Transparent und mit Interesse für die Gläubigen

Eine moderne Kirche muss (auch) wie ein Unternehmen denken

Veröffentlicht am 21.10.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Um in der Moderne attraktiv zu sein, muss die Kirche auch wie ein Unternehmen denken, findet der BKU-Vorsitzende Ulrich Hemel. Das bedeute, die Gläubigen ernst zu nehmen und Berufsrollen neu zu definieren. Manches Erbe dürfe man jedoch nicht zerstören, so der Theologe und Unternehmensberater.

  • Teilen:

Muss die Kirche auf ihrem Weg in die Zukunft mehr wie ein Unternehmen denken? In gewisser Hinsicht ja, findet der Theologe und Unternehmensberater Ulrich Hemel, der dem Bund Katholischer Unternehmer (BKU) vorsitzt. Denn Zielgruppenfokussierung, Effektivität und sinnvolle Aufgabenverteilung könnten auch der Kirche helfen. Ein Interview.

Frage: Herr Hemel, Sie sind unter anderem Unternehmensberater. Wenn sie mit dieser Brille die Kirche betrachten: Wie sähe Ihre Zustandsanalyse aus?

Hemel: Wenn ich die Brille des Unternehmensberaters aufsetze, dann wird relativ deutlich, dass die Wünsche der "Kunden", sprich der Gläubigen, nicht ausreichend gehört und berücksichtigt werden. Das führt zu einer bedrohlichen Erosion der Kundenbindung und der Kundenzugehörigkeit.

Frage: Um im Bild zu bleiben: Welche Wünsche der "Kunden" registrieren Sie?

Hemel: Da muss man wie in einem Unternehmen zwischen den verschiedenen Zielgruppen unterscheiden, die es ja auch in der Kirche gibt. Aber wenn ich alles zusammenfasse, geht es vor allem um die Themen Transparenz und Mitbestimmung. Die Gläubigen fordern mehr Mitwirkung an organisatorischen Entscheidungen. Dass sich das immer noch nicht komplett durchgesetzt hat, liegt an der noch immer starken klerikalen Prägung der Kirche. Aber in einigen Diözesen hat sich bereits etwas getan: Es gibt zum Beispiel Laien, Männer und auch Frauen, als Ordinariatsräte und Ordinariatsrätinnen, aber auch als Hauptabteilungsleiter im Leitungsteam eines Bistums.

Frage: Ein Unternehmensberater analysiert besonders die Arbeitsabläufe und das Personalmanagement. Was beobachten Sie in diesem Bereich in der Kirche?

Hemel: Dass sich die leitenden Mitarbeiter, sprich die Priester, nicht auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können. Ihre Arbeit ist zu sehr von Verwaltungs- und Leitungsaufgaben und zu wenig vom seelsorglichen Dienst geprägt. Junge Männer werden doch Priester, weil sie sich seelsorglich betätigen wollen. Und sie können es dann oft nicht, weil sie von Verwaltungsaufgaben aufgefressen werden. Man muss doch nur mal mit den Betroffenen sprechen: Die meisten wünschen sich, für die Menschen da sein zu können. Aber genau das verwehrt ihnen ihr Arbeitsalltag allzu oft.

Frage: Würde eine Reduzierung des Priesteramts auf seine Kernaufgaben gegen den Priestermangel helfen?

Hemel: Natürlich. Heutzutage ist der Beruf des katholischen Priesters nur eingeschränkt attraktiv, weil sich die Priester entweder eine Nische suchen müssen oder in einem System verheizt werden, dass sie sich so selbst nicht ausgesucht haben. Denken Sie beispielsweise an die Zusammenlegung von Pfarrgemeinden: Die halte ich für einen großen Irrweg. Pfarrgemeinden sind Gebilde mit einer Geschichte und einer Identität. Dass in vielen Fällen ein Priester für eine Pfarrgemeinde fehlt, ist natürlich ein Faktum. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass man Pfarrgemeinden künftig zusammenlegen muss. Das würde ja bedeuten, dass es in einer Diözese so viele Pfarrgemeinden wie Priester gibt. Im Extremfall gäbe es dann nur sehr wenige oder gar bloß eine Pfarrgemeinde. Das ist für mich nicht nachvollziehbar. Ich finde, Pfarrgemeinden müssen ihr Recht auf Identität und Beheimatung haben. Dann muss man als Kirche eben Formen finden, die zu einer stärkeren Selbstbestimmung führen.

Ein Priester legt seine Stola um die Hände eines Paares
Bild: ©KNA

"Wenn der Priesterberuf besser als andere Berufe die Freiheit für die Seelsorge und die Bedürfnisse der Menschen bietet, dann wird er auch wieder attraktiv", sagt Ulrich Hemel.

Frage: Zu Ende gedacht würde das heißen, dass man sich von der Idee verabschieden muss, dass es jeden Sonntag in der Pfarrei eine Eucharistiefeier gibt…

Hemel: Es gibt ja jetzt schon Pfarrgemeinden, in denen das so ist. Selbstverständlich muss das zu denken geben. Aber zunächst einmal ist eine Pfarrgemeinde ein territorialer Verbund von gläubigen Menschen. Die wünschen sich selber auch, dass es Priester gibt. Wenn der Priesterberuf besser als andere Berufe die Freiheit für die Seelsorge und die Bedürfnisse der Menschen bietet, dann wird er auch wieder attraktiv. Daran habe ich überhaupt keine Zweifel. Dann wären auch die Gläubigen wieder bereit dazu, Berufungen zu fördern und nicht kritisch zu beäugen.

Frage: Neben Personal und Struktur wird die Kirche wird immer wieder vom Thema Finanzen eingeholt. Wo sehen Sie da Nachholbedarf?

Hemel: Die Kirche in Deutschland hat im Bereich der Finanztransparenz grundsätzlich große Fortschritte gemacht. Aber auch hier liegt das Grundproblem darin, dass mit den Priestern und Bischöfen die Letztentscheider in Sachen Finanzverwaltung gar nicht ausgebildet sind. Da wünsche ich mir selbstverständlich gewählte Finanzräte. Die kirchliche Finanzverwaltung war und ist nicht immer ein Ruhmesblatt. Nicht aus bösem Willen, sondern eher wegen mangelnder Fähigkeit und zu wenig Kontrolle. Als Unternehmensberater erinnert mich das an manche Familienunternehmen, wo die Personen aus der zweiten, dritten oder vierten Generation eigentlich gar kein Interesse mehr an der Firma haben, dann lustlos in Beiräten und Aufsichtsräten sitzen und das Management bisweilen einfach schalten und walten lassen. Das führt aber allmählich zum Niedergang eines Unternehmens.

Frage: Aber von kirchlicher Seite scheint in finanziellen Angelegenheiten nach wie vor der Wille zur Veränderung vorhanden zu sein. So hat sich etwa der Verband der Diözesen Deutschlands (VDD) vor kurzem eine neue Struktur gegeben und den Diözesen mehr Transparenz verordnet. Wie beurteilen Sie diese Reform?

Hemel: Das ist zunächst einmal ein richtiger und wichtiger Schritt. Die Reform verlangt von allen Diözesen zum Beispiel die Veröffentlichung der Jahresabschlüsse. Vor zehn Jahren wäre das noch völlig undenkbar gewesen. Aber dabei darf es nicht bleiben. Als nächstes muss die Transparenz und Rechenschaft über das Vermögen des Bischöflichen Stuhls folgen. Dann fehlt es nach wie vor an einheitlichen Maßstäben für eine innere Revision. Die gibt es in jedem größeren Unternehmen. Ihr Zweck ist es, zu prüfen, ob die Mitarbeiter sich an die Spielregeln halten. Dazu müsste man eine bindende Vereinbarung treffen. Aber die liegt in weiter Ferne, weil der VDD nur beschränkte Macht hat, also in gewisser Weise ein zahnloser Tiger ist: Am Ende entscheidet jeder Bischof persönlich, was er von den Beschlüssen des VDD auch umsetzt.

Bild: ©BKU

Ulrich Hemel ist Vorsitzender des Bundes Katholischer Unternehmer (BKU).

Frage: Bei einem Beratungsprozess formulieren Firmen eine Unternehmensvision. Wie sähe Ihre für die Kirche aus?

Hemel: Sie kann in meinen Augen nicht lauten, dass sich unsere Mitgliederzahl bis 2060 halbiert. Sondern eher: Wir machen den Glauben wieder leuchtend und attraktiv für die Menschen. Dazu muss sich die Kirche auch die Frage stellen, für wen sie eigentlich da ist. Vom Gründungsimpuls Christi her ist die Kirche menschenfreundlich. Das passt aber nicht zu den vielen Kränkungen und Demütigungen, die Menschen in ihr erfahren haben. Die Kirche muss einladend sein. Sie muss auch Kirche sein für Menschen, die nicht schon getauft sind, die eine andere sexuelle Orientierung haben und die unterschiedliche politische Positionen vertreten.

Frage: Kann der "synodale Weg" dabei helfen, diese Vision umzusetzen?

Hemel: Der "synodale Weg" ist erstmal ein Gesprächsprozess. Viele Gläubige erwarten nun, dass daraus die ersehnten Entscheidungen wachsen. Das kann dieser Prozess aber nicht erfüllen. Denn wir sprechen hier von einer Weltkirche. Natürlich wird das oft als Ausrede benutzt, um Dinge nicht zu tun, die man problemlos tun könnte. Ich denke aber, dass der "synodale Weg" eine eigene Dynamik entfalten kann, die auch Auswirkungen auf die Weltkirche hat.

Frage: In der Wirtschaft ist es für die Firma entscheidend, sich an den Kundenwünschen zu orientieren. Aber sind auch Wünsche und Erwartungen von Gläubigen an die Kirche legitim?

Hemel: Ich glaube schon, dass wir eine Erwartung an diese Kirche haben dürfen – aber auch, dass wir alle eine Erwartung an das Wirken des Heiligen Geistes haben sollten. Da wird es Überraschungen geben. Die hat es auch früher gegeben. Wir sollten nicht so tun, als ob die Kirche unveränderlich wäre. Das ist schlichtweg nicht wahr: Es gab schon immer das Bekenntnis zur Geschichtlichkeit der Wahrheit in der Auslegung von Dogmen und Meinungen. Bestes Beispiel ist der Zölibat für Weltpriester. Das ist etwas, das schon mal geändert wurde. Somit kann er schwer Kernbestand des Glaubensbekenntnisses sein. Oder beim Thema Frauenweihe: Es gibt sehr starke Stimmen, die sagen, Diakoninnen gab es auch schon in der frühen Kirche. Diese Diskussion wird auch in Rom offen und durchaus kontrovers geführt. Es sollte also niemand so tun, als ob die Frage nach der Priesterweihe für Frauen dogmatisch grundsätzlich unmöglich wäre.

Frage: Muss sich die Kirche als "Volk Gottes" und "mystischer Leib Christi" überhaupt Fragestellungen aus dem Bereich der Ökonomie beugen?

Hemel: Selbstverständlich. Die Kirche ist eine Organisation mit vielen Millionen Menschen, sie geht mit weltlichen Gütern um, sie geht mit Verantwortung um, sie geht mit Macht um, sie schafft Arbeitsplätze und muss sich wie andere Organisationen um die Frage des Talentmanagements kümmern. Auf dieser Ebene gibt es überhaupt keinen Unterschied zu anderen Organisationen und zu Unternehmen. Hier muss sich die Kirche messen und auch dem neuzeitlichen Gebot von Transparenz und Fairness im Organisationsverhalten Rechnung tragen. Das ist Teil der anzustrebenden Glaubwürdigkeit. Die andere Seite ist, dass Kirche natürlich auch ein Gebilde eigener Art ist, mit einem Gründungsimpuls durch Jesus Christus, mit einer geistlichen Substanz, mit einer spirituellen Tradition, die immer wieder neu auszulegen und zu verstehen ist.

Von Matthias Altmann