Dominikanerpater: Warum Klerikertitel abgeschafft werden sollten
Der Dominikaner Ulrich Engel leitet das von seinem Orden getragene philosophisch-theologische Forschungszentrum Institut M.-Dominique Chenu in Berlin. Im Zuge seiner Arbeit hat er sich auch mit Sprache und Kommunikationsstrukturen der Kirche auseinandergesetzt. Auf beiden Ebenen habe sie bereits Macht missbraucht, findet er. Ein Interview.
Frage: Herr Engel, wie ist in der Kirche durch Kommunikation Macht missbraucht worden?
Engel: Für unsere Kommunikation brauchen wir Sprache. Immer da, wo wir Sprache verwenden, werden auch Machtverhältnisse mittransportiert. Ein Beispiel: Wir benutzen in der Kirche ganz selbstverständlich das Wort "Pastoral", wir kennen den "Pastor", den Hirten – ein biblisches Bild. Aber da, wo wir diese Begriffe benutzen, schwingt auch die Pastoralmacht mit. Es gibt Abhängigkeits- und Unterwerfungsverhältnisse. Wenn sich jemand freiwillig unterwirft, kann das positiv sein, weil dieser Akt auf Erfahrungen und Entscheidungen beruht. Es kann aber auch sein, dass solche Verhältnisse aufgrund von Strukturen unfrei sind. Die Rede vom "Hirten" und der "Herde" ist nicht unschuldig. Dieses Sprachbild kann auch missbraucht werden. Das heißt nicht, dass wir jedes Mal Missbrauch betreiben, wenn wir von "Pastor" und "Pastoral" reden. Aber es ist ein naheliegendes Beispiel, wie unsere Sprache, unsere Kommunikation mit potentiellem Missbrauch verknüpft ist.
Frage: Ist die Kirche mit ihrer theologischen Fachsprache dafür besonders anfällig?
Engel: Sie ist nicht besonders anfällig, wir finden ähnliche Phänomene ja auch im politischen Bereich. Aber sie ist generell anfällig, das muss man selbstkritisch zur Kenntnis nehmen.
Frage: Gibt es in der Sprache eine besondere Macht-DNA oder ist das eine Summe von Einzelaspekten?
Engel: Die Sprache, die wir in der Kirche benutzen, nutzen wir auch in anderen Zusammenhängen. In der Kirche allerdings leben, arbeiten und sprechen wir in einer Struktur, die hierarchische Verhältnisse, Unter- und Überordnungen mit sich bringt. Und die Sprache bildet ab, was wir leben – und andersherum. Das hängt ja zusammen. Deshalb führen hierarchische Strukturen auch zu ihrer eigenen Abbildung in der Sprache. Wir kennen die vielen Ämterbezeichnungen, vom Kardinal über den Bischof bis zum Prälaten und dem Geistlichen Rat. Diese Titel bilden in der Sprache nach, was wir an hierarchischen Strukturen in der Kirche haben. Müssen wir uns mit solchen Titeln ansprechen? Man könnte das auch nivellieren und etwa einen Bischof nicht mit "Herr Bischof" oder "Exzellenz", sondern einfach etwa als "Herr Koch" ansprechen.
Frage: Verstärkt es das Problem, dass Kleriker in gewisser Hinsicht Stellvertreter Gottes sind?
Engel: Die Stellvertreterfunktion ist nur eine theologische Form, einen Priester zu beschreiben. Wir können ihn auch von der Gemeinde her definieren. Muss unser Blick auf den Priester denn immer der sein, dass er in Christi Namen agiert? Die absolute Macht Gottes kann sich nicht in einem Menschen widerspiegeln. Was sich in unserer Sprache und unserer Amtsrealität widerspiegeln kann, ist der dekonstruierte Gott des Philipperhymnus: der sich klein macht, der sich erniedrigt. Wenn man sich dieses theologische Bild für das Selbstverständnis von Klerikern zum Vorbild nimmt, kommt man eher zu einer Sprache, die weniger gefährdet ist, klerikale Allmachtsphantasien zu übertragen. Diese Übertragung ist das Entscheidende, da kommt es auf die Selbstdefinition der Kleriker an.
Frage: Würde denn alles besser, wenn man beispielsweise alle Titel abschaffen würde? Das ist doch nur ein Symptom des Problems.
Engel: Sprache schafft Realität; in diesem Sinne stützen die Titel ein hierarchisches System. Deshalb wäre es eine Möglichkeit, zu sagen: Wir verzichten auf einen Großteil der Titel und es reicht, wenn wir uns gegenseitig in einer egalitären Weise ansprechen und uns nach außen hin über Funktionen definieren. Ich bin sicher, dass wir dem Problem damit beikämen. Es kommt wohl nicht von ungefähr, dass wir Ordensleute diese Titel eigentlich nicht zu tragen haben – und das ist sicherlich auch nicht so weit vom Evangelium entfernt.
Frage: Die Kirche kultiviert für sich eine "Identität des Besonderen", nach dem Motto: Regeln, die für alle anderen gelten, gelten für uns nicht. Muss die Kirche ihre eigene Identität da mehr hinterfragen?
Engel: Selbstverständlich, jede Institution muss zu jeder Zeit ihr Selbstverständnis reflektieren. Insofern ist das nicht nur eine kirchliche Frage. Aber diese Titelei hat auch mit einem feudalen Kirchenverständnis zu tun. In eine Moderne hineingesprochen funktioniert die "Identität des Besonderen" immer weniger; diese Struktur und diese Titel überzeugen die Leute immer weniger. Sie werden als komisch, veraltet und abstrus wahrgenommen.
Frage: Werden diese Machtverhältnisse auch oft durch eine vorgebliche Treusorge verdeckt?
Engel: Ja. Macht ist erst einmal nichts Verwerfliches. Deshalb vertrete ich auch nicht die These, dass es in der Kirche keine Macht geben solle. Macht gibt die Möglichkeit und ist die Voraussetzung dafür, etwas zu gestalten. Wir benötigen Macht. Die Frage ist eher, wie wir sie ausüben: Dient Macht dazu, Menschen zu ermächtigen oder sie klein zu halten? Diese Frage muss man auch auf die Sprache anwenden: Ermächtigt sie Menschen oder macht sie sie klein und abhängig? Gleiches gilt für die Fürsorge. An sich ist sie etwas Positives, sie ist individuell und nah am Menschen. Gleichzeitig bedeutet sie aber auch ein Abhängigkeitsverhältnis. Bleiben wir beim Bild des Hirten: Selbstverständlich ist das Schaf vom Hirten abhängig. Allerdings wissen wir aus der soziologischen Sicht auf die Kirche auch: Die Hirten haben nur dann Gestaltungsmacht, wenn ihnen die Menschen Vertrauen entgegenbringen. Wo es kein Vertrauen gibt, gehen Menschen weg. Dem Hirten bleibt dann keine Gestaltungsmacht. Das ist eine der Konsequenzen, mit denen die Kirche nach den massenhaften Missbrauchsfällen konfrontiert ist.
Frage: Was muss sich jetzt ändern?
Engel: Es muss zu einer wirklichen Partizipation von allen Gläubigen kommen. Schauen wir auf die Amazonas-Synode: Die dort kirchenrechtlich vorgegebene Struktur führt zu einem Abschlussdokument, das rechtlich überhaupt nicht bindend ist. Erst durch ein nachsynodales Schreiben des Papstes findet die Synode ihren Abschluss. Worüber diskutieren und stimmen die Synodalen ab? Theoretisch kann das Ergebnis der synodalen Debatten völlig ins Leere laufen – wir haben das bei der Würzburger Synode erlebt. Das ist ein Problem dieser synodalen Prozesse. Hinzu kommt ein weiteres: Bei einer Synode stimmen Bischöfe und höhere Ordensobere ab – ausschließlich Männer. Das ist nicht nachvollziehbar, das ist eine genderbedingte Diskriminierung von Frauen. So etwas ist am Ende weder tragbar, noch überzeugend oder weiterführend. Das kann man niemandem, selbst den frommsten Kirchenmitgliedern nicht mehr vermitteln.
Frage: Ist diese Reform der Sprache und der Kommunikationsstrukturen überhaupt denkbar?
Engel: Sprache und Leben hängen ganz wesentlich zusammen. Wenn wir keine gendergerechte Sprache finden, werden wir auch keine gendergerechten Partizipationsformen finden. Und vice versa. Ich bin fest davon überzeugt: Wenn man etwas ändern wollte, könnte man das tun. Es soll niemand sagen, in der katholischen Kirche könne es wegen ihrer hierarchischen Verfassung keine demokratischen Elemente geben! Ich bin Mitglied des Dominikanerordens. Seit 803 Jahren haben die Predigerbrüder eine kirchlich anerkannte demokratische Verfassung, wo alle Ämter von allen Ordensmitgliedern auf Zeit gewählt werden. Warum soll das nicht auf die gesamte Kirche übertragbar sein? Ich sehe keinen Grund, warum nicht alle Getauften als Gleiche unter Gleichen mitentscheiden sollen. Und um das Gegenargument sofort zu entkräften: Demokratisch verfasste Partizipation und Gehorsam müssen sich nicht notwendigerweise ausschließen. Denn wir haben in der Kirche nicht zuerst Bischöfen oder sonstigen Oberen gehorsam zu sein, sondern zuerst und vor allem Gott!