Wie ich meinem kleinen Sohn Weihnachten nahebringen wollte
Anfang Dezember stehe ich vor der alles entscheidenden Frage: Wie kann ich meinem zweijährigen Sohn erklären, worum es beim Weihnachtsfest geht? Während er morgens fröhlich ein kleines Auto aus dem Adventskalender packt, stehe ich daneben und überlege , wie ich ihm die Menschwerdung Gottes näherbringen soll. Gar nicht so einfach. Und mit jedem Türchen, das mein Sohn morgens öffnet, begreift er mehr, dass am kommenden Tag wieder eine kleine Überraschung auf ihn warten wird. Seine kindliche Freude darüber zu beobachten, stimmt mein Mutterherz zwar glücklich. Trotzdem sollte es bei der Vorbereitung auf Weihnachten ja nicht um bloßen Konsum gehen.
Ich erinnerte mich an ein Interview mit dem Religionspädagogen Stefan Altmeyer zum Thema "religiöse Erziehung", das ich einmal geführt habe. Darin erklärte er mir, dass man christliche Feste vor allem feiern und miterleben muss, um sie zu erfassen. Daher verschiebe ich die großen (und kleinen) theologischen Erklärungen auf nächste Jahr und versuche, meinen Sohn Weihnachten stattdessen mit allen Sinnen erfahren zu lassen.
Während ich in den Jahren, bevor ich Mutter wurde, entweder Plätzchen gebacken oder einen Adventskalender gebastelt habe, fahre ich in diesem Jahr groß auf. "Viel hilft viel!", denke ich. Den Adventskalender habe ich bereits gebastelt. Also geht es weiter. Wir schmücken das Haus, lesen Weihnachtsbücher und -geschichten rauf und runter und basteln Weihnachtsgeschenke für die Omas und Tanten.
Riechen und schmecken
Das Plätzchen backen ist ein wahrer Klassiker in der Adventszeit und ein echter Alleskönner für die Sinne. Mit der ganzen Familie mischen wir Zutaten, kneten Teig, rollen ihn aus. Was in Darstellungen der Weihnachtsbäckerei immer nach großem Spaß gepaart mit ein wenig Chaos aussieht, ist bei uns eher großes Chaos. Mein Sohn schaut zwar interessiert zu, was Papa und Mama da veranstalten, aber von großer Begeisterung scheint er weit entfernt. Er matscht mit seiner kleinen Teigrolle auf seinem eigenen Teigstück herum, probiert nach Aufforderung den Teig und konstatiert lautstark "Bah!". Als es dann ans Ausstechen geht, hilft er einige Minuten fleißig mit, bevor er sich entscheidet, lieber Küchenschubladen auszuräumen. Die anderen drei Teige müssen wir Eltern dann alleine verarbeiten. Auch der Geruch der Plätzchen im Ofen und die spätere Verkostung lassen ihn verhältnismäßig kalt.
Sehen
Den geschmückten Häusern und funkelnden Lichtern bei unseren abendlichen Spaziergängen kann er hingegen mehr abgewinnen. Mit lauten "Ahhh", "Ohhh" und "Guck da"-Ausrufen kommentiert er alles, was es am Wegesrand zu entdecken gibt. Besonders angetan haben es ihm aber spätestens seit seiner ersten Begegnung mit "dem roten Mann", dem Nikolaus, alle Arten von roten Mützen. Aber auch jeder leuchtende Tannenbaum wird glücksstrahlend beachtet und bestaunt. So wird jeder Spaziergang zur Entdeckungstour.
Hören
Mir hingegen zaubern in der Advents- und Weihnachtszeit seit jeher die Weihnachtslieder ein Lächeln ins Gesicht. Nicht immer zur Freude meiner Mitmenschen, denen das ewige Geträller schon mal zu viel wird. Trotzdem versuche ich meine Vorliebe an meinen Sohn weiter zu geben und über das Hören der Lieder ein Gefühl für Weihnachten zu vermitteln. Unser Repertoire reicht von "Kling, Glöckchen, klingelingeling" und "Oh Tannenbaum" bis zu "Maria durch ein' Dornwald ging". Und tatsächlich funktioniert es. Sollte ich einmal vergessen, die Musik am Morgen anzustellen, werde ich freundlich aber bestimmt daran erinnert.
Beten
An einem der Adventssonntage besuchen wir den Familiengottesdienst unserer Gemeinde. Ich bin mir nicht sicher, ob wir bis zum Kyrie gekommen sind, als mein Sohn entscheidet, dass Kirchenbänke auch nur schlechtere Klettergerüste sind. Ich habe alle Hände voll zu tun und versuche ihn auf das Geschehen im Gottesdienst aufmerksam zu machen. Nichts hilft. Irgendwann will er den Kirchraum auf eigene Faust erkunden. Nur körperliche Gewalt würde ihn davon abhalten, die Kirchbank zu verlassen. Nun gut, es ist ja schließlich Familiengottesdienst. Während ich in angemessenem Abstand hinter meinem Sohn herlaufe, ernte ich verständnisvolle, mitleidige, aber auch kritische Blicke.
Zum "Vater Unser" sind dann alle Kinder eingeladen, sich um den Altar zu versammeln. Auf einmal ist der kleine Abenteurer dann sehr schüchtern. Es kostet mich einige Überredungskunst, aber es gelingt mir, ihn zum Mitmachen zu bewegen. Er verschwindet in einer Menge von Kindern. "Vater Unser im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme…" - und da tapst mein kleiner Mann zwischen all den anderen Kindern hervor, steigt die Treppen der Altarinsel hinunter. Auch das gemeinsame Gebet hat ihn offensichtlich nicht gefesselt. Wieso nur sind alle anderen Kinder so interessiert? Wieso fasziniert sie die Musik, das Altargeschehen und warum um alles in der Welt bleiben sie in ihren Bänken sitzen? Irgendwie halte ich schweißgebadet bis zum Schluss durch und darf zur Belohnung einen Barbara-Zweig mit nach Hause nehmen.
Ein Fest der Sinne
Auch ein Besuch auf dem Weihnachtsmarkt gehört wohl in jedem Haushalt zum vorweihnachtlichen Programm. Ertappe ich mich in den letzten Jahren häufiger dabei, über das immer gleiche Angebot zu mosern und das Überangebot zu verteufeln, lehrt mich mein Sohn in diesem Jahr einen neuen Blick auf den Weihnachtsmarkt. Jede Bude erfreut ihn auf eine magische Weise. Die Reizüberflutung von Farben und Formen, Geräuschen und Gerüchen, Lichtern und Leuchten gefällt ihm. Staunend betrachtet er mit großen Augen die winzigsten Details, an denen ich seit Jahren vorüberrenne. Er wirft keinen flüchtigen Blick auf die Auslage, um zum nächsten Essenstand zu gelangen, sondern betrachtet detailliert die Dekorationen der Buden und befühlt neugierig die Waren. Für ihn ist der Weihnachtsmarkt kein ewig gleiches Winterevent, sondern ein Fest der Sinne. Vielleicht auch, weil es Pommes zum Abendbrot gibt.
Ihn zu beobachten, hat mich nachdenklich gestimmt. Habe ich all die Jahre, in denen ich den ganzen Dezember auf der Suche nach der richtigen Weihnachtsstimmung gewesen bin, vielleicht etwas übersehen, gar falsch gemacht? Muss ich nur meinen Fokus verändern, um Weihnachten zu erfahren, statt zu verstehen? Dieser Besuch auf dem Weihnachtsmarkt hat mir auf jeden Fall eins gezeigt: Ich wollte meinem Sohn so unbedingt beibringen, wie Weihnachten funktioniert, wie es riecht, schmeckt, klingt, dass ich selbst vergessen habe, es zu fühlen. Vielleicht weiß mein Sohn nicht, dass Gott seinen eigenen Sohn zu uns Menschen geschickt hat, aber er kann Weihnachten emotional viel besser begreifen als ich. Und ihm dabei zuzusehen ist ansteckend. Weihnachten kann kommen, ich bin bereit!