Sektenbeauftragter: Ich bekomme schon mal Post vom Anwalt
Dass er auch mal Post von einem Anwalt bekommt, gehört für Matthias Neff zu seinem Beruf. Der Sektenbeauftragte des Bistums Trier trägt Informationen über Sekten zusammen – und veröffentlicht sie auch. So mancher problematischen Gruppe passt das nicht – aber bisher hat Neff die juristischen Auseinandersetzungen immer gewonnen. Im Interview spricht er über seine Aufgabe und den fließenden Übergang zwischen Frömmigkeit und sektiererischen Tendenzen.
Frage: Herr Neff, mit welchen Fragen kommen Menschen zu Ihnen?
Neff: Meistens melden sich besorgte Angehörige, die feststellen, dass sich im Leben etwa des Partners, der Mutter, des Sohnes etwas zu deren Nachteil verändert. Dass die Lebenseinstellung eine andere wird und die Art, wie die Betroffenen über ihre Zukunft, ihre Ziele sprechen. Oft kapseln sie sich ab, entfremden sich von ihrem sozialen Umfeld, vernachlässigen ihren Beruf und sind stattdessen andauernd weg, weil sie weltanschauliche Kurse besuchen, oder beginnen, entsprechende Bücher zu lesen. Bei solchen Entwicklungen machen sich die Angehörigen Sorgen: Was passiert hier? Wie bekommen wir unsere Angehörigen zurück?
Frage: Wie können Sie dann helfen?
Neff: Zunächst geht es darum, den betroffenen Angehörigen zuzuhören und ihre Anliegen ernst zu nehmen. Viele von ihnen stoßen mit ihren Sorgen in ihrem Umfeld auf Unverständnis. Im Gespräch geht es darum, gemeinsam nach Möglichkeiten zu suchen, mit dieser Situation konstruktiv umzugehen. Manchmal fallen Namen, Begriffe oder Orte, an denen ich festmachen kann, um welche Gruppe oder Sekte es sich handelt. Und dann kann man auch einschätzen wie stark die Menschen in deren Strukturen eingebunden werden sollen und wie stark darauf hingewirkt wird, beispielsweise die bisherigen sozialen Beziehungen abzubrechen.
Frage: Mit welchen Tricks versuchen Sekten, an Menschen heranzukommen?
Neff: Oft setzen sie bei Lebenskrisen an. Wenn jemand beispielsweise unter erheblichem beruflichem Druck steht und an seine Belastungsgrenzen kommt, dann sind Konzepte zur Optimierung der Persönlichkeit überaus attraktiv. Zu solchen Themen gibt es gute, weiterführende Hilfestellungen, aber eben auch problematische Angebote. Die arbeiten mit überzogenen Erwartungen und wenden fragwürdige Methoden an, die Menschen eher schwächen als stärken.
Frage: Welche gesellschaftlichen Gruppen sind besonders gefährdet?
Neff: Es gibt Betroffene aus allen gesellschaftlichen Gruppen und Schichten. Ein Beispiel sind die Geflüchteten. Die werden etwa von den Zeugen Jehovas schon gleich nach ihrer Ankunft in Deutschland intensiv angeworben. So versuchen die Sekten, es auszunutzen, dass Geflüchtete die große weltanschauliche Vielfalt hierzulande gar nicht kennen. Geflüchtete brauchen also Unterstützung, damit sie die Kompetenz entwickeln, solche Angebote einzuschätzen. Dazu bieten wir Beratungsgespräche an, auch für die Begleiter der Geflüchteten und haben Informationshefte in acht Sprachen herausgebracht, darunter Arabisch, Farsi und Urdu.
Frage: Wo lässt sich im christlichen Bereich der Übergang zwischen einer besonderen Frömmigkeit und sektiererischen Strömungen erkennen?
Neff: Dieser Übergang ist fließend. Es gibt in der katholischen Kirche unterschiedliche Frömmigkeitsstile und auch sehr viele unbedenkliche Gruppierungen von Gläubigen – etwa die Laiengemeinschaften, die eng an Orden angesiedelt sind. Am Rande des christlichen Spektrums gibt es aber auch fundamentalistische Gruppen, die sich ganz exklusiv als die einzig wahren Christen sehen.
Frage: Und wie ist eine legitime Glaubensgemeinschaft von einer Sekte zu unterscheiden?
Neff: Die wichtigste Frage ist: Welche Freiheit lässt mir diese Gruppe? Legt sie mich auf eine bestimmte Sicht Gottes und der Welt fest, die ich annehmen muss, sonst bin ich verloren? Wird ein elitäres Bewusstsein erzeugt? Oder fördert die Gruppe meine Freiheit und eine Bandbreite an Meinungen? Scientology zum Beispiel nimmt einen großen Einfluss auf die Gestaltung von Beziehungen, des Arbeitslebens. Dazu gehören auch intensive Anwerbungsversuche im Bekanntenkreis.
Frage: Haben Sekten immer einen weltweiten Anspruch oder gibt es auch regionale Sekten?
Neff: Es gibt weltweite Sekten wie Scientology oder die Zeugen Jehovas. Dieser Bereich wird aber unübersichtlicher. Kleine Gruppen, von denen die meisten Menschen noch nie etwas gehört haben, gewinnen an Einfluss. Die Digitalisierung macht es ihnen leichter, sich darzustellen.
„Am Rande des christlichen Spektrums gibt es aber auch fundamentalistische Gruppen, die sich ganz exklusiv als die einzig wahren Christen sehen.“
Frage: Woher bekommen Sie ihre Infos über Sekten? Schleusen Sie sich da ein?
Neff: Nein, ich spiele mit offenen Karten. Einmal bieten die Selbstdarstellungen der Gruppen - auch im Internet – oft schon viele Infos. Manchmal besuche ich aber auch Veranstaltungen, um mir ein Bild zu machen. Und in unseren Beratungsgesprächen bekommen wir natürlich auch viele Informationen. Es gibt immer wieder Vertreter problematischer Gruppe, die sich an uns wenden, um für sich zu werben und unser vermeintlich schlechtes Bild zu korrigieren.
Frage: Werden Sie auch manchmal von Seiten der Sekten angegriffen? Im vergangenen Jahr gab es einen Gerichtsprozess gegen Ihren Mainzer Kollegen Eckhard Türk, weil eine südkoreanische Freikirche verhindern wollte, dass er in ihr "Indoktrination" und "ideologische Manipulation" vorwirft….
Neff: Es kommt vor, dass ich Post von einem Anwalt bekomme. Dann geht es meist darum, dass eine Sekte eine Veröffentlichung unterbinden will, die die ihr nicht passt, oder dass Infos aus dem Netz verschwinden sollen. Aber so eine Unterlassungserklärung musste ich noch nie unterschreiben – Herr Türk hat den Prozess im letzten Jahr auch gewonnen. Er konnte zeigen, dass er sich umfassend und sorgfältig informiert hat. Wer das tut und Expertenwissen mitbringt, kann sich auch kritisch äußern.
Frage: Wo sehen Sie momentan die größte Bedrohung?
Neff: Da ist zum einen der extreme Islamismus: Der Fanatismus dieser Gruppen hat junge Menschen aus Deutschland, die hier sozialisiert sind und eigentlich gar nicht religiös waren, dazu gebracht, nach Syrien oder den Irak in den "heiligen Krieg" zu ziehen. Aber auch politisch-weltanschauliche Ideologien können ein gewaltbereites Potential aufweisen. So sind die Reichsbürger, die den Staat ablehnen, zwar keine Religion. Aber sie haben schon eine bestimmte Weltanschauung, in der beispielsweise Verschwörungstheorien eine zentrale Rolle spielen und die durchaus religiöse Züge aufweist. Es gibt darüber hinaus eine ganze Reihe von Gruppen, die religiös-sektiererische Züge aufweisen, aber eine ganz andere Selbstwahrnehmung haben. Die "Transzendentale Meditation" aus Indien sieht sich zum Beispiel als Wissenschaft und nicht als Weltanschauung.
Frage: Was sind Trends im Bereich der Esoterik?
Neff: Die Esoterik ist weit in den Alltag eingedrungen. Der Buddha im Baumarkt oder der Traumfänger über dem Kinderbett zeigen das deutlich und sind meist unproblematisch. Aber wenn Menschen sich als Medium sehen, das aus dem Jenseits eine Wahrheit für einen anderen Menschen weitergeben kann, wird es sehr schnell manipulativ. Stark zugenommen haben auch die esoterischen Vorstellungen von Engeln. Auch da gibt es Menschen, die behaupten, Botschaften von Engeln zu empfangen und diese weitergeben wollen. Es gibt Seminare, bei denen man angeblich seinen eigenen Engel kennenlernen kann. Da empfehle ich doch die Bücher von Anselm Grün, die bewegen sich auf einer christlichen Grundlage.
Frage: Wird Ihnen manchmal vorgeworfen, dass sie andere Religionen in Richtung einer Sekte drängen wollen?
Neff: Ja, diesen Vorwurf gibt es, er ist aber unberechtigt. Wir nehmen als Weltanschauungsbeauftragte in Anspruch, dass wir fair und sachlich informieren. Unsere Einschätzungen sind gut recherchiert und was wir sagen können wir auch belegen. Außerdem ist die freie Wahl der Religion ein Menschenrecht, das auch die Kirchen bejahen und respektieren. Es ist vor diesem Hintergrund für Christen und für die christlichen Kirchen wichtig, einzuschätzen, was die religiöse Pluralisierung für Christen und die christlichen Kirchen bedeutet. Auch diese Fragstellung ist ein wichtiger Arbeitsschwerpunkt der Weltanschauungsbeauftragten. Vielfalt ist erstmal sehr gut.