Wenn Kardinäle die Demokratie verächtlich machen
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Peinlich lange hat es gedauert, bis die katholische Kirche ihren Frieden mit dem säkularen Staat, der Demokratie und den bürgerlichen Freiheitsrechten machte. Die Päpste des 19. Jahrhunderts sahen angesichts der "ruchlosen Lügen der Erneuerer" und ihrer "entarteten Meinungen" den "Höllenpfuhl offen". Noch Kardinal Ottaviani löste den Widerspruch zwischen einem Vorzugsstatus der Kirche in katholischen Ländern und ihrem Anspruch auf volle Religionsfreiheit, wo Katholiken Minderheit waren, so auf: "In der Tat, man muss zweierlei Maß und Gewicht nehmen: eines für die Wahrheit, eines für den Irrtum. Als Menschen, die wir uns im sicheren Besitz der Wahrheit und Gerechtigkeit wissen, vergleichen wir uns nicht mit anderen."
Attestierten meine Professoren der Kirche: "Mit ihrer vormaligen Widersacherin, der Aufklärung, hat sie sich nunmehr verbündet" (Josef Isensee 1991), so beschleicht mich heute angesichts von Tönen, die nicht Piusbrüder, sondern Kardinäle gegen die liberale Demokratie anschlagen der Verdacht, der demokratische Sinneswandel könne mehr von Opportunismus als von Überzeugung getragen gewesen sein. Das Verdikt Pius VI. von der "absurden Freiheitslüge" ist plötzlich nicht mehr antiquiert. Es hätte auch letzten Donnerstag im Kloster Weltenburg fallen können. Dort zog Kardinal Müller vom Leder. "Die westliche Demokratie" brachte er mit einem "Relativismus der Werte" in Verbindung, ohne die Wertordnung des Grundgesetzes zu würdigen. Im AfD-Sound geißelte er eine "totalitäre Gesinnungsdiktatur der political correctness", ein "Parlament", das sich anmaße zu erlauben, "was man sagen darf, und verbietet, was man nicht denken darf", die "Führungsschicht der politischen Eliten" als "Motor" eines "Prozesses der Enthumanisierung" sowie "Multimilliardäre und ihre angeblich wohltätigen Stiftungen" (Soros?). "Sie kontrollieren das worldwideweb und alle führenden Presseagenturen, womit sie eine Gleichschaltung des Denkens, Urteilens und Fühlens der breiten Massen erreichen." Die Aufklärung kam in der Philippika nur als "Abkehr von Gott" vor. Von ihren segensreichen Wirkungen kein Wort. Der Ruf zur "Erneuerung der Kardinaltugenden", auch der "des Maßes", geriet da zur Realsatire.
Ja, Kirche hat eine prophetisch mahnende Funktion angesichts von Unrecht auch in demokratischen Ländern. Doch sollte sie dabei die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft beachten. Wer aus Frust, dass sich manche seiner moralischen Lehren im Pluralismus weniger durchsetzen als früher, "die bescheidenste Staatsform der Weltgeschichte" (Isensee) als Quasi-Diktatur verächtlich macht, denkt unterkomplex und handelt verantwortungslos. Mit seinem Selbstmitleid wegen scharfen Gegenwinds verhöhnt er Opfer wirklicher Diktaturen. Er begünstigt Kräfte, die wieder dorthin führen würden, vom Regen des Werterelativismus in die Traufe des Wertenihilismus. Wenn christliche Positionen an Einfluss verlieren, spricht dies weniger gegen eine "Demokratie ohne Wahrheit" als gegen Christen ohne Überzeugungskraft. Und manchmal, wie die Geschichte zeigt, auch dafür, dass die kirchliche Idee vom christlich Gebotenen revisionsbedürftig ist.