Dirk Bingener über den außerordentlichen Monat der Weltmission

Neuer missio-Präsident: Mission muss dynamisch sein

Veröffentlicht am 01.10.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Aachen ‐ Seit wenigen Monaten steht Dirk Bingener an der Spitze von missio Aachen. Anlässlich des heutigen Beginns des Monats der Weltmission hat er mit katholisch.de darüber gesprochen, was der Begriff Mission für ihn bedeutet und wie er junge Menschen für die Arbeit von missio begeistern will.

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Seit August ist Dirk Bingener neuer Präsident von missio Aachen und des Kindermissionswerks "Die Sternsinger". Im Vorfeld seines Amtsantritts hat er sich Gedanken darüber gemacht, was einen missionarischen Menschen ausmacht und katholisch.de im Interview verraten, welche Themen ihm bei der Arbeit von missio besonders wichtig sind.

Frage: Herr Bingener, vor Ihrer Berufung zum Präsidenten von missio Aachen haben Sie als Präses des BDKJ viele Jahre mit jungen Menschen gearbeitet. Wollen Sie die Jugend nun auch für die Arbeit von missio begeistern?

Bingener: (lacht) Erstmal muss ich mir natürlich einen Überblick über meine neue Aufgabe bei missio verschaffen und schauen, wie die Arbeit hier läuft. Aber ich weiß aus meiner Zeit beim BDKJ, dass junge Leute sich eine authentische Kirche wünschen – eine Kirche, die das lebt, was sie predigt. Das tun wir hier bei missio, indem wir an vielen Orten der Welt Seelsorge und gleichzeitig kirchliche Sozialarbeit ermöglichen. Die von missio unterstützten Projektpartner schauen sich die konkrete Lebenssituation der Menschen an und helfen vor Ort. Ihr Handeln ist dabei Ausdruck ihres Glaubens. Dabei stehen wir gemeinsam vor großen Herausforderungen, denn es geht um den Einsatz gegen Armut, Unterdrückung, Krieg, Umweltzerstörung und Ausbeutung in aller Welt. Wir wollen durch eine ganzheitliche Pastoral den Menschen Hoffnung schenken.

Frage: Welche Schwerpunkte werden Sie in ihrer Amtszeit bei missio setzen?

Bingener: Ich habe mein Amt gerade erst angetreten und kann deshalb nur grundsätzlich sagen: Zunächst einmal möchte ich mich emotional berühren lassen von den Sorgen, Nöten und Hoffnungen der Menschen, denen wir helfen. Dann wird es darum gehen, nicht beim Gefühl der Betroffenheit stehen zu bleiben, sondern vor diesem Hintergrund professionelle Arbeit zu leisten.

Frage: Was ist Ihnen dabei besonders wichtig?

Bingener: Ein wichtiger Punkt ist etwa das Thema Religionsfreiheit: Wir vertreten hier einen Menschenrechtsbegriff, der jeder Person das Recht auf Religionsfreiheit zuspricht. Das gilt für Angehörige aller Religionen. Auf Grundlage dieses religionsverbindenden Ansatzes helfen wir am glaubwürdigsten verfolgten Christen. Weiter sind für mich Fragen des Kindesschutzes und des Machtmissbrauchs wichtig, besonders im Hinblick auf die Ordensfrauen. Das alles sind keine Themen, die ich neu auf die Agenda setzen möchte, sondern die hier schon intensiv bearbeitet werden. Das werde ich natürlich fortsetzen. Daneben ist es mir wichtig, den Menschen Wertschätzung entgegenzubringen, die missio unterstützen. Das sind ältere Menschen, die sich schon lange für uns einsetzen. Dafür bin ich sehr dankbar! Wir wollen darüber hinaus auch auf jüngere Menschen zugehen. Meine Erfahrung ist: Begegnungen können zu einem lebensverändernden Engagement führen.

Frage: Begegnungen in der Weltkirche sind aufgrund sprachlicher und kultureller Differenzen oftmals schwierig – ganz abgesehen von der großen räumlichen Distanz…

Bingener: Natürlich befinden wir uns in einer globalen Welt in ganz unterschiedlichen Lebensbezügen und müssen daher auf verschiedene Art miteinander in Kontakt treten. Eine direkte Begegnung ist jedoch besonders wichtig und wird etwa durch einen internationalen Freiwilligendienst ermöglicht. Die Frage ist dann, ob die jungen Rückkehrer als Multiplikatoren die Begegnung weiterführen und das Freiwilligenjahr Anfang eines längerfristigen Engagements ist, das andere mitnimmt. Ich selbst habe diese Erfahrung als 20-jähriger selbst machen dürfen: In Guatemala haben wir mit einem kleinen Verein eine Schule gebaut, um etwas gegen die hohe Analphabeten-Quote dort zu tun. Es war sehr wichtig, dass wir vor Ort waren, auf der Baustelle mitgeholfen haben und den Menschen im Dorf begegnet sind. Danach war ich noch öfter in Guatemala und der Verein und sein Engagement bestehen bis heute. Es kann natürlich nicht jeder in die weite Welt fliegen, weshalb wir die modernen Kommunikationsmittel nutzen müssen. Aber auch der Austausch mit den missio-Gästen aus dem Beispielland der Aktion zum Weltmissionssonntag, die in diesem Jahr aus Nordostindien kommen, ermöglicht am Leben anderer teilzuhaben. Wir werden schauen, was möglich ist – die Chancen zur Begegnung sind jedenfalls vielfältig.

Schwester Agnes Haokip
Bild: ©Hartmut Schwarzbach/missio

Schwester Agnes Haokip arbeitet als "Touring Sister" in der Bergregion des Bundesstaates Arunachal Pradesh. Regelmäßig besucht die ausgebildete Krankenschwester entlegene Dörfer und macht Hausbesuche.

Frage: Wie ist es für Sie persönlich, dass sie von einer Jugendorganisation mit flachen Hierarchien zur großen "Behörde" missio gewechselt haben?

Bingener: Natürlich gibt es bei missio eine stärker ausgeprägte Struktur als beim BDKJ, aber das ist ja auch wichtig. Denn wenn so viel Geld und so viele Menschen im Spiel sind, helfen Strukturen und geregelte Abläufe sehr. Sie garantieren Qualität. Ich erlebe die Mitarbeitenden als sehr engagiert, weil ihnen unser Auftrag etwas bedeutet. Es braucht eben beides, die Struktur und die Emotion. Ich will in den kommenden Monaten die Strukturen verstehen und werde daher alle Abteilungen von missio besuchen, um zu schauen, wie dort gearbeitet wird. Im BDKJ waren die Wege natürlich viel kürzer, denn dort gibt es nur eine Handvoll Referenten. Bei missio ist allein schon das Gebäude so groß, dass ich immer froh bin, wenn ich mein Büro wiederfinde. Aber alle sind sehr bemüht und helfen mir, mich in die Strukturen einzufinden. Das ist wirklich klasse. Ich würde eigentlich jedem gönnen, einmal missio-Präsident zu werden. (lacht)

Frage: Der Papst hat den kommenden Oktober zum außerordentlichen Monat der Weltmission ausgerufen. In Deutschland gibt es jedoch jedes Jahr den Weltmissionssonntag mit einem bundesweiten Monat der Weltmission. Welche Unterschiede gibt es zwischen beiden Initiativen?

Bingener: Der außerordentliche Monat der Weltmission ruft uns in Deutschland ins Gedächtnis, dass Mission global ist, also die gesamte Kirche betrifft. Mission muss weit gedacht werden, und betrifft gleichzeitig doch jeden Einzelnen. Als ich erfahren habe, dass ich missio-Präsident werde, habe ich mich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt und mich gefragt, was einen missionarischen Menschen ausmacht. Ganz wichtig ist, attraktiv zu sein – und zwar nicht im Sinne von gutaussehend. Vielmehr bedeutet es, Ausstrahlung zu haben, also zu leben wie ein Mensch, der darum weiß, von Gott gewollt und geliebt zu sein. Was daraus folgt, kann individuell sehr unterschiedlich sein. Das versuchen wir mit unserem Hashtag #MyMission herauszufinden. Unser Ziel ist, gemeinsam mit 100 missio-Werken weltweit eine Millionen Posts in den sozialen Medien auszulösen, in denen die Menschen eine Antwort auf die Frage geben, was ihre Mission ist. Also: Was glaubst Du hat Gott mit Dir vor? Und wozu kannst Du aus ganzem Herzen Ja sagen?

Frage: Aber besteht nicht ein Unterschied darin, dass es beim bundesweiten Monat der Weltmission um die "harten Fakten" geht – also, dass Sie eine Kampagne machen, um Geld für die Projekte von missio Aachen zu sammeln?

Bingener: Das würde ich so nicht sagen. Anlässlich des jährlichen Weltmissionssonntags schauen wir explizit auf eine Region und die Herausforderungen, die es dort gibt. Dieses Jahr eben nach Nordostindien. In den sieben Bundesstaaten, die nur durch eine schmale Landzunge mit dem Rest Indiens verbunden sind, fühlen sich viele Menschen als Bürger zweiter Klasse. Es gibt instabile politische Verhältnisse und es kommt oft zu Konflikten. Die meisten Christen gehören einem der 200 indigenen Völker an. Die Kirche ist sehr jung; erst 2005 wurde das jüngste Bistum gegründet. Dort  gibt es Ordensschwestern, die als "Touring Sisters" über die Dörfer fahren und eine Art mobile Seelsorge und Sozialarbeit leisten. Oder die sogenannten Barfuß-Anwälte helfen Opfern von Menschenhandel und informieren sie darüber, dass sie Rechte haben. Das ist aufsuchende Pastoral und im besten Sinn missionarisch. Ich freue mich auf unsere Gäste für den diesjährigen Monat der Weltmission. Sie zeigen, wie Mission sein sollte: Dynamisch, auf dem Weg und an der Seite der Menschen. Von diesem konkreten Engagement der Kirche in Indien können wir auch in Europa lernen.

Frage: Der Begriff Mission hat ja auch eine problematische Geschichte…

Bingener: Der Ausdruck Mission ist natürlich historisch belastet, aber wir können nicht auf ihn verzichten. Die Kirche muss immer wieder neu durchbuchstabieren, was Mission für sie und jeden Einzelnen in ihr bedeutet. Ich bin der Überzeugung: Gott hat mich gewollt und liebt mich. Ich habe einen Auftrag, den niemand anderes erfüllen kann als ich selbst. Gott will mit und durch mich wirken und ich versuche ein ganzes Leben lang zu verstehen, was das genau und konkret für mich bedeutet. Das ist meine Mission.

Von Roland Müller

Dirk Bingener

Im Juli wurde Dirk Bingener von der Kongregation für die Evangelisierung der Völker in Rom zum Präsidenten des Internationalen Katholischen Missionswerkes missio Aachen und des Kindermissionswerkes "Die Sternsinger" berufen. Die Deutsche Bischofskonferenz hatte den 47-jährigen Priester für diese Aufgaben vorgeschlagen. Zuvor war Bingener seit 2015 Präses des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ). Seine offizielle Einführung als missio-Präsident findet am 10. Oktober statt.