Schweizer Kurienkardinal im Interview zur Amazonas-Synode

Koch: Freikirchen sind präsent, unsere Seelsorger kommen nur zu Besuch

Veröffentlicht am 26.10.2019 um 12:45 Uhr – Lesedauer: 

Vatikanstadt ‐ Sie versprechen Wohlstand: Nicht wenige Katholiken in Südamerika treten deshalb zu den evangelikalen Freikirchen über. Für Kardinal Kurt Koch steht das im strikten Gegensatz zur Option für die Armen - trotzdem könne die Kirche hier etwas lernen.

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Der Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch nimmt an der Amazonas-Synode teil, die am Sonntag endet. Im Interview äußert sich der Leiter des Päpstlichen Einheitsrates zur schwierigen Ökumene in Lateinamerika und dem nicht immer einfachen Erfahrungsaustausch bei dem dreiwöchigen Treffen im Vatikan.

Frage: Herr Kardinal, unter Papst Franziskus hat die katholische Kirche den Dialog mit evangelikalen Gemeinden und der Pfingstbewegung verstärkt. In Amazonien ist das nicht so einfach, da diese Gemeinschaften oft eine scharfe Konkurrenz für die katholischen sind. Wie nehmen Sie die konfessionelle Gemengelage dort wahr?

Koch: Ich persönlich kenne die Situation dort nicht und bin darauf angewiesen, was mir berichtet wird. In der Synode ist darüber relativ wenig gesprochen worden. Wenn die Bischöfe etwas gesagt haben, dann war es oft selbstkritisch: etwa dass diese Gemeinschaften präsent sind, während unsere Seelsorger meist nur zu Besuch kommen. Man muss unterscheiden: Es gibt Pentekostale, also Pfingst-Gemeinden, die einen Dialog mit uns wünschen, und solche, die sehr anti-ökumenisch und anti-katholisch sind. Wir müssen uns fragen: Warum verlassen nicht wenige Gläubige die katholischen wie die historischen protestantischen Gemeinden? Was haben wir falsch gemacht? Auf der anderen Seite: Was können wir lernen, was dürfen wir keinesfalls übernehmen?

Frage: Was etwa?

Koch: Die sogenannte theology of prosperity, das Versprechen: Wenn du zu uns kommst, wirst du wohlhabend. Das wäre das strikte Gegenteil der katholischen Option für die Armen.

Frage: Sind diese neuen Prediger auch deshalb erfolgreich, weil sie sich - provokant gesagt - von allem indigenen und katholischen "Mischmasch" abgrenzen: keine amazonischen Symbole, keine Heiligen, nur Kreuz und Bibel als klareres Erscheinungsbild?

Koch: Es wäre eher umgekehrt, dass diejenigen interessant sind, die sich auf das Indigene einlassen. Inkulturation ist etwas sehr Wichtiges, aber dazu gehört immer auch Purifikation ...

Frage: Was wäre zu reinigen?

Koch: Ich muss überlegen: Welche Elemente einer Kultur sind nicht zu übernehmen? Welche Elemente sind nicht mit dem Glauben zu vereinbaren und müssen kritisch unterschieden werden? Ich habe viel von Inkulturation gehört, aber wenig von einer solchen Purifikation.

Frage: Was sonst wäre von den Pfingstlern zu lernen?

Koch: Zweierlei. Zum einen eine Unmittelbarkeit des Glaubens; die westliche Mentalität ist ja mitunter etwas verkopft. Der Glauben bei diesen Gemeinschaften ist sehr viel spontaner, gehört ganz natürlich zum Leben dazu. Damit hängt zusammen, dass das Wirken des Heiligen Geistes als unmittelbar erfahrbar genommen wird.

Frage: Inwieweit ist die Amazonas-Synode auch ein Ergebnis dieses Konkurrenzdrucks?

Koch: Ich habe nicht den Eindruck, dass dies der wesentliche Grund für die Synode ist. Die Anlässe waren neue Wege in der Pastoral und eine integrale Ökologie.

Kardinal Kurt Koch im Porträt
Bild: ©KNA

Kardinal Kurt Koch ist seit 2010 Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen.

Frage: Von lateinamerikanischen Teilnehmern war zu hören, kuriale Synodenmitglieder verstünden ihre Anliegen oft gar nicht oder nur schwer. Wie haben Sie den Dialog wahrgenommen?

Koch: Es ist eine objektive Schwierigkeit: Die Vertreter aus Amazonien haben unmittelbare Erfahrungen, sie leben dort. Ich selber war noch nie dort und musste immer wieder nachfragen: Was heißt das, was meint ihr? Da ist kein Gespräch auf derselben Erfahrungsebene möglich. So kann der Eindruck entstehen: Die verstehen uns nicht. Aber ich meine, das Gegenteil war der Fall - zumindest habe ich es so erlebt.

Frage: Wie haben Sie die Diskussion um den Entwurf des Abschlusspapiers erlebt? Es gab anfangs ja Enttäuschungen.

Koch: Das ist ein grundsätzliches Problem. Für das Arbeitsdokument, das "Instrumentum laboris" hatte man Monate Zeit, für das Schlussdokument nur ein paar Tage. Man wird nach der Synode überlegen müssen, ob man methodisch so weitergehen kann, zumal wenn das Thema so breit ist wie jetzt.

Frage: Es gab den Vorschlag eines eigenen amazonisch-katholischen Ritus, ähnlich dem der Ostkirchen. Was halten davon?

Koch: Die Ausgangslage bei den orientalischen Kirchen scheint mir anders zu sein. Diese katholischen Kirchen kommen aus alten orthodoxen Traditionen und haben diese mitgebracht, als sie die Einheit mit Rom suchten. Riten sind organisch gewachsen; in Amazonien ginge es darum, einen solchen neu zu schaffen.

Frage: Der ließe sich nicht aus der 500-jährigen gelebten Kirchengeschichte in Lateinamerika entwickeln?

Koch: Das müssen die Leute vor Ort sagen, aber bisher gibt es dort die lateinische Tradition. Ich sehe nicht viel, auf das man historisch aufbauen könnte, wie dies bei den orientalischen Kirchen der Fall war.

Frage: Welche möglichen Folgen dieser Synode sehen Sie jetzt schon für die Kirche in Ihrem Heimatland Schweiz, in Europa?

Koch: Für mich gibt es viele Fragen, die die ganze Kirche betreffen: nach der Pastoral, den Ämtern, der Inkulturation, neuen Riten. Da kann man nicht sofort von Amazonien nach Europa gehen. Das sind Fragen, die die gesamte Kirche behandeln müsste.

Frage: Das hieße zu jedem dieser Themen eine eigene weltweite Bischofssynode?

Koch: Das könnte eine Vollversammlung der Synode behandeln. Aber entscheiden muss der Papst, was er aus all dem macht.

Von Roland Juchem (KNA)