Warum die Kirche nicht nur europäisch sein darf
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Es ist eine wichtige Frage dieser Synode. Viel wird von der Einheit der Kirche gesprochen. Sie ist von größter Bedeutung. Wie ist es möglich, dass Kirche an unterschiedlichen Orten unterschiedliche Gesichter hat und zugleich als Einheit wahrgenommen wird? Die Einheit muss als eine verstanden werden, die die Verschiedenheit einschließt, nach dem Vorbild der Dreifaltigkeit. Einheit darf die Verschiedenheit nicht zerstören. Sie ist Reichtum der Einheit, und sie schützt sie davor, sich in Uniformität zu verwandeln. Die Länder des Amazonasgebiets sind ein Ausdruck der lateinamerikanischen Verschiedenheit, die ohne Ressentiment und mit großer Offenheit von der Kirche Europas und der übrigen Welt aufgenommen werden sollte, sagt Kardinal Claudio Hummes. Er meint, dass die Kirche Lateinamerikas der europäischen und der Weltkirche neue Lichter aufsetzen kann, so wie die Kirche Europas Lateinamerika alte und weiterhin wichtige Lichter aufsetzen soll.
Wir wissen, dass das Christentum in der europäischen Kultur einen Ort der Inkulturation gefunden hat innerhalb eines Weges, der bis in die Gegenwart andauert. Doch diese einzige Inkulturation reicht nicht aus. Papst Franziskus wiederholt, dass eine einzige Kultur den Reichtum des Evangeliums nicht ausschöpfen kann. Die Kirche will nicht über andere Kulturen herrschen, unterstreicht der Kardinal. Wir müssen die Verschiedenheiten aushalten. Lateinamerika und die Karibik bilden einen Kontinent ab, der viele Ethnien und unterschiedliche Kulturen hat. Diese Multikulturalität spiegelt sich wieder in den Regionen Amazoniens. Mich beeindruckten die Sätze eines Synodenvaters, in dessen Diözese die große Mehrheit Indigene sind; 20 verschiedene Völker mit 15 unterschiedlichen Sprachen! Welch ein Reichtum und welch eine Herausforderung zugleich. Da wird konkret, was im Arbeitsdokument der Synode steht, dass "die kulturelle Vielfalt ... eine viel wirklichkeitsnähere Inkarnation (erfordert), um unterschiedliche Lebensweisen und Kulturen annehmen zu können". Bereits der heilige Irenäus hat formuliert, "was nicht angenommen wird, wird nicht erlöst" (IL 113).
Wissen über Lehre und Tradition der Kirche nur eine Seite der Medaille
Mehrmals wurde das im Plenum wiederholt und mit der Frage nach einer adäquaten Ausbildung verbunden: Was braucht es, damit ein Mensch als Missionar, als Ordensfrau, als Ordensmann, als Priester im Amazonasgebiet verstehend arbeiten kann? Es besteht Einigkeit darüber, dass – neben einem fundierten Wissen über Lehre und Tradition der Kirche – kulturelle Sensibilität und Kenntnis des Erbes indigener Völker, die Kenntnis der entsprechenden Lokalsprachen und die Bereitschaft, sich flexibel und offen auf Neues einzulassen, essentielle Fähigkeiten sind, um im Dialog und in der Seelsorge unterwegs zu sein. Zu wenige indigene Leiter gibt es, die einer Pastoral ein Gesicht geben, die eigene Mythen, Traditionen, Symbole und Riten kennt.
Am 12. Oktober jährte sich der Tag der Eroberung Lateinamerikas vor mehr als 520 Jahren. Jair, Kazike des Volkes der Maraguá im Herzen Amazoniens, erzählt auf einem Podium außerhalb der Synodenaula, dass man doch bei einem Besuch an die Tür eines fremden Hauses anklopfe und um Einlass bitte. Bis heute werde nicht angeklopft an die "Türen" der Ursprungsvölker und ihr Leben werde durch Ausbeutung und Zerstörung der Umwelt sowie der systematischen Verletzung der Menschenrechte bedroht. Das Recht auf ihr Territorium und dessen Demarkierung werde verletzt, ebenso das Recht auf eine vorherige Konsultation und Zustimmung. Es werde eben nicht angeklopft! Jetzt in der Synode, innerhalb und außerhalb der Aula werde ihnen zugehört, würden ihre Leiden und Potentiale gehört. Am Samstagabend, eben an jenem 12. Oktober, haben Vertreterinnen und Vertreter indigener Völker des Amazonasgebiets ihre Hände erneut zu einem Weg der Versöhnung geöffnet. Mit Kerzenlicht und Gesängen pilgerten viele Menschen nach einer Feier im Casa Comun in der Kirche Santa Maria in Transpontina zum Petersplatz. Das war sehr bewegend und kraftvoll. Ich hoffe, die Bischofssynode wird diese ausgestreckten Hände wahrnehmen können und den gemeinsamen Weg durch Anerkennung und konkrete Ergebnisse bestätigen; neue Wege für eine integrale Ökologie werden ein Wegweiser sein. Papst Franziskus hat dies gleich zu Beginn der Synode gesagt: "Doch wie oft wurde Gottes Gabe auferlegt, nicht angeboten; wie oft gab es eher Kolonisierung als Evangelisierung! Möge Gott uns vor der Gier nach neuen Formen des Kolonialismus bewahren." In der Regel war unsere Kirche zu lange auf dem Gepäckträger der Kolonialherren unterwegs.
Neue Formen des Kolonialismus
Neue Formen des Kolonialismus habe ich in meiner eigenen vierminütigen Intervention, sie war bereits in der letzten Woche, als Symptom einer imperialen Lebensweise bezeichnet. Ich meine damit eine um sich selbst kreisende Wirtschaft, die die Folgen ihrer Produktion immer wieder an andere auslagert; nicht nur nach Amazonien. Um in Deutschland so viel Fleisch essen und so viele Autos fahren zu können, muss die Wirtschaft auf Wälder und Ressourcen auch in Amazonien zurückgreifen. Das ist neuer Kolonialismus mit seinen bekannten Ursachen (vgl. IL 76, 103) mit negativen Auswirkungen für die einheimische Bevölkerung.
Es braucht eine Vision des guten Lebens, die eine andere Art von Fortschritt beziehungsweise Entwicklung hervorbringen wird (vgl. LS 191, 194). Hier können die Lebensweisen der Indigenen oder der Kleinbauern, die Agrofortwirtschaft in Harmonie mit dem Regenwald betreiben, uns Lehrende sein. Gutes Leben und Fortschritt definieren sich nicht allein durch Wachstum und materielle Güter.