Instagram und Co. geben zunehmend die Schablone für Hochzeitsfeiern vor

Heiraten im Social-Media-Zeitalter: Bis dass ein Like euch scheidet

Veröffentlicht am 22.10.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Frankfurt am Main ‐ Silvester-Raketen beim Ja-Wort und ganze Kamerateams, die eine Trauung begleiten: Bei Hochzeiten rückt immer stärker die Inszenierung in den Vordergrund, die Wünsche der Paare werden immer ausgefallener. Verantwortlich dafür sind die sozialen Medien.

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Einmal wurde es Jochen Jülicher zu bunt: Heiratswillige haben dem ehemaligen katholischen Priester schon viele ausgefallene Wünsche vorgetragen. Dieses Paar, das ihm gegenüber saß, wollte Silvester-Raketen zünden im Moment des Ja-Wortes.

Jülicher arbeitet seit 20 Jahren als freier Trauredner. Er beobachtet seit einigen Jahren, dass Hochzeiten immer aufwendiger und teurer werden. Einen enormen Einfluss habe das Internet auf Hochzeitsfeiern. "Die Paare rennen hinter Klischees her."

In den vergangenen fünf Jahren ist die Zahl der Eheschließungen wieder gestiegen. 2018 erreichte sie nach Angaben des statistischen Bundesamtes mit rund 449.000 Eheschließungen den höchsten Stand seit 1992. Hochzeiten sind heute große Events. Das Dienstleistungsportal "ProntoPro" meint in einer Studie herausgefunden zu haben, dass Paare durchschnittlich über 19.000 Euro für die Hochzeitsfeier ausgeben. Laut einer anderen Studie einer Grafikagentur, die sich auf Einladungskarten spezialisiert hat, lassen sich 78 Prozent der Paare von sozialen Medien inspirieren.

Bild: ©Kalinovskiy/Fotolia.com

Blumen, Dekoration, Location: Bei den Hochzeitsvorbereitungen orientieren sich viele Paare an Vorbildern aus den sozialen Medien.

Wer auf Instagram den Hashtag #hochzeit eingibt, der sieht komplizierte Blumenarrangements aus Rosen und Gladiolen, Fotos von Frauen in feenhaften Brautkleidern mit kunstvoll aufgetürmten Frisuren. Auf den Plattformen im Internet geben Nutzerinnen und Nutzer, aber vor allem auch kommerzielle Anbieter die Schablone für die Hochzeitsfeier vor – die Outfits, die Dekoration, die Zeremonie.

Auch bei Paaren, die kirchlich heiraten, ist dies zu beobachten. Die Wünsche der Paare seien individueller als früher, erklärt eine Sprecherin der Evangelischen Kirche Deutschland. Dies habe sicher auch damit zu tun, dass kirchliche Rituale nicht mehr allen vertraut seien und daher mitunter Bilder aus den Medien zur Folie bei der Ausgestaltung der eigenen Hochzeit genommen werden.

In jedem Traugottesdienst, den Pastorin Josephine Teske bisher gehalten hat, waren Fotografen oder sogar ganze Kamerateams anwesend. Dabei komme es nicht darauf an, ob die Paare arm oder reich sind: "Am Fotografen wird nicht gespart", sagt die 32-Jährige.

Hollywood als Vorbild

Auch sie hat bemerkt, dass die Leute bei der Gestaltung der Hochzeit medial beeinflusst werden. Die Bräute hätten zum Beispiel alle die Vorstellung aus romantischen Filmen, vom Vater zum Altar geführt zu werden. Von der Kirche sei das nicht so gewollt. Schon Martin Luther (1483–1546) sei der Meinung gewesen, dass Mann und Frau zusammen in die Kirche einziehen sollten. Der Vater, der seine Tochter zum Altar führt und sie dort ihrem Ehemann übergibt – das sei nur eine Hollywoodvorstellung. "Ich persönlich kann das nicht nachvollziehen", sagt sie.

Die Überbetonung des Weiblichen sei ein weiterer Punkt. Alles drehe sich am Tag der Hochzeit um die Frau: "Keine soll so schön sein wie die Braut", sagt Teske. Im Gottesdienst nehme sie als Pastorin jedoch gerne auf humorvolle Weise Bezug auf den Alltag und das Leben des Paares, damit "entzaubere" sie die romantische Überhöhung der Ehe.

Bild: ©iofoto/Fotolia.com

Keine Frau darf so schön sein wie die Braut – dieses ungeschriebene Gesetz gilt auf vielen Hochzeiten.

Den Leuten fehle es an gesellschaftlichen Vorbildern, sagt der Alltagskulturforscher Gunther Hirschfelder. So suchten sie im Internet danach. Das habe zur Folge, dass die Feier genau geplant und inszeniert werde. Auch um die Feier in den sozialen Medien darzustellen.

"Wir haben heute durch die medialen Vorlagen ein strukturkonservatives Frauenbild, das weibliche Formen überbetont", sagt Hirschfelder. Frauen erhielten durch die sozialen Medien vermittelt, unterwürfig und schön zu sein. Die Frau als zartes, prinzessinnenhaftes Geschöpf sehe auf Bildern gut aus und gefalle den Followern – und das gebe Likes.

Trauredner Jochen Jülicher hat auf manchen Hochzeiten das Gefühl, er befinde sich in einem Fotostudio. Außerdem wollten viele Paare bei der Traurede nur hören, dass sie das perfekte Brautpaar seien. Er persönlich könne damit nicht viel anfangen. Dem Paar, das ihm mit den Silvester-Raketen kam, erteilte er jedenfalls eine Absage. "Dann habe ich das Vorgespräch zur Trauung abgebrochen."

Von Anna Bayer (epd)