Amor non calculat – Liebe rechnet nicht?
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Impuls von Schwester Birgit Stollhoff
Nein, wie kann er nur! Wie kann der Hirte 99 Schafe riskieren für ein einziges! Das ist unwirtschaftlich, das ist maximal riskant! Nach heutiger Sicht müsste man dem Hirten wohl eher vorwerfen, ein verantwortungsloser Manager zu sein. Nur um letztlich 1 Prozent seiner Herde zu retten, riskiert er alles – sein Leben, das der 99 Schafe und hat noch nicht einmal die Sicherheit, dass eine zu retten.
Das Verhalten der Frau scheint da logischer – jetzt geht es zumindest um 10 Prozent des Vermögens und es besteht kein Risiko, dass jemand umkommt. Im Gegenteil – am Ende ist die Drachme gefunden und die Wohnung geputzt! Fast schon ein Synergieeffekt. Beide, der Hirte und die Frau, sind dabei sehr aktiv: Sie suchen, gehen nach, erhellen, räumen auf, klären, tragen und feiern.
Schwieriger wird es beim Vater. Ein großes Fest zu feiern, weil ein Sohn nach langer Reise nach Hause kommt, ist gut nachvollziehbar. Auch, dass da nicht auf die Kosten geschaut wird. Aber wenn der Sohn vorher mit der Familie gebrochen hat? Sich auszahlen lässt? Fehlt da bei der Heimkehr nicht die Standpauke? Müsste der Vater dem Sohn nicht ins Gewissen reden? Diese Passivität des Vaters, vor allem das jahrelange Warten und Sehnen scheint schwer verständlich. Ist in Zeiten von Tinder, Facebook-Freunden und Familien-WhatsApp-Gruppen noch Zeit für so ein Verhalten? Ist das nicht "verschwendete Liebesmüh"?
"Nein", sagt Jesus: "Es geht nicht um Ergebnisse, um Kosten-Nutzen, Aufwand-Ertrag." Es geht auch nicht um das Verhalten, das den Schaden angerichtet hat. In keinem der Texte wird von irgendjemand kritisiert, was da vorgefallen ist und es wird auch niemand verurteilt – das Schaf nicht, der Hirte nicht, die Frau nicht, der Sohn nicht und der Vater nicht. Die einzigen, die verurteilen, sind die beiden Söhne – der eine verurteilt sich, der andere den Bruder und den Vater.
In allen drei Gleichnissen geht es um Freude! Freude und freuen sind die zentralen Worte im Text. Es geht um Beziehungen – die des Hirten zu seinen Schafen, die der Frau zu ihrem Hausstand, die des Vaters zu den Söhnen. Und da ist erstmal egal, ob es um 100, 10 oder 2 Andere geht, für die man verantwortlich ist. "Judex non calculat – der Richter rechnet nicht" heißt ein bekanntes Bonmot bei Juristen. Aber ist es nicht eher die Liebe, die nicht rechnet oder der oder die Liebende?
Alle drei Hauptfiguren zeichnet eines aus: Sie tun und lieben bedingungslos. Weil sie bedingungslos lieben, gibt es kein Zuviel in ihrem Tun oder Warten und kein Maß für Ihre Freude! Es ist die völlige Hingabe für die Anvertrauten, das totale Aufgehen in der Beziehung. "So ist auch Gott", sagt Jesus: "Gott rechnet nicht; Gott orientiert sich nicht an Mehrheiten." Gott sucht unentwegt die Beziehung zu uns Menschen und er nimmt jeden Menschen, wie er ist. Gott macht keine Kompromisse, Gott will den ganzen Menschen, sucht alle Menschen. Das Himmelreich und die Freude sind erst vollkommen, wenn wirklich alle da sind!
Und Gott verausgabt sich in dieser Liebe, Gott gibt alles!
"So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eigenen Sohn für sie hingegeben hat" heißt es an anderer Stelle, im Johannesevangelium. Dem Leistungsdenken der Pharisäer setzt Jesus hier Gottes Maßlosigkeit und die eigene Hingabe entgegen. Und wir? Rechnen wir zuerst, wie würdig der Andere unserer Hilfe ist? Oder können wir erstmal bedingungslos lieben? Und dann, je nachdem, was passt, den Anderen aufsuchen oder auf ihn warten – ohne Berechnung, ohne Urteilsskala, ohne tickende Uhr?
Evangelium nach Lukas (Lk 10,38-42)
In jener Zeit kamen alle Zöllner und Sünder zu ihm, um ihn zu hören. Die Pharisäer und die Schriftgelehrten empörten sich darüber und sagten: Dieser nimmt Sünder auf und isst mit ihnen. Da erzählte er ihnen dieses Gleichnis und sagte:
Wenn einer von euch hundert Schafe hat und eins davon verliert, lässt er dann nicht die neunundneunzig in der Wüste zurück und geht dem verlorenen nach, bis er es findet? Und wenn er es gefunden hat, nimmt er es voll Freude auf die Schultern, und wenn er nach Hause kommt, ruft er die Freunde und Nachbarn zusammen und sagt zu ihnen: Freut euch mit mir, denn ich habe mein Schaf wiedergefunden, das verloren war! Ich sage euch: Ebenso wird im Himmel mehr Freude herrschen über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die keine Umkehr nötig haben.
Oder wenn eine Frau zehn Drachmen hat und eine davon verliert, zündet sie dann nicht eine Lampe an, fegt das Haus und sucht sorgfältig, bis sie die Drachme findet? Und wenn sie diese gefunden hat, ruft sie die Freundinnen und Nachbarinnen zusammen und sagt: Freut euch mit mir, denn ich habe die Drachme wiedergefunden, die ich verloren hatte! Ebenso, sage ich euch, herrscht bei den Engeln Gottes Freude über einen einzigen Sünder, der umkehrt.
Weiter sagte Jesus: Ein Mann hatte zwei Söhne. Der jüngere von ihnen sagte zu seinem Vater: Vater, gib mir das Erbteil, das mir zusteht! Da teilte der Vater das Vermögen unter sie auf. Nach wenigen Tagen packte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein fernes Land. Dort führte er ein zügelloses Leben und verschleuderte sein Vermögen.
Als er alles durchgebracht hatte, kam eine große Hungersnot über jenes Land und er begann Not zu leiden. Da ging er zu einem Bürger des Landes und drängte sich ihm auf; der schickte ihn aufs Feld zum Schweinehüten. Er hätte gern seinen Hunger mit den Futterschoten gestillt, die die Schweine fraßen; aber niemand gab ihm davon.
Da ging er in sich und sagte: Wie viele Tagelöhner meines Vaters haben Brot im Überfluss, ich aber komme hier vor Hunger um. Ich will aufbrechen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt. Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein; mach mich zu einem deiner Tagelöhner!
Dann brach er auf und ging zu seinem Vater. Der Vater sah ihn schon von Weitem kommen und er hatte Mitleid mit ihm. Er lief dem Sohn entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn. Da sagte der Sohn zu ihm: Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt; ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein.
Der Vater aber sagte zu seinen Knechten: Holt schnell das beste Gewand und zieht es ihm an, steckt einen Ring an seine Hand und gebt ihm Sandalen an die Füße! Bringt das Mastkalb her und schlachtet es; wir wollen essen und fröhlich sein. Denn dieser, mein Sohn, war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden. Und sie begannen, ein Fest zu feiern.
Sein älterer Sohn aber war auf dem Feld. Als er heimging und in die Nähe des Hauses kam, hörte er Musik und Tanz. Da rief er einen der Knechte und fragte, was das bedeuten solle. Der Knecht antwortete ihm: Dein Bruder ist gekommen und dein Vater hat das Mastkalb schlachten lassen, weil er ihn gesund wiederbekommen hat.
Da wurde er zornig und wollte nicht hineingehen. Sein Vater aber kam heraus und redete ihm gut zu. Doch er erwiderte seinem Vater: Siehe, so viele Jahre schon diene ich dir und nie habe ich dein Gebot übertreten; mir aber hast du nie einen Ziegenbock geschenkt, damit ich mit meinen Freunden ein Fest feiern konnte. Kaum aber ist der hier gekommen, dein Sohn, der dein Vermögen mit Dirnen durchgebracht hat, da hast du für ihn das Mastkalb geschlachtet.
Der Vater antwortete ihm: Mein Kind, du bist immer bei mir und alles, was mein ist, ist auch dein. Aber man muss doch ein Fest feiern und sich freuen; denn dieser, dein Bruder, war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden.