Langzeit-Recherche zum Kirchensterben in Niederlanden

Kirche auf dem Land nicht so unverzichtbar wie gedacht

Veröffentlicht am 08.01.2020 um 13:34 Uhr – Lesedauer: 

's-Hertogenbosch/Scottsdale ‐ Eine unbequeme Erkenntnis: Dorfgemeinden verkraften die Schließung ihrer Kirche besser als angenommen. Wichtige soziale Funktionen übernehmen dann andere. Und das Gotteshaus im Nachbarort wird mitnichten voller.

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Niederländische Dorfgemeinschaften verkraften die Schließung ihrer Gemeindekirchen besser als gedacht. Das hat eine großangelegte Recherche der niederländischen Wochenzeitschrift "Katholiek Nieuwsblad" ergeben. Man sei zu der "eher unbequemen Schlussfolgerung" gekommen, dass "das Dorf im Jahr 2020 sehr gut ohne Kirche auskommen" könne, schreibt der Chefredakteur Anton de Wit laut US-Nachrichtenseite "Crux" am Mittwoch. Ein Team von Journalisten hatte ein Jahr lang Kirchenvertreter, Dorfbewohner und Experten zur Entwicklung der Kirche auf dem Land befragt.

Die Schließung einer Kirche sei meistens ein emotionales Ereignis für die Gemeinschaft. Davon erhole sie sich aber rasch, schreiben die Autoren. Die verschiedenen sozialen Funktionen, die Kirche in kleinen Gemeinschaften erfüllt, würden erstaunlich mühelos von weltlichen Vereinen oder Organisationen übernommen. Allerdings seien Dorfbewohner nach der Schließung ihrer Gemeindekirche kaum dazu bereit, im Nachbarort zum Gottesdienst zu gehen. Stattdessen blieben sie der Kirche komplett fern. Eine Kirchenschließung sei also nicht nur eine Folge der sinkenden Gläubigenzahlen, sondern führe auch zu weiteren Kirchenaustritten.

Nachdem zwischen 2010 und 2019 bereits zahlreiche Kirchen im ländlichen Raum profaniert und umgenutzt worden seien, sei trotzdem noch kein Ende der Schließungswelle in Sicht. Die Autoren gehen im Gegenteil davon aus, dass "das Tempo, mit dem Kirchen vom Land verschwinden nur noch zunehmen wird". Dabei prognostizieren sie gerade den ländlichen Regionen der traditionell katholisch geprägten Provinzen Nord-Brabant und Limburg den stärksten Rückgang.

Kirche kein verbindendes Element mehr

Kirchenschließungen seien auch in Zukunft unausweichlich, sagt der Kirchenhistoriker Paul van Geest von der Universität Tilburg. Gerade in der Zeit von 1850 bis in die 1960er Jahre wurden in den katholischen Regionen sehr viele neue Gotteshäuser gebaut. Die Kirche hatte großen Einfluss auf das Leben der wachsenden katholischen Bevölkerungsteile in dieser Zeit. "Die Schließung von Kirchen ist nun eine logische Konsequenz des Umstandes, dass Kirche heute kein verbindendes Element in der niederländischen Gesellschaft mehr ist", so van Geest weiter. Das bedeute jedoch nicht, dass der katholische Glaube in den Niederlanden untergehe. Vielmehr verändere er sich gerade und nehme neue Formen an. So lade eine Gemeinde in Rotterdam Flüchtlingsgruppen ein, die Messe mit ihnen zu feiern.

Laut dem niederländischen sozialwissenschaftlichen Institut KASKI ist die Zahl der Katholiken in den letzten 15 Jahren um 20 Prozent zurückgegangen, während die Zahl der Kirchgänger um 60 Prozent gesunken ist. Gleichzeitig hat sich die Zahl der Gemeinden im Land mehr als halbiert. Einer von fünf Niederländern bezeichne sich noch als katholisch, doch nur fünf Prozent davon (153.800 Menschen) besuchen regelmäßig die Messe. Die Niederlande gelten als eines der säkularisiertesten Länder Europas, in dem fast die Hälfte der Menschen keiner Religionsgemeinschaft angehört. (cst)