Missbrauchsgründe: Wucherpfennig kritisiert "rechtskatholische" Kreise
Der Frankfurter Jesuit und Theologe Ansgar Wucherpfennig hat mit Blick auf den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche eine Erneuerung ihrer Sexualmoral und eine Neubewertung des Themas Homosexualität gefordert. Dadurch könne die "Risikogruppe" jener missbrauchsgefährdeter Kleriker verkleinert werden, die einen "zynischen", weil selbstverleugnenden Zölibat lebten, sagte der Rektor der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen am Montagabend bei einem Vortrag an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Wien.
Zugleich wandte sich Wucherpfennig gegen die von "rechtskatholischen" Kreisen und im Vatikan verbreitete These, die homosexuelle Orientierung von Priestern sei maßgeblich für kirchliche Missbrauchsfälle verantwortlich. Er verwies vielmehr auf einen innerkirchlichen Druck, der Priester ihre Sexualität verleugnen und damit in diesem Bereich unreif bleiben lasse. Im katholischen Klerus gebe es viele "erschreckend grau und unpersönlich" Gewordene, die zugestimmt hätten, "nicht sie selbst zu sein". Wenn diese in Verantwortungspositionen kämen, täten sie alles, um die traditionelle katholische Sexualmoral aufrecht zu erhalten. Pädosexuell ausgeübte Macht sei unter solchen Personen überproportional verbreitet.
Kritik an Haltung der Kirche gegenüber Schwulen und Lesben
Wucherpfennig kritisierte die Haltung der Kirche gegenüber Schwulen und Lesben. Er wandte sich dagegen, Homosexualität mit Verweis auf die Bibel abzulehnen. In der gesamten Bibel gebe es nur fünf Stellen, in denen gleichgeschlechtliche Aktivitäten verboten würden oder negativ konnotiert seien. Die Bibel stelle zudem keinen Zusammenhang zwischen sexualisierter Gewalt und einer bestimmten sexuellen Orientierung her.
Es gelte in der heutigen Situation zu verstehen, was Gottes Wort sei, sagte der Bibelwissenschaftler mit Blick auf die Aufgabe mündiger Christen. Auf der Suche danach brauche es den Dialog der jeweiligen Lebenswelt mit der Bibel. Eine Neuformulierung der kirchlichen Sexualmoral müsse neben den Erkenntnissen der theologischen Tradition auch die modernen Humanwissenschaften sowie die Erfahrungen der Gläubigen berücksichtigen.
Wucherpfennig war Anfang 2018 für eine dritte Amtszeit als Rektor der Jesuitenhochschule Sankt Georgen wiedergewählt worden; der Vatikan hatte ihm aber zunächst nicht die dafür erforderliche Unbedenklichkeitserklärung ("Nihil obstat") erteilt, was auf massive Kritik stieß. Wucherpfennig hatte sich wiederholt kritisch zum Umgang der Kirche mit Frauen und Homosexuellen geäußert. Das "Nihil obstat" erhielt Wucherpfennig schließlich im November 2018. Die Unbedenklichkeitserklärung wurde nach Aussage der Jesuiten durch die vatikanische Bildungskongregation erteilt, nachdem Wucherpfennig eine Erklärung abgegeben habe, als Ordensmann und Priester dem authentischen Lehramt der Kirche verpflichtet zu sein. "Wo es seine Ämter verlangten, lege er die Lehre der Kirche über die Möglichkeit der Weihe von Frauen (Ordinatio sacerdotalis) und von Segnungsfeiern für gleichgeschlechtliche Paare (Schreiben an die Bischöfe der Katholischen Kirche über die Seelsorge für homosexuelle Personen) vollständig und verständnisvoll dar", hieß es. (tmg/KNA)