Tag eins der Vollversammlung: Trommeln und viele Forderungen
Das beschauliche Fulda macht an diesem regnerischen Tag ein etwas trübes Gesicht: Die Touristengruppe, die gerade den Dom besucht hat, packt sich gleich in Regenjacken und Kapuzen ein, Schirme werden aufgespannt. Außer den ersten Übertragungswagen der Medienteams ist scheinbar noch nicht viel los.
Doch dieser Eindruck täuscht. Denn nur zwei Straßen vom Dom und damit dem Versammlungszentrum der Bischöfe entfernt haben gleich drei Gruppen zu einer gemeinsamen Pressekonferenz geladen. Die Reformbewegungen "Wir sind Kirche" und "Maria 2.0" sowie die Missbrauchsopferorganisation "Eckiger Tisch" legen schon am Mittag die großen Themen auf den Tisch: Klerikalismus, Zölibat, Sexualmoral und die Rolle der Frauen. Vier Themen, die auch der von den deutschen Bischöfen beschlossene "synodale Weg" behandelt.
"Die römisch-katholische Kirche steht an einer Zeitenwende", sagt Christian Weisner, der dem Bundesteam von "Wir sind Kirche" angehört. Er betont, dass die Themen des "synodalen Wegs" nicht erst durch den Missbrauchsskandal aufgekommen, sondern von Bewegungen wie "Wir sind Kirche" schon seit vielen Jahren angemahnt worden seien. Dem Brief von Papst Franziskus an die Katholiken in Deutschland könne er viel Positives abgewinnen. "Entsetzt" sei er dagegen über die "Zwietracht", die von manchen in Deutschland wie in Rom gestreut werde. Seine Mahnung ist klar: "Die Bischöfe sollen froh sein, dass es noch Menschen gibt, die sich einsetzen."
Im Raum: 300.000 Euro für jedes Opfer
Doch die Bischöfe wollen in Fulda nicht nur über systemische Fragen sprechen, die Missbrauch begünstigen. Auch die Entschädigung der Opfer ist Thema. Dazu hat seit Mai eine Arbeitsgruppe getagt, in der auch Betroffene wie Matthias Katsch vom "Eckigen Tisch" saßen. Katsch ist wichtig: "Bis jetzt gibt es von den Diözesen nur eine symbolische Anerkennung des Leids der Opfer. Es geht aber um eine institutionelle Verantwortung." Die Arbeitsgruppe plädiert daher für eine Pauschalzahlung von bis zu 300.000 Euro an jedes Opfer. Ziel sei der Ausgleich von Einkommen, das die Betroffenen beispielsweise wegen psychischen Problemen nicht erwirtschaften konnten. Da seien 300.000 Euro "eine normale Zahl", so Katsch. Bei etwa 3.000 Opfern von Missbrauch in der Kirche würde auf die deutschen Bischöfe so eine Forderung von etwa einer Milliarde Euro zukommen. Katsch will den Entwurf am Dienstag den Bischöfen präsentieren.
Wiederum nur einige hundert Meter entfernt ziehen währenddessen etwa 180 Frauen lautstark durch die Fuldaer Innenstadt. "Tragt das Purpurkreuz als Zeichen für eine geschlechtergerechte Kirche" lautet das Motto der Protest-Aktion. Ausgestattet mit Trommeln und Kreuzen aus pinken Luftballons sind sie deutlich zu hören und zu sehen. "Gleich und berechtigt" und "Wir sind hier, wir sind viele; wir erreichen uns’re Ziele" tönte es immer wieder. Auch, wenn der Schwung der Sprechchöre im nasskalten Wind manchmal etwas nachlässt. Aufgerufen zu der Demonstration hat die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd), deren Vorsitzende Mechthild Heil in vorderster Reihe mitläuft. An einem kleinen Stand hat sie vor dem Demonstrationszug bereits die Bischöfe Georg Bätzing (Limburg) und Peter Kohlgraf (Mainz) begrüßt. Jetzt stehen die Frauen auf dem kleinen Platz neben dem Dom und warten. Dann öffnet sich die Tür des Priesterseminars und der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, geht auf die Demonstrantinnen zu.
Von ihnen bekommt er erst einmal Rückendeckung für den "synodalen Weg": "Wir unterstützen Sie in Ihren Reformbewegungen", sagt Heil – und ergänzt direkt, "aber wir Frauen wollen auch Ergebnisse sehen." Marx nimmt das ihm nun angebotene Mikrofon und sagt: "Nicht immer sind Bischofskonferenzen mit Gebet und Engagement so sichtbar begleitet wie diese hier. Darüber kann man sich als Vorsitzender der Bischofskonferenz nur freuen." Er wisse um die Bewegung, die gerade im Hinblick auf die Rolle der Frauen entstanden sei. Und er sagt: "Es braucht auch Bewegung". Marx verspricht, die Anliegen der Frauen mit in die Beratungen der Bischöfe zu nehmen. Kein Thema dürfe ausgeklammert werden. Wohl auch im Hinblick auf manche Kritiker des "synodalen Wegs" unter den Bischöfen sagt er: "Für mich ist wichtig, dass nicht nur die Bischofskonferenz eins ist, sondern Einheit bedeutet die Einheit mit dem ganzen Volk Gottes. Natürlich auf der ganzen Welt – aber auch bei uns. Da ist die Rolle der Frauen von außerordentlicher Bedeutung." Auch Mechthild Heil ist wichtig, dass die Frauen die Kirche nicht spalten wollen. Würden sie das wollen, "wären wir schon längst alle nicht mehr da". Man geht im Guten auseinander.
"Kein Stoppschild" aus dem Vatikan
Nur eine gute halbe Stunde später steht Marx wiederum nur ein paar Schritte entfernt in der Theologischen Fakultät: Das klassische Pressestatement zum Beginn der Vollversammlung. Die Themen bleiben die gleichen: die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle, der synodale Weg und die zweifache Post aus Rom dazu. Erst Ende vergangener Woche war Marx in Rom, um mit dem Papst darüber zu sprechen. "Es gibt kein Stoppschild", sagt er über das Gespräch. "Ich kann nicht sehen, dass der 'synodale Weg' gefährdet ist." Der Papst habe in seinem "Brief an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland" die Türen geöffnet, aber auch etwa auf den Zusammenhalt in der Weltkirche und besondere Bedeutung der Evangelisierung hingewiesen. Marx weiß: "Das wird kein gemütlicher Weg." Aus Synoden im Vatikan wisse er, dass es dort hitzig zugehen könne und Meinungen durchaus pointiert vorgebracht würden. Außerdem gebe es in Deutschland dann auch noch die Erwartungen der Öffentlichkeit, die Meinungen der Bischöfe und die Wünsche des Gottesvolks. Ob das eine Zwickmühle sei, fragte ein Journalist. Ja, gestand Marx – um sich dann zu korrigieren: "Ich würde eher von einer Herausforderung sprechen".
Die katholische Kirche in Deutschland ist Teil einer Weltkirche, so Marx weiter. "Wir können in Deutschland keine Gesetze machen, die das Kirchenrecht außer Kraft setzen." Dass es in den nächsten Jahren zur Priesterweihe von Frauen kommen wird, glaubt er nicht. In anderen Teilen der Welt hätte man für diese Idee überhaupt kein Verständnis. Er beobachtet aber auch: "Weltkirchlich ist gerade viel in Bewegung." Im Ausland habe er durchaus Interesse am "synodalen Weg" in Deutschland bemerkt – sowohl von Befürwortern als auch von Kritikern. In einem ist er sich aber sicher: "Wir können nicht alles lassen, wie es ist." Selbstsicher verlässt Marx am späten Nachmittag die Bühne. Die Beratungen gehen für ihn jetzt erst richtig los. Sie werden nicht einfach sein. An Erwartungen mangelt es nicht.