Theologe Georg Essen über die Frage mit Diskussionsbedarf

Dogmatiker: Nein zur Frauenweihe definitiv, aber nicht dogmatisch

Veröffentlicht am 14.09.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bochum ‐ Die einen fordern immer wieder, das Priesteramt für Frauen zu öffnen. Andere betonen mit der gleichen Regelmäßigkeit, dass diese Frage längst entschieden sei. Doch wie endgültig ist das? Der Dogmatiker Georg Essen gibt Antworten.

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In den Reformdebatten in der katholischen Kirche spielt die stärkere Beteiligung von Frauen eine besondere Rolle. Immer wieder im Mittelpunkt steht die Forderung nach der Priesterweihe für Frauen. Auch wenn es heißt, die Frage sei von päpstlicher Seite längst abschlägig beschieden, weshalb jede Debatte überflüssig sei. Im Interview versucht der Bochumer Dogmatiker Georg Essen, die komplizierte Gemengelage zu entwirren. Der Theologe ist Sprecher der Arbeitsgemeinschaft katholische Dogmatik und Fundamentaltheologie im deutschen Sprachraum.

Frage: Herr Professor Essen, in der Debatte über eine Priesterweihe von Frauen heißt es immer wieder, die Frage sei längst entschieden, weil Papst Johannes Paul II. 1994 verbindlich erklärt hat, die Kirche habe keine Vollmacht, Frauen zu weihen. Wie kam es dazu?

Essen: Schon Papst Paul VI. hatte betont, es sei unmöglich, Frauen zu weihen. Die Diskussion kam aber nicht zum Stillstand. Auch Papst Johannes Paul II. signalisierte in Lehrdokumenten immer wieder seine Ablehnung. Als auch das die Debatte nicht beendete, fühlte er sich 1994 offenbar genötigt, in der Apostolischen Konstitution "Ordinatio sacerdotalis" zu erklären, die Kirche habe "keinerlei Vollmacht", Frauen zu weihen. Und da fügte er einen Satz hinzu, an dem alles aufgehängt wird: Es gelte, "dass sich alle Gläubigen der Kirche endgültig an diese Entscheidung zu halten haben". Im lateinischen Original steht "definitve". Das signalisiert eine sehr hohe Verbindlichkeit – gewissermaßen knapp unterhalb einer Dogmatisierung.

Frage: Ist das Thema damit ein für alle Mal durch?

Essen: Naja, die Diskussion ging dann erst richtig los, weil nicht klar war: Wie definitiv ist eigentlich definitiv? Denn unfehlbar und nicht widerrufbar ist eine Glaubenslehre nur, wenn dieser Verbindlichkeitsgrad aufgrund der Form ihrer Definition klar erkennbar ist. 1995 hat dann die Glaubenskongregation nachgelegt und betont, das Wort "definitive" sei im Sinne des "infallibile" zu verstehen, also unfehlbar.

Frage: Also doch ein Dogma?

Essen: Theologinnen und Theologen weisen darauf hin, diese Frage sei bis heute nicht eindeutig zu beantworten. Allerdings muss man hinzufügen, dass das römische Lehramt nachträglich 1998 eine neue Verbindlichkeitsstufe eingeführt hat, die auch ins kirchliche Gesetzbuch aufgenommen wurde. Nun heißt es, dass auch die Lehre des "ordentlichen" Lehramtes "definitiver" Natur sein kann. Das ist unstrittig.

Aber sind auch "definitive" Lehren, die "nur" vom ordentlichen Lehramt vorgelegt werden, grundsätzlich nicht revidierbar? So wie eine Lehre, die vom "außerordentlichen" Lehramt in der Gestalt eines Konzils oder durch eine ex-cathedra-Entscheidung des Papstes mit dem Verbindlichkeitsgrad der Unfehlbarkeit und Nichtrevidierbarkeit verkündet wird? Als Theologe würde ich sagen: "Ordinatio Sacerdotalis" ist keine ex-cathedra-Entscheidung des Papstes, kein Dogma. Die Voraussetzung dafür ist in meinen Augen nicht gegeben.

Frage: Und deshalb diskutieren auch Theologen und Bischöfe weiter über die Frage...

Essen: Da kommen auch noch andere Dinge ins Spiel. Zum einen haben sich Kirche und Gesellschaft verändert. Die Bindung der Gläubigen an die Kirche ist nicht mehr vom Gehorsam geprägt, sondern basiert auf freier Anerkennung und Zustimmung. Der sensus fidei, der "Glaubenssinn" aller Gläubigen, hat ein Recht darauf, sich zu artikulieren. In offenen Gesellschaften funktioniert ein Diskussionsverbot schlicht und ergreifend nicht, und es sollte mündigen Christinnen und Christen auch nicht auferlegt werden. Und das Zweite: Viele Theologen, dazu gehöre ich auch, sagen, dass die Begründungen, die das Lehramt für das Weiheverbot präsentiert, nicht überzeugen. Die Theologie des priesterlichen Amtes und die kirchliche Tradition sind dogmatisch weniger eindeutig, als es das römische Lehramt unterstellt.

Bild: ©Dieter Mayr / KNA

Georg Essen ist Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte in Bochum.

Frage: Zurück zur dogmatischen Verbindlichkeit: Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki hat in einer vieldiskutierten Predigt weitere Diskussionen über eine Priesterweihe für Frauen abgelehnt mit Verweis auf die Entscheidung von Johannes Paul II. Was sagen Sie dazu?

Essen: Das hat verschiedene Aspekte: Eindeutig recht hat er mit dem Verweis auf die hohe Verbindlichkeit. Man kann nicht so tun, als gäbe es sie nicht! Und genau genommen sagt das Kirchenrecht auch, dass Diskussionen mit der Absicht, sich der verbindlichen Lehre der Kirche zu widersetzen, für Katholiken nicht zulässig sind; eine Glaubenspflicht gilt auch gegenüber Lehren, die nicht den Rang eines Dogmas haben. Aber abgesehen von der grundsätzlichen Problematik, Diskussionen für beendet zu erklären, sehe ich noch einen anderen Aspekt.

Frage: Und zwar?

Essen: Man kann die Predigt des Kardinals auch als Einführung des Realitätsprinzips in diese Diskussion deuten – gerade jetzt vor dem "synodalen Weg" und der Amazonas-Synode. Er verweist auf den klar gesetzten dogmatischen und kirchenrechtlichen Rahmen. Und der ist nun einmal, wie er ist, ob uns das gefällt oder nicht. Und vielleicht ist es wirklich erfolgversprechender, sich nicht in dieser Weihe-Debatte aufzureiben, sondern sich auf Themen zu konzentrieren, bei denen Änderungen oder Weiterentwicklungen rascher möglich sind.

Frage: Zum Beispiel?

Essen: Beim Zölibat sehe ich Spielraum, der ist definitiv kein Dogma. Und beim Thema Frauen ist auch unter Beachtung des Kirchenrechts eine Menge möglich, um sie stärker zu beteiligen. Da gibt es ja schon Beispiele bis hin zur Gemeindeleitung – wobei weiterhin manche Ämter mit Leitungs- und Entscheidungsvollmachten an das Priesteramt gebunden sind. Persönlich hoffe ich, dass das dogmatisch und kirchenrechtlich aufgebrochen wird. Dogmatisch ist das meines Erachtens möglich, aber ob das wirklich passiert, kann ich nicht vorhersagen.

Frage: Gilt das klare Nein eigentlich auch für die Weihe von Diakoninnen?

Essen: Das dürfte inzwischen so nicht mehr gelten, weil das römische Lehramt gewissermaßen die Einheit des dreigliedrigen sakramentalen Amtes – Bischof, Priester, Diakon – aufgesprengt hat. Papst Benedikt XVI. hat 2009 eine Ausdifferenzierung vorgenommen, nach der wohl die Priester und Bischöfe, nicht jedoch die Diakone durch ihre Weihe die Vollmacht erhalten, in der Person Christi zu handeln. Durch diese Neuformierung des Weihesakramentes ist ein Gestaltungsspielraum entstanden, in dem nunmehr die Weihe von Diakoninnen aus meiner Sicht möglich wäre. Das große "Aber" lautet: Eine solche Diakonin würde nicht die dem Priester vorbehaltene Vollmacht haben, Christus sakramental zu repräsentieren. Denn laut kirchlicher Lehre ist es nur einem zum Priester geweihten Mann möglich, in der Person Christi zu handeln.

Frage: Wie sehen Sie unter all diesen Voraussetzungen den "synodalen Weg"?

Essen: Ganz ehrlich: vor allem skeptisch. Ich verstehe die Anliegen und stimme ihnen voll zu. Aber das Adjektiv "synodal" weckt Erwartungen an eine Verbindlichkeit, die nicht eingelöst werden können. Das kann fast nur zu Enttäuschungen führen.

Frage: Also nur "schön, dass wir mal darüber geredet haben" - und dann weiter wie gehabt?

Essen: Hoffentlich nicht! Positiv ist auf jeden Fall die Bereitschaft vieler Bischöfe, sich selbst zu verpflichten, stärker auf die Laien zu hören und mit ihnen gemeinsam den Weg zu gehen. Wegweisend ist die Kooperation mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK). Das ist schon ein wichtiger Schritt, hinter den man nicht mehr zurück kann. Die Bischöfe werden sich daran messen lassen müssen, ob sie sich die Beschlüsse, die unter Beteiligung von Laien zustande kommen, zu eigen machen und umsetzen. Weil ich viele Reformanliegen teile, hoffe ich vor allem, dass das Ganze so abläuft, dass nicht Resignation, Entmutigung und Frustration noch weiter fortschreiten - auch wenn die Maximalforderungen nicht erfüllt werden. "Löscht den Geist nicht aus!", wäre mein Appell an alle Seiten.

Von Gottfried Bohl (KNA)