Wie sich Kirchenstaat und Kurie finanzieren

Vatikanfinanzen: Mit neuer Leitung gegen den "Finanzkollaps"

Veröffentlicht am 15.11.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Vatikanstadt ‐ Der Vatikan steht kurz vor der Insolvenz. Das behauptet zumindest der Enthüllungs-Journalist Gianluigi Nuzzi in seinem neuen Buch. Doch wie fundiert sind seine Prognosen? Und wie finanzieren sich Vatikan und Kurie überhaupt? Katholisch.de hat die Antworten.

  • Teilen:

Steht der Vatikan vor dem Finanzkollaps, muss er 2023 Insolvenz anmelden? Die jüngste Prognose des italienischen Enthüllungs-Journalisten Gianluigi Nuzzi hat im Vatikan energische Dementis ausgelöst. Nuzzi hatte in einem neuen Buch angebliche Geheimdokumente der vatikanischen Finanzbehörden veröffentlicht, wonach der Haushalt des Heiligen Stuhls stetig in die roten Zahlen abrutsche: von einem Minus von 12,5 Millionen Euro im Jahr 2015 auf 32,1 Millionen 2017 und zuletzt 43,9 Millionen Euro (2018).

Der Vatikan, der sich seit einigen Jahren zu Wirtschafts- und Finanzfragen extrem wortkarg gibt und allenfalls defensiv reagierte, antwortete diesmal sofort und nannte sogar Zahlen: Eigentlich würde der Haushalt für 2018 sogar ein Plus von 22 Millionen ausweisen. Aber infolge dringender "Rettungsmaßnahmen" für ein Krankenhaus und zum Erhalt von Arbeitsplätzen sei man in ein Minus gerutscht, sagte der Chef der Güterverwaltung APSA, Bischof Nunzio Galantino, in einem Interview. Gleichwohl nannte er die Höhe des Defizits nicht.

Finanzexperte wird Nachfolger von Kardinal Pell

Ist der Vatikan damit aus dem Finanz-Tief gerettet? Für neue Zuversicht sorgte jetzt auch die Berufung des Finanzexperten Juan Antonio Guerrero Alves zum neuen Präfekten des Wirtschaftssekretariats. Damit endete das lange Leitungs-Provisorium, seit Kardinal George Pell 2017 zu einem Prozess nach Australien beurlaubt wurde. Die Behörde dürfte bald neuen Tritt fassen.

Wie Nuzzi erneut an Geheimunterlagen aus dem Vatikan gelangt ist – er hatte bereits 2012 den ersten "Vatileaks"-Skandal losgetreten – bleibt sein Geheimnis. Vieles spreche dafür, dass die Zahlen "echt" sind und zumindest stimmen könnten, meint etwa der deutsche Historiker Hartmut Benz, der in den 1990er Jahren dank höchster Unterstützung und Einsicht in Quellen die vielbeachtete Studie "Finanzen und Finanzpolitik des Heiligen Stuhls" veröffentlichte. Für ihn entsprechen der Aufbau der vorgelegten Tabellen sowie die Benennung und Reihenfolge der einzelnen Posten fast genau dem der früher vorgelegten Abschlüsse. Allerdings hat der Vatikan auch damals stets nur wenige Eckdaten veröffentlicht, die Bilanzen insgesamt aber geheim gehalten.

Nuzzi trifft mit seinem jüngsten Bestseller in eine schmerzliche Lücke: Im Zuge der von Papst Franziskus eingeleiteten Kurienreform wurden vor allem der Wirtschafts- und Finanzsektor gründlich umgebaut und die Zuständigkeiten verschoben. Die mächtige APSA wurde arg gestutzt und musste einen Teil ihrer Kompetenzen an das neu geschaffene Wirtschaftssekretariat abtreten, das auch die Aufgaben der Wirtschaftspräfektur und des sie kontrollierenden Kardinalsrats (15er Rat) übernahm. Das Sekretariat hatte zuletzt keinen rechten Arbeitsrhythmus gefunden.

Bild: ©KNA

Erste Anhörung im "Vatileaks 2"-Prozess im Vatikan am 24. November 2015. Den Angeklagten, unter anderem dem Journalisten Gianluigi Nuzzi (1.v.l.), und der PR-Beraterin Francesca Chaouqui (2.v.r.) wird die Verbreitung vertraulicher Dokumente des Heiligen Stuhls vorgeworfen.

Die letzten offiziell publizierten Haushaltsabschlüsse von Kurie und Vatikanstaat sind die des Jahres 2015. Detailliertere Angaben zum Haushalt der Kurie gab es zuletzt für 2012. So konnte man seit Jahren über Finanzlöcher nur munkeln – und dahinein passen Nuzzis Hiobsbotschaften vom klammen Vatikan.

Bei näherem Hinschauen erweisen sich die Zahlen jedoch als weniger erschütternd und die Lage als nicht ganz so dramatisch. Die Eckdaten – vorausgesetzt sie sind echt – stehen in Kontinuität zu den Vorjahren, die seit 2001 meist ein Minus auswiesen, so Benz. Und für manche Einbrüche auf der Einnahmenseite gibt es plausible Erklärungen. Die Personalkosten für die 3.040 Mitarbeiter der Kurie beliefen sich danach 2018 auf 140 Millionen Euro (Vorjahr 137 Mio.), die für Unterhalt und Verwaltung auf 136 Millionen (125 Mio. im Vorjahr), und liegen im langfristigen Trend.

Sinkende Spendeneinnahmen - wegen Vertrauensverlusts in die Kirche

Einbrüche gab es in den letzten Jahren auf der Haben-Seite. Der Vatikan erhebt, anders als alle übrigen Staaten, keine Steuern. Vor allem die Kurialverwaltung im Vatikan ist auf Erträge aus ihren Finanzanlagen und ihrem Immobilienbesitz sowie auf Spenden und sonstige Zuwendungen angewiesen. Und die sanken zuletzt, wenn auch unterschiedlich stark. Die Einnahmen aus Finanzanlagen – abhängig von der Weltwirtschaftslage – betrugen 2018 42,9 Mio. Euro, 2017 waren es noch 69,9 Mio. An Spenden und Zuwendungen gingen zuletzt 102 Millionen Euro ein, ein Anstieg von knapp einer Million gegenüber 2017. Von den Diözesen der Weltkirche erhielt der Heilige Stuhl im Rahmen der gemäß Kirchenrecht (CIC 1271) erbetenen Hilfe 22,6 Mio. Euro. Im Vorjahr waren es 22,9 Millionen, Hauptgeber waren stets die Diözesen aus den USA, Deutschland und Italien; aber gerade aus den USA gingen die Zuwendungen zuletzt deutlich zurück – wegen hoher Verpflichtungen mancher Diözesen aus Missbrauchsprozessen und Entschädigungszahlungen, aber auch im Zuge eines Vertrauensverlusts der Kirche.

Rückläufig war zuletzt auch die Zuwendung der Vatikanbank IOR: 2018 stellte sie nach eigenen Angaben dem Papst Gewinne in Höhe von 17,5 Millionen Euro zur Verfügung. 2016 waren es 36 und 2017 noch 31,9 Millionen, in früheren Jahren zwischen 49 und (2012) 55 Millionen Euro gewesen.

Auch der Vatikanstaat, dessen Bilanzen strikt von denen der Kurie getrennt sind, führt einen gewissen Betrag an den Heiligen Stuhl ab, als freiwillige Unterstützung. Im Gegensatz zur Kurie hat das Governatorat beachtliche Einnahmen, etwa aus dem Ticketverkauf für die Vatikanmuseen (17 Euro, ermäßigt 8 Euro), oder aus den Geschäften im eigenen Supermarkt, den Tankstellen oder der Boutique, sowie Briefmarken- oder Münzverkäufen. Der Staatsetat schloss meist mit einem zweistelligen Millionen-Plus ab, 2015 waren es 59,9 Millionen Euro.

Im wehrhaften Turm Nikolaus V. beim Diensteingang zum Vatikan befindet sich der Sitz der Vatikanbank IOR.
Bild: ©picture alliance / abaca/Vandeville Eric

Die Vatikanbank IOR hat ihren Sitz im Turm Nikolaus V. beim Diensteingang zum Vatikan am Annator.

Auch zum Patrimonium, zum angeblich unermesslichen Reichtum des Vatikans, machen Nuzzis Tabellen (so sie authentisch sind) interessante Angaben. Dieses Erbe war in früheren Jahren – nach unterschiedlichen Bemessungen und laut unterschiedlichen Quellen – mal mit 15 Milliarden Dollar, mal mit 12 Milliarden Euro, mal mit 1 Million Euro beziffert worden. Den jetzt vorliegenden Angaben zufolge betrug es 2018 1,9 Milliarden Euro, im Jahr zuvor seien es 2,03 Milliarden gewesen.

Es setzt sich im Wesentlichen zusammen aus einem Immobilienbesitz im Wert von 593 Millionen Euro, aus 385,6 Millionen Euro in kurzfristigen und 561,9 Millionen Euro in langfristigen Finanzinvestitionen, sowie aus liquiden Mitteln in Höhe von 305,9 Millionen. Hinzu kommen Goldreserven für knapp 40 Millionen.

Grundlage für den Anlagen-, Gold- und Aktienbesitz bildete die Entschädigungszahlung der Lateran-Verträge von 1929 für den Verlust des Kirchenstaates. Der Vatikan hatte dieses Erbe breit gestreut investiert: in Italien, aber auch in US-Dollar, in Schweizer Franken, der D-Mark sowie im Euro – und zeitweise recht erfolgreich gemanagt. Die Erträge aus diesen Anlagen bilden – neben den Spenden, der Solidaritäts-"Steuer" des CIC und sonstigen Zuwendungen – den Grundstock für den Unterhalt und die Arbeit der Kurie.

Den Petersdom kann man nicht verkaufen

Hinzu kommen Einnahmen aus den rund 3.000 Immobilien – diese Zahl nannte auch Bischof Galantino im jüngsten Interview. Der Großteil wird in Rom als Büroraum für die Kurie oder als Dienstwohnungen für Kurienmitarbeiter – vom Kardinal bis zum Pförtner – genutzt, und zwar zu Konditionen ähnlich denen von Sozialwohnungen. Die Renditen halten sich sehr in Grenzen. Allerdings hat die Güterverwaltung im Laufe der Jahre auch in Immobilien in europäischen Metropolen, in Paris oder London, investiert. In Rom war es in den letzten Jahren gelegentlich zu Enthüllungen über Missstände und "Fehlbelegungen" gekommen. Es wurden Fälle publik, wo Vatikanwohnungen in Toplage weit unter Marktpreis an Politiker, Freunde oder "Freunde von Freunden" vermietet wurden.

Die derzeit laufende Wirtschafts- und Finanzreform muss die Grundlagen für Arbeit und Unterhalt der Kurie legen. Das beginnt mit den richtigen Anlagestrategien, einer klaren Haushaltsplanung sowie der Einstellung fachlich kompetenten Personals und hört mit der Spenden-Akquise und der Einbindung der Weltkirche nicht auf. Die Vatikan-Verantwortlichen sind zuversichtlich. Derzeit unterziehe man seine Bilanzen – wie jede Familie – einer "spending review", einer Ausgabenprüfung, sagte Galantino in seinem Interview.

Nicht zu beziffern ist freilich der ideelle Reichtum des Vatikans – an Kunstschätzen und an Sakralbauten. Doch den Petersdom kann man nicht verkaufen, die Pieta nicht versteigern. Sie gehören dem Erbe der Menschheit. Und ihr Erhalt, ihre Pflege und Präsentation sind eine teure Pflicht.

Von Johannes Schidelko