Papst Franziskus in Japan: Diplomat und Pilger
"Da gingen Menschen nebeneinander wie Gespenster, Menschen, deren ganzer Körper so verbrannt war, dass man nicht mehr sagen konnte, ob Männer oder Frauen. Ihre Haare standen zu Berge, ihre Gesichter auf doppelte Größe angeschwollen, die Lippen hingen lose herunter und von ihren ausgestreckten Händen hing die Haut in Fetzen herunter. Niemand auf der Welt kann sich solch eine Höllenszene vorstellen."
Totenstille herrscht, während Yoshiko Kajimoto sich in Hiroshima an jenen 6. August 1945 erinnert, als wäre es gestern. Der Tag, an dem nicht nur die Heimatstadt der damals 14-Jährigen im Atomblitz verglühte, sondern an dem "die Atombombe auf die ganze Menschheit abgeworfen wurde", wie es nach ihr der damals 17-jährige Koji Hosokawa ausdrückt. Kajimoto und Hosokawa sind zwei Hibakusha, zwei Atombomben-Überlebende, die noch Zeugnis geben können.
An diesem Sonntag tun sie es im Beisein von Papst Franziskus und Dutzender anderer Vertreter aus Religion und Politik. Es ist Abend. Der Himmel ist dunkel, aus dem am 6. August 1945 - genau über dem Ort dieses Friedenstreffens - die Bombe fiel und zu einem todbringenden Blitz wurde.
Absage an Atomwaffen
"Hier", so formuliert es der Papst, "sind von vielen Männern und Frauen, von ihren Träumen und Hoffnungen, inmitten von Blitz und Feuer nichts als Schatten und Stille zurückgeblieben. In einem Augenblick wurde alles von einem schwarzen Loch aus Zerstörung und Tod verschlungen." Das Kirchenoberhaupt ist nach Japan vor allem auch deshalb gekommen, um der Absage der katholischen Kirche an Nuklearwaffen noch einmal Nachdruck zu verleihen. Er will aller Opfer gedenken und sich "vor der Stärke und der Würde derer verneigen", die mit ihrem Leben in Schmerzen die Erinnerung an den Wahnsinn wachgehalten haben.
Der Höhepunkt seiner Asienreise ist zunächst ein trister, nachdenklicher Tag, an dem es bei strömendem Regen und wolkenverhangenem Himmel kaum richtig hell werden will. Im Atombomben-Gedenkpark von Nagasaki, dem Ort, an dem am 9. August 1945 die zweite Atombombe abgeworfen wurde, legt Franziskus in Begleitung zweier Hibakusha einen weißen Kranz ab.
Anschließend verharrt er minutenlang schweigend davor, mit einem auffallend sorgenvollen Blick in die Ferne. Dabei hält er sich an dem Kranz fest -wie an einem Strohhalm der Hoffnung. Dann entzündet der Papst ein Gedenk- und Friedenslicht. Den Ständer dafür hat er als Geschenk aus Rom mitgebracht.
In seiner Rede kritisiert das Kirchenoberhaupt scharf den "perversen Widerspruch, Stabilität und Frieden auf der Basis einer falschen, von einer Logik der Angst und des Misstrauens gestützten Sicherheit verteidigen und sichern zu wollen". Der "Gebrauch von Atomenergie zu Kriegszwecken ist heute mehr denn je ein Verbrechen", sagt der Papst. Damit ist alles gemeint: Der Erwerb von spaltbarem Material, die Entwicklung, Konstruktion und Drohung - mithin der Besitz von Atomwaffen - sind demnach "unmoralisch".
Schon 2017 Proteste gegen Papst-Haltung
Bereits im November 2017, als Franziskus Teilnehmer einer internationalen Konferenz zum Atomwaffenverbotsvertrag der UN im Vatikan empfing, nannte er den Besitz von Atomwaffen "unmoralisch". Dies brachte ihm sofortigen Protest ein - auch von Katholiken aus den USA und Frankreich. So wurde die Ansprache des Kirchenoberhauptes in Nagasaki, ausdrücklich als Appell gegen Nuklearwaffen angekündigt, mit Spannung erwartet. So sehr, dass einem Bericht von "Le Monde" zufolge Vertreter von Atommächten mehrfach versucht haben sollen, im Vatikan eine Aufweichung der Formulierungen zu erreichen.
Franziskus' Rede in Nagasaki ist politisch und diplomatisch. Er wirbt für konzertierte Abrüstung, kritisiert die Abkehr vom Multilateralismus. Und er fordert, in Pflugscharen, statt in Schwerter zu investieren, auch um der UN-Nachhaltigkeitsziele 2030 willen.
In Hiroshima hingegen spricht der Papst als Pilger, Mahner und Prophet - moralisch und persönlich: "Gemeinsam erheben wir in einer einzigen Bitte an Gott und an alle Männer und Frauen guten Willens im Namen aller Opfer von Bombardierungen, Nuklearexperimenten und aller Konflikte unseren Ruf: Nie wieder Krieg, nie wieder das Dröhnen der Waffen, nie wieder so viel Leid!" Und er zitiert aus einem in der christlichen Friedensbewegung oft erwähnten Psalm: "Herr, unser Gott, du hast es uns versprochen: 'Es begegnen einander Huld und Treue; Gerechtigkeit und Friede küssen sich.'"
Politisch und diplomatisch
Nach seiner Ansprache in Nagasaki vor rund 400 Menschen im strömenden Regen begrüßt Franziskus Tyge O'Donnell, den Sohn des Fotografen Joe O'Donnell, der 1945 als Marine-Infanterist Aufnahmen aus den zerstörten Städten machte. Eines davon zeigt einen Jungen mit seinem toten kleinen Bruder auf dem Rücken, wie er vor einem Krematorium ansteht. Franziskus ließ es bereits 2017 bei mehreren Gelegenheiten unter Journalisten und Kirchenvertretern verteilen. Bis zuletzt hoffte man in Japan, den abgebildeten damals etwa Zehnjährigen zu identifizieren und zu finden.
Koji Hosokawa sagt, ihm bleibe nur noch wenig Zeit. Aufgabe der Atombomben-Überlebenden sei es, die Erfahrung von Hiroshima an die nächsten Generationen weiterzugeben. Eine davon formuliert der heute 91-Jährige so: "Krieg macht Menschen wahnsinnig, doch der größte Wahnsinn ist die Atombombe, die die menschliche Existenz verneint."