Die Weihnachtsgeschichte – alles nur Legende?
Jesus wurde im Jahre Null geboren
Unsere Zeitrechnung beginnt mit Jesu Geburt. Logisch also, dass er vor 2019 Jahren im Jahre Null zur Welt gekommen sein muss. So einfach ist das historisch allerdings nicht: Weder Matthäus noch Lukas nennen in ihren Weihnachtsgeschichten ein genaues Jahr und selbst Papst Johannes Paul II. schrieb 1994, man müsse von einer "zeitlich exakten Berechnung" der Geburt Jesu absehen. "Das Jahr Null ist ein theologisches und kein historisches Datum", erklärt Hans-Georg Gradl, Professor für Neues Testament an der Theologischen Fakultät Trier. Diese Jahresbezeichnung habe es so nicht gegeben, sondern sie gehe auf den Mönch Dionysius Exiguus zurück, der dieses Datum im sechsten Jahrhundert bestimmt – und sich dabei auch noch leicht verrechnet habe.
Generell gebe es nur zwei grobe Möglichkeiten der historischen Eingrenzung von Jesu Geburt: die Amtszeiten von König Herodes dem Großen und von Kaiser Augustus, die in den Evangelien erwähnt werden. Herodes starb im Jahre 4 v. Chr., Augustus regierte bis ins Jahr 14 n. Chr. Die Forschung gehe heute davon aus, dass Jesus gegen Ende der Amtszeit von Herodes – um das Jahr 6 v. Chr. – geboren wurde, sagt Gradl. Lukas erwähnt zudem einen reichsweiten Zensus, bei dem sich alle Menschen in Steuerlisten eintragen sollten. Dafür gebe es allerdings keinen Beleg bei den großen antiken Geschichtsschreibern, sagt der Neutestamentler. "Entweder hat der Verfasser des Lukasevangeliums sich einfach im Zeitpunkt vertan, oder er bezieht sich auf einen lokalen oder regionalen Zensus zu Steuererhebungszwecken, die es durchaus gegeben hat." Insgesamt habe sich der Verfasser sehr bemüht, die Geschichte der Geburt Jesu mit konkreten historischen Ereignissen zu verbinden, "auch um die schier weltweite Bedeutung des Geschehens zu unterstreichen", so der Theologe.
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Jesus hat am 25. Dezember Geburtstag
Auch über das genaue Datum von Jesu Geburt schweigen die Evangelien. Warum wir den Geburtstag von Jesus mittlerweile am 25. Dezember feiern, kann nicht eindeutig geklärt werden. Im Wesentlichen gibt es dafür drei Theorien. Die erste besagt, dass das Geburtsdatum Jesu von seinem Todestag aus errechnet wurde. In der Antike nahm man an, dass große und bedeutende Personen am gleichen Tag geboren wurden, an dem sie auch starben. Den Todestag Jesu habe man relativ genau bestimmen können, sagt Gradl. Jesus sei unmittelbar vor dem Paschafest, wenige Tage nach der Tagundnachtgleiche im Frühling gekreuzigt worden. Noch im vierten Jahrhundert galt deshalb der 25. März als Todestag Jesu. "Weil aber Jesus vom Geist empfangen und 'aus Gott geboren' wurde, gedachte man am 25. März nicht seines Geburtstags, sondern seiner Empfängnis." Rechnet man neun Monate hinzu, kommt man auf den 25. Dezember. Diese These überzeugt Gradl allerdings nicht: "Sie wirkt konstruiert und ist wohl die unsicherste aller Herleitungen des Weihnachtstages."
Laut einer zweiten Theorie hat sich das Weihnachtsfest im Dezember aus der Volksfrömmigkeit der frühen Christen entwickelt. Diese seien nämlich zu Ostern ins Heilige Land gepilgert, um Jesu Auferstehung zu feiern. Zur Feier seiner Geburt habe sich dann mit zeitlichem Abstand eine zweite Pilgerzeit im Dezember etabliert, um in Bethlehem der Geburt Jesu zu gedenken, sagt der Theologe. Eine dritte Theorie besagt dagegen, dass das Datum für das Weihnachtsfest aus dem vierten oder fünften Jahrhundert stammt – aus einer Zeit also, in der sich das Christentum als Staatsreligion etablierte. Demnach habe es um den 25. Dezember herum bereits heidnische Feiern zur Wintersonnenwende gegeben, erläutert Gradl. Die Christen hätten den Geburtstag ihres Erlösers bewusst an diesem Tag gefeiert, um sich davon abzugrenzen. Mit der Geburt Jesu feierten sie den Aufgang des Lichts, den Wendepunkt der Zeit: Nicht der römische Sonnengott, sondern Christus bringt das Licht. "Kein anderes Datum im Jahr konnte diese Hoffnung besser ausdrücken als die Wintersonnenwende, der 25. Dezember", so Gradl.
Jesus wurde in einem Stall in Bethlehem geboren
Wie sieht es mit dem Stall aus, in dem Jesus geboren wurde? "Eine voralpine Szenerie, so wie der Stall in vielen volkstümlichen Darstellungen gezeigt wird, geben die Evangelien nicht her", sagt Gradl. Das griechische Wort, das Lukas für "Herberge" verwende, habe einen breiten Bedeutungsspielraum. Es unterscheide sich etwa von der Herberge, die im Gleichnis des barmherzigen Samariters (Lukas 10,25–37) erwähnt werde und bezeichne eher eine den jüdischen Gepflogenheiten entsprechende private Unterkunft, so der Neutestamentler. "Am ehesten kann man sich einen Wohnraum in einem privaten Haus vorstellen, das – wie oft in dieser Gegend und zu dieser Zeit – über einer natürlichen Felsenhöhle gebaut war." Für die Geburt habe sich Maria ins Erdgeschoss zurückgezogen, weil der höhergelegene Wohnraum überfüllt war. In diesem Höhlenraum des Hauses war gewöhnlich auch Platz für Vieh und Vorräte. Der Futtertrog, in den das neugeborene Kind gelegt wird, würde jedenfalls sehr gut zu diesem abgeschiedenen Bereich eines Hauses in dieser Gegend passen.
Und auch beim Geburtsort Betlehem gibt es Bedenken: Lukas und Matthäus schreiben zwar explizit, dass Jesus in Betlehem zur Welt gekommen sei – wohl, weil die Stadt theologisch mit der Messias-Erwartung verbunden war. Das Markus- und das Johannesevangelium aber gehen eher davon aus, dass Jesus in Nazareth und nicht in Betlehem geboren wurde. Für sie stellt der Geburtsort Bethlehem also keine unbedingte Voraussetzung dar, um an Jesus als Retter und Messias glauben zu können. Die Forscher sind sich in der Frage nach dem Geburtsort Jesu daher nicht einig.
Ochse und Esel standen im Stall bei Jesu Geburt
Sie gehören als Figuren in jede klassische Weihnachtskrippe: ein Ochse und ein Esel. In den biblischen Erzählungen von Jesu Geburt ist von ihnen allerdings gar keine Rede. Sie stammen aus der apokryphen Literatur, also aus Texten, die Jahrhunderte nach Jesu Geburt entstanden und nicht offizieller Teil des Neuen Testaments sind. "Das etwa um 600 n. Chr. entstandene Pseudo-Matthäusevangelium erzählt davon, dass Maria kurz den Stall verlässt und Ochs und Esel auf Jesus aufpassen und ihn anbeten", sagt Gradl. Darüber hinaus erinnerten die beiden Tiere an einen Text aus dem Alten Testament: "Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn; Israel aber hat keine Erkenntnis, mein Volk hat keine Einsicht" heißt es etwa beim Propheten Jesaja an einer Stelle (Jesaja 1,3). Über das mutmaßlich erste Krippenspiel von Franz von Assisi 1223 im italienischen Greccio habe sich die Krippe mit Ochse und Esel dann in der Volksfrömmigkeit etabliert, so Gradl.
Caspar, Melchior und Balthasar – die Heiligen Drei Könige aus dem Morgenland
Geht es nach dem Matthäus-Evangelium waren die Heiligen Drei Könige weder heilig noch Könige noch zu dritt. Sie waren vielmehr "Sterndeuter aus dem Osten" – ohne genaue Anzahl. In historischen Darstellungen findet man zwischen zwei und sieben Personen. Die Zahl Drei leitet sich in der Auslegungsgeschichte von den drei Geschenken ab, die sie Jesus zu seiner Geburt mitgebracht haben sollen: Gold, Weihrauch und Myrrhe. Die Namen Caspar, Melchior und Balthasar erhielten sie ebenfalls erst nachträglich, wahrscheinlich im 9. Jahrhundert. Sie stehen symbolisch für die drei damals bekannten Volksstämme, Erdteile und Lebensalter. Auch Könige wurden sie erst im Laufe der Auslegungsgeschichte, "weil der König in der Krippe selbst Licht ausstrahlt und seine Besucher adelt und zu Königen macht", sagt der Theologe.
Gab es den Stern von Betlehem tatsächlich?
"Wir haben seinen Stern aufgehen sehen": Es muss eine beeindruckende Himmelserscheinung gewesen sein, die die Heiligen Drei Könige zu Jesus führte. Aber lässt sich der Stern von Betlehem wissenschaftlich erklären?Was bedeutet das alles für unser Weihnachtsfest?
Wenn man die Weihnachtserzählungen historisch beleuchtet, sind viele Details also fragwürdig oder schlicht falsch. Macht das die Grundlage für unser heutiges Weihnachtsfest kaputt? Nein, sagt Hans-Georg Gradl. "Bei den Geburtserzählungen des Neuen Testaments geht es nicht um Historisches und Faktisches, sondern darum, die Bedeutung des Geborenen darzustellen – mit Bildern, Motiven, Namen und Ereignissen." Noch 1905 betonte die Päpstliche Bibelkommission, dass die Bibel im Allgemeinen und somit auch die Geburtsgeschichten des Neuen Testaments historische Ereignisse referieren. Seitdem habe sich in der Exegese allerdings einiges getan, weiß der Theologe: "Als rein historisch-biographische Berichte versteht die Geburtserzählungen heute kein seriöser Exeget mehr. Die Erzählungen sind theologische Kunstwerke, die sich zweifellos auf einen historischen Haftpunkt beziehen, aber vor allen Dingen die Bedeutung Jesu illustrieren und den Glauben an ihn ins Bild setzen wollen." Nur weil viele Stellen der Erzählungen dem Bereich der Legenden zuzuordnen seien, habe das die Bedeutung des Gesagten nicht zerstört, betont Gradl. Historisch könne zweifelsfrei nachgewiesen werden, dass Jesus geboren wurde. Wer dieser Jesus sei, machten die Evangelisten auf ihre jeweils eigene Art durch theologisch bildreiche Erzählungen deutlich. "Man sollte sich gar nicht daran stören, dass historisch so viel vage bleibt, sondern sich von den Erzählungen ansprechen lassen: von den Bildern, den Farben, der Atmosphäre und den Ereignissen", sagt Gradl. "Nicht die historische Rückfrage oder die vermeintlichen historischen Fakten, sondern nur eine mit Glauben verfasste, lebendige Erzählung kann einfangen, was wir an Weihnachten feiern."