Ein Jahr nach Veröffentlichung der MHG-Studie

Opfer und Experten kritisieren Missbrauchsaufarbeitung in Kirche

Veröffentlicht am 20.09.2019 um 12:06 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ Woanders wäre es undenkbar, "dass nach so einem Skandal kein einziger irgendeine persönliche Verantwortung übernimmt": Ein Jahr nach Veröffentlichung der MHG-Studie wird scharfe Kritik an der bisherigen Missbrauchsaufarbeitung der Kirche laut.

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Ein Jahr nach Veröffentlichung der MHG-Studie über Missbrauch in der katholischen Kirche sehen Opfer und Experten nicht genug Fortschritte bei der Aufarbeitung. Die Bischöfe hätten Wahrheit und Gerechtigkeit versprochen, sagte die ehemalige Ordensfrau Doris Reisinger am Freitag im ARD-Morgenmagazin: "Gerechtigkeit in dem Sinne, dass auch Vertuscher zur Verantwortung gezogen werden, das hat ja nicht mal angefangen."

Reisinger ist die Autorin von zwei Büchern, in denen sie noch unter dem Namen Doris Wagner von sexuellem und geistlichem Missbrauch während ihrer Zeit im Orden "Das Werk" berichtet. Dass auch Papst Franziskus beim Anti-Missbrauchsgipfel im Februar gesagt habe "das ist der Teufel", sei "in jeder Hinsicht völlig daneben", so Reisinger weiter. Sie sehe hier - ähnlich wie bei vielen Missbrauchstätern - den Versuch, "das Böse irgendwo auszulagern, nicht die Verantwortung übernehmen zu müssen".

Auch der Leiter der MHG-Studie, der Mannheimer Psychiater Harald Dreßing, sieht noch viele Defizite bei der Aufarbeitung und vermisst nach eigenen Worten das Gefühl für Verantwortung. Es sei "in keiner Institution denkbar, dass nach so einem Skandal kein einziger irgendeine persönliche Verantwortung übernimmt".

Ackermann: Viele nicht mehr im Dienst oder verstorben

Der Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, betonte, viele Verantwortliche seien nicht mehr im Dienst oder inzwischen verstorben. Zugleich räumte er ein, dass man vieles lange Zeit falsch eingeschätzt habe beim Thema Missbrauch. Auf die Frage, ob er mit einer solchen Antwort auf die Frage nach persönlicher Verantwortung leben könne, wenn er selbst Missbrauchsopfer wäre, sagte Ackermann: "Wahrscheinlich schwer."

Der Sprecher der Opferinitiative "Eckiger Tisch", Matthias Katsch, berichtete von positiven Erfahrungen in einer Kommission mit Bischöfen, Experten und Betroffenen, in der über höhere Entschädigungen für Opfer beraten worden sei: "In dieser Kombination habe ich so etwas noch nicht erlebt. Darauf gründet sich mein Optimismus." Er wisse aber auch, so Katsch weiter, dass der schwerere Teil noch bevorstehe bei der Bischofsvollversammlung in der kommenden Woche in Fulda: "Das Konzept liegt auf dem Tisch, und nächste Woche müssen wir dann Entscheidungen sehen, zumindest in der Richtung: Wollen wir das weiterverfolgen oder schieben wir das auf die lange Bank?".

Im Rahmen der von den deutschen Bischöfen im vergangenen Jahr vorgestellten Studie zum sexuellen Missbrauch (MHG-Studie) wurden in den kirchlichen Akten der Jahre 1946 bis 2014 Hinweise auf bundesweit 3.677 Betroffene sexueller Übergriffe und auf rund 1.670 beschuldigte Priester, Diakone und Ordensleute gefunden. Zuletzt hatten die Bistümer Münster und Essen angekündigt, eigene Missbrauchsstudien durchzuführen. (tmg/KNA)