"Eine Mischung aus Studentenwohnheim und Kloster"
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Nicht verwunderlich scheint meine "kirchliche Karriere", die mich schließlich ins Priesterseminar Sankt Georgen geführt hat: Vater Pastoralreferent, Mutter Gemeindereferentin, aufgewachsen im Pfarrhaus in Frankfurt-Heddernheim. Taufe, erste heilige Beichte und Kommunion in St. Peter und Paul; dort anschließend mit Freude und Eifer Ministrant.
Der erste Besuch im Seminar
Daneben war und bin ich auch Pfadfinder im Stamm Wikinger, der zur Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg (DPSG) gehört und die pfadfinderisch-bündische Tradition pflegt. Bis heute bin ich dort Kurat (geistlicher Leiter). Auch war ich – ganz "klassisch" – in der Pfarrgemeinde aktiv, in der Jugendarbeit und als Küster. Nach dem Abitur am humanistischen Lessing-Gymnasium im Frankfurter Westend, entschied ich mich zunächst für ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ). Schließlich ging auch das aufs Ende zu. Der Entschluss ins Priesterseminar einzutreten, war schon länger gefallen.
Bei meinem ersten Besuch im Seminar war ich gespannt. Ich wusste, dass ich einige Wochen später hier meine Ausbildung beginnen würde. Meine Vorstellungen von einem solchen Haus waren noch sehr ungenau. Zwar kannte ich Priester und Theologen, die in Sankt Georgen gewesen waren. Aber die Jesuitenhochschule und das Priesterseminar hatten sich seitdem verändert. Nicht nur baulich. Und das ist vielleicht das erste, das diejenigen sagen, die mich in Sankt Georgen besuchen kommen: "Das sieht ja ganz anders aus, als ich es mir vorgestellt habe." Die meisten stellen sich ein altes kloster- oder schlossähnliches Gebäude vor. Und manche fragen sogar nach dem Schlafsaal.
Tatsächlich aber sind die Gebäude auf dem Campus von Sankt Georgen alle zu unterschiedlichen Zeiten entstanden, aber alle innerhalb der letzten 90 Jahre. Und sie bilden nicht wirklich ein ganzes. Außerdem hat jeder Seminarist natürlich sein eigenes Zimmer, einen Schlafsaal gab es nie. Für mich war das zumindest nicht sehr überraschend. Als Schüler hatte ich den Campus zu öffentlichen Abendvorträgen angesehen und auch schon eine Führung über das Gelände mitgemacht.
Zu weltfremd?
Aber wie ist das Leben hinter "den Mauern" von Sankt Georgen? Denn immerhin das stimmt: Der weitläufige Park ist rundum von einer Mauer umgeben. Wie bei einem Kloster und so ähnlich stellen sich die meisten so ein Priesterseminar schließlich auch vor. Auch ich habe mir das so ähnlich vorgestellt. Gemeinsame Gebetszeiten, gemeinsame Mahlzeiten, geistliche Atmosphäre. Ein bisschen schwang auch die Befürchtung mit: vielleicht ein wenig zu "geistlich" und zu weit weg von dem, was man die "normale Welt" nennen würde. Zu weltfremd eben.
Dann kam mein erster Besuch im Priesterseminar. Der damalige Regens erklärte mir das Leben dort mit einem Satz, den ich mir bis heute gemerkt habe: "Wissen Sie, eigentlich ist das hier eine Mischung aus Jugendherberge und Kloster." Eine seltsame Vorstellung, aber irgendwie stimmt es. Ich würde allerdings eher sagen: Eine Mischung aus Studentenwohnheim und Kloster; denn in einer Jugendherberge ist doch deutlich mehr Wechsel in der Besetzung. Im Priesterseminar bleibt die "Belegschaft" (wir nennen sie "Seminargemeinschaft") doch zumindest für ein bis zwei Semester relativ konstant – und einige bleiben über Jahre zusammen.
Aber zunächst zum Kloster: Natürlich gibt es gemeinsame Gebetszeiten im Priesterseminar Sankt Georgen, aber nicht so viele wie im Kloster (und andere Priesterseminare haben auch mehr als wir). Das liegt zum einen daran, dass sich der Tagesablauf der Studenten im Priesterseminar doch sehr voneinander unterscheiden kann, zum anderen aber auch daran, dass wir von Jesuiten ausgebildet werden. Die legen großen Wert auf Eigenständigkeit und haben im Vergleich zu anderen Ordensgemeinschaften keine Tradition gemeinsamer Gebetszeiten. Auf der anderen Seite wird viel Wert auf das persönliche Gebet des Einzelnen gelegt. Für die spätere Situation als "Weltpriester" ist das sicher richtig. Ob das auch für die Zeit im Seminar gilt - dazu gibt es sehr unterschiedliche Meinungen. Vielleicht wären ein paar mehr gemeinsame Gebetszeiten doch sinnvoll, um ins geistliche Leben hineinzuwachsen.
Zumindest Teile des Stundengebetes, also der über den Tag verteilten Gebetszeiten, die für Mönche und auch Kleriker verpflichtend sind, beten wir aber gemeinsam. Auch die Hl. Messe feiern wir in der Regel zusammen in der Seminarkirche – und viele Seminaristen treffen sich darüber hinaus zum Beten. Die "klösterlichste" Zeit ist sicherlich der "Stille Abend" am Dienstag. Schließlich ist der durch gemeinsame Messe, eucharistische Anbetung, Komplet (Nachtgebet) in Gemeinschaft und Schweigen bis zum Morgen geprägt. Dann treffen wir uns auch zu den gemeinsamen Laudes (Morgenlob). Wobei sich nur die Priesterkandidaten eines Heimatbistums versammeln. In Sankt Georgen werden nämlich Priesterkandidaten verschiedener Bistümer ausgebildet. Um den Zusammenhalt unter den Seminaristen aus den gleichen Bistümern zu stärken, haben sich diese gemeinsamen Gebetszeiten entwickelt. Mit der ganzen Seminargemeinschaft beten wir nur an besonderen Tagen – den "Festen im Alltag" – zusammen die Laudes.
Auf ein Bier in der Hausbar für die besten Gespräche
Die anderen Abende in der Woche kann es aber auch weniger geistlich und fromm zugehen. Immerhin wohnen hier im Priesterseminar vorwiegend junge Männer zusammen. Und so gibt es auch Abende, an denen man auf einem der Balkone sitzt und bei einem Glas Wein auf die Skyline Frankfurts schaut. Oder Abende an denen man sich "auf ein Bier" in der eigenen Hausbar verabredet. Die ist generell ein wichtiger Ort. Nicht nur, dass es hier mittlerweile eine kaum zu überschauende Anzahl verschiedener Biere gibt. In unserer "Papa-Bar" hängen die Bilder der Päpste und allerhand Erinnerungen aus vielen Jahrzehnten Sankt Georgener Seminargeschichte. Immerhin werden hier seit etwas mehr als neunzig Jahren Priester ausgebildet. Das wichtigste an der Seminarbar ist aber: Hier werden die besten Gespräche geführt. Fernab von Studienfragen, unbeobachtet von der Ausbildungsleitung, entwickeln sich persönliche Gespräche. Denn allzu oft geht es am Esstisch doch nur um Allgemeinplätze und Kirchenpolitik. Aber gerade der Austausch mit anderen, die auf dem Weg sind, ist bestärkend oder wirft neue Fragen auf, gibt neue Impulse. Nur so kann man an und in seiner Berufung wachsen.
Meines Erachtens passt die Beschreibung des Priesterseminars als "Mischung aus Studentenwohnheim und Kloster" also ziemlich genau. Und ich bin überzeugt, dass das auch gut so ist. Auf einem Studientag zum Thema "Priester – Bilder. Rollen. Theologie" der Katholischen Akademie in Bayern im vergangenen Jahr beschrieb der Journalist Patrick Schwarz das Bild des Priesters als "Zwei-Beiner". Nach dem sehnten sich die Menschen seiner Meinung nach. Ein Bein solle der Priester im Himmel haben, aber mit dem anderen solle er fest auf dem Boden der Welt stehen. Mir hat dieses Bild sehr gut gefallen und darum glaube ich, gehören beide Elemente auch zum Priesterseminar dazu: das ganz normale Studentenleben, aber eben doch mit einer geistlichen Haltung und Perspektive.