Neue Buchveröffentlichung

Von Klerikalismus bis Frauenweihe: Ein Priester drängt auf Reformen

Veröffentlicht am 19.09.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Münster/Freiburg ‐ In seinem Buch "Ausgeheuchelt" kritisiert der Münsteraner Pfarrer Stefan Jürgens den Zustand der katholischen Kirche mit drastischen Worten. Auch die katholische Basis verschont der ehemalige "Wort zum Sonntag"-Sprecher nicht.

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Es ist ein weiterer lautstarker Ruf nach Reformen in der katholischen Kirche. Erneut hat ein amtierender katholischer Pfarrer zur Feder gegriffen und deutliche Veränderungen angemahnt. "Es ist Druck im Kessel", schreibt Stefan Jürgens aus Münster in seinem am Mittwoch veröffentlichten Buch "Ausgeheuchelt!". Der Priester, zu dessen aktueller Gemeinde die Initiatorinnen der Protestbewegung Maria 2.0 gehören, fordert unter anderem den Zugang von Frauen zu den Weiheämtern, die Aufgabe des Pflichtzölibats und einen wertschätzenderen Umgang mit Homosexuellen.

Früherer Sprecher des "Wort zum Sonntag"

Mit dem Buch knüpft der 51-Jährige an mehrere Proteststimmen in jüngster Zeit an. So legte im August der Hammer Pfarrer Bernd Mönkebüscher den Band "Unverschämt katholisch sein" vor. Darin erhebt er ähnliche Forderungen und macht überdies in selten dagewesener Form öffentlich, homosexuell zu empfinden. Der Schweizer Moraltheologe Daniel Bogner verlangt in einer im Juni erschienenen Publikation eine Demokratisierung der katholischen Kirche. Der trotzige Titel: "Ihr macht uns die Kirche kaputt... - ... doch wir lassen das nicht zu!" In ähnlicher Tonlage kommen derzeit die Aktion Maria 2.0 und die katholischen Frauenverbände daher, die medienwirksam für eine "geschlechtergerechte Kirche" demonstrieren.

Bild: ©KNA/Andre Zelck

Die Initiatorinnen der der Protestbewegung Maria 2.0 gehören zur Gemeinde des Autoren und Pfarrers Stefan Jürgens.

Jürgens, der von 2004 bis 2008 Sprecher beim "Wort zum Sonntag" in der ARD war und den Blog "Der Landpfarrer" betreibt, geht es nicht nur darum, Dampf abzulassen. Zwar übt er Kritik - und das drastisch. Aber mit dem Untertitel "So geht es aufwärts mit der Kirche" macht er auch deutlich, dass sie ihm alles andere als gleichgültig ist.

Insgesamt fällt die Analyse allerdings ernüchternd aus: "Die Kirche ist weltfremd geworden - und die Welt kirchenfremd." Sie verharre ängstlich im Klerikalismus des 19. Jahrhunderts. Dagegen sollte sie von modernen Demokratien lernen, sich auf die Wissenschaften einlassen und die Theologie "endlich" ernstnehmen.

Entschieden wendet sich der Geistliche gegen Gemeindefusionen. Diese seien dem Umstand geschuldet, dass nur ein geweihter Priester eine Pfarrei leiten darf: "Um dieses Priesterbild zu retten, lässt man Gemeinden sterben." Die immer größeren Pfarreien böten kaum mehr einen Beziehungsraum und würden mit dem Hinweis schöngeredet, dass die Menschen heute ja mobil seien.

Einen anderen Umgang verlangt Jürgens mit wiederverheirateten Geschiedenen. Im konkreten Leben gebe es eben auch Scheitern. Wer erneut heirate, dürfe nicht aus der Kommunion- und Kirchengemeinschaft herausfallen.

Als "Ursünde der Kirche" beschreibt er den Klerikalismus. Der "autoritäre, paternalistische Umgang mit Macht" korrespondiere mit etlichen Christen an der Basis, die "viel zu sehr nach oben" schauten. "Der Klerus steht immer noch auf einem Sockel, gebaut von unmündig gebliebenen und sicher manchmal auch unmündig gehaltenen Getauften", so Jürgens.

„Jesus ist vor allem Mensch geworden und nicht zuerst Mann.“

—  Zitat: Pfarrer Stefan Jürgens

In der Ablehnung des Weiheamtes für Frauen sieht der Autor "nichts weiter als eine uralte religiöse Ideologie". Papst Johannes Paul II., der 1994 die Frauenweihe endgültig ausschloss, wirft er eine "alte Basta-Politik" vor - "als wenn Lehrmeinungen für alle Zeiten unabänderlich wären. Von wegen!" Jesus sei vor allem Mensch geworden und nicht zuerst Mann. Von der Priesterweihe für Frauen erwartet Jürgens gerade in den patriarchalischen Kulturen einen "Quantensprung in der Menschenwürde".

Zölibat als "frommer Zauber für religiös Unaufgeklärte"

Erhebliche Zweifel äußert der Geistliche am Zölibat. Das Priesterideal werde "nur noch zum Schein aufrecht erhalten" und in vielen Teilen der Welt von vornherein nicht gelebt. Durch den Zölibat solle ein Priester "den "Anschein des Übermenschlichen" tragen - für Jürgens "frommer Zauber für religiös Unaufgeklärte". Unwahrhaftigkeit habe er bei Kollegen beobachtet, die moralisierend gegen Zölibatsbrecher und Homosexuelle gewettert, sich später aber selbst als praktizierend homosexuell erwiesen hätten.

Mit ähnlicher Deutlichkeit liefert Jürgens weitere Erfahrungsberichte aus dem Innenleben der Kirche, etwa aus dem Priesterseminar. Starker Tobak - und reichlich Stoff für die aktuelle Reformdebatte.

Stefan Jürgens, Ausgeheuchelt! So geht es aufwärts mit der Kirche, Verlag Herder, Freiburg 2019, 20 Euro.

Von Andreas Otto (KNA)