Overbeck: Kirchliche Traditionen haben Gestaltungskraft verloren
Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck sieht die katholische Kirche in einer "Achsenzeit". Sie stehe vor der Frage, wie sie sich zur Moderne und Postmoderne stelle, in denen alles vom Freiheitsgedanken ausgehe, sagte der Sozialbischof der Bischofskonferenz am Dienstagabend in Berlin. Dies betreffe auch das Verhältnis von Kirche und Staat. Die kirchlichen Traditionen hätten ihre gestalterische Kraft verloren, so Overbeck. Der Ruhrbischof äußerte sich bei einer Diskussionsveranstaltung der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) und der den Grünen nahen Heinrich-Böll-Stiftung zum Thema "Religion und Staat in einem pluralisierten und säkularisierten Land". Alle Gesprächsteilnehmer betonten dabei, das deutsche Religionsverfassungsrecht sei den künftigen Herausforderungen einer religiös und weltanschaulich pluralen Gesellschaft im Grundsatz gewachsen.
Gegenüber Regelungen in anderen Staaten sei das deutsche Religionsverfassungsrecht "in hohem Maße integrationsfähig", so Christine Langenfeld, Richterin am Bundesverfassungsgericht. Es fungiere als eine "Art Integrationsmotor", da es die religiösen Bedürfnisse des Menschen in hohem Maß berücksichtige und nicht ins Private abdränge. Sie rechne aber in der Praxis mit einzelnen Änderungen der Ausführungsregeln, so die Juristin weiter. Das betreffe etwa die Frage des muslimischen Religionsunterrichts oder des kirchlichen Arbeitsrechts.
Overbeck: Staatskirchenrecht statt Religionsverfassungsrecht
Der frühere CDU-Bundesinnenminister Thomas de Maiziere verwies in diesem Zusammenhang auf die Herausforderung durch die türkische Religionsbehörde Ditib. Weitere Themen seien etwa die Friedhofsordnung oder die Wohlfahrtsverbände der Religionsgemeinschaften. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt sprach sich für eine Reform des kirchlichen Arbeitsrechts aus. Auch brauche es eine Rahmengesetzgebung zur Ablösung der sogenannten Staatsleistungen an die Kirchen.
Overbeck plädierte dafür, weiter am Begriff des Staatskirchenrechts statt Religionsverfassungsrecht festzuhalten, da die Regelung nicht unmittelbar Probleme der Religionen selbst behandele und auch andere Weltanschauungsgemeinschaften umfasse. Auch de Maizere betonte, dass der Staat mit Blick auf Religion keine gestaltende, sondern eine gewährleistende Funktion habe. Er müsse die Ausübung der Religionsfreiheit im Rahmen der Verfassung sicherstellen. Entsprechend liege es aber auch nicht am Staat, Religionsgemeinschaften wie dem Islam "Angebote" zu machen. "Sie können in einer Körperschaft des öffentlichen Rechts leben, sie können es aber auch lassen", so de Maizere. Das Grundgesetz sei gegenüber dem Islam "ziemlich entwicklungsoffen", so der CDU-Politiker. (KNA)