnach auf 27,5 Prozent (CDU: 32,1), in Brandenburg auf 23,5 Prozent (SPD: 26,2). Sie verzeichnete jeweils Stimmenzuwächse im zweistelligen Prozentpunktbereich.
Der Direktor der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen, Thomas Arnold, sieht die Kirchen in einer wichtigen Rolle. "Kirche muss - trotz aller eigenen Strukturveränderungen - dort für die Menschen da sein, wo sie sich abgehängt fühlen, etwa im ländlichen Raum", sagte Arnold am Montag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Wichtig sei vor allem, die Bürgerdialoge im Land fortzusetzen. "Wir brauchen diese Debatten über und für das Gemeinwohl. Das ist keine Aufgabe einer Regierung, sondern aller gesellschaftlichen Player im Land."
"Nicht an jedem dritten Gartenzaun steht bei uns ein Neonazi"
Zugleich betonte er: "Nicht an jedem dritten Gartenzaun steht bei uns ein Neonazi." Doch gebe es im Osten mit dem Jahr 1989 eine "ganz verstärkte Biografie-Bruch-Erfahrung". "Der Osten braucht kein Mitleid. Aber einen realistischen Blick, wertschätzende Kritik und den Mut, seine eigene Geschichte zu erzählen", sagte Arnold. "Ich glaube, wir müssen uns enorm bemühen, als Kirche Katalysatoren für diesen Dialog zwischen Ost und West, jung und alt, Stadt und Land zu werden."
Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, bezeichnete die AfD-Ergebnisse als "erschreckend". Es sei schockierend, dass eine "so offen rechtsradikal, antidemokratisch und oft genug auch antisemitisch auftretende Partei" in beiden Ländern derart stark habe abschneiden können, erklärte Knobloch am Sonntag. Ein erheblicher Teil der Wähler habe, bis weit in die Mitte hinein, eine Partei gestärkt, "die unsere parlamentarische Demokratie erklärtermaßen gering schätzt". Alle demokratischen Parteien müssten langfristig vor allem Wege finden, um denjenigen, die dieser Partei ihre Stimme gegeben haben, wieder ein überzeugendes Angebot zu machen und sie so ins demokratische Lager zurückzuholen. "Der Schockzustand am Abend der Wahl darf nicht der Normalzustand werden", sagte Knobloch.
Der evangelische Bischof Markus Dröge sprach am Sonntagabend von einem klaren Signal zum Dialog mit enttäuschten Bürgern und zur Problemlösung. Das hohe Stimmungsergebnis für die AfD sei "eine echte Problemanzeige für das Lebensgefühl in Brandenburg", sagte der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Zugleich zeigte er sich erleichtert darüber, dass das Ergebnis der Landtagswahl eine Koalition der vernünftigen und zur Demokratie stehenden Parteien ermögliche. (tmg/stz/KNA/epd)