Vom Sabbat zum Sonntag

Immer wieder sonntags: Die Geschichte eines besonderen Wochentags

Veröffentlicht am 19.01.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Der Sonntag als wichtigster Tag des Gottesdienstes ist heute bei den meisten Konfessionen gesetzt. Doch warum eigentlich? Jesus feierte schließlich nach jüdischer Sitte den Sabbat. Eine Spurensuche.

  • Teilen:

Traditionell ist jeden Sonntagvormittag Messfeier. Ob man nun hingeht oder nicht, Tag und Zeitraum sind in der Regel jedem klar. Dabei hat Jesus den Sonntag behandelt wie jeden anderen Tag, er beging nach jüdischer Sitte den Sabbat von Freitagabend bis Samstagabend: "Der Sabbat wurde für den Menschen gemacht, nicht der Mensch für den Sabbat." (Mk 2,27) Dass Christen am Sonntag Gottesdienst feiern und den Tag später "verehrungswürdig" nannten, muss also einen anderen Ursprung haben.

Sich am Sonntag zu treffen, geht bereits auf die neutestamentliche Zeit zurück. Schon in der Apostelgeschichte ist die Rede davon, dass die Gemeinschaft am Sonntag zusammenkam, "um das Brot zu brechen" (Apg 20,7). Grund dafür war, dass Jesus am dritten Tag nach seiner Kreuzigung, also einem Sonntag, auferstanden war. Gleichzeitig war laut damaliger Zählung der Sonntag der erste Tag der Woche und damit auch der achte Tag, was für die Anhänger Jesu den Neuanfang symbolisierte. Dazu passte, dass Gott laut Thora am ersten Tag die Welt erschaffen hatte. Hier ließ sich also eine Parallele zwischen der Schöpfungsgeschichte und der Auferstehung Jesu ziehen. Bald wurde der Sonntag theologisch aufgeladen. Biblische Texte von Erscheinungen Christi wie etwa beim Gang nach Emmaus deuteten aus, was man mit dem Zusammenkommen am Sonntag verband.

Unterschiedliches Verhältnis zum Judentum

Sehr unterschiedlich gingen die frühen christlichen Gruppen mit dem Verhältnis zum jüdischen Sabbat um. Das erklärt sich nicht zuletzt aus der Herkunft der frühen Christen: Manche kamen aus dem Judentum, andere waren ehemalige Heiden. Dementsprechend gab es in der frühen Kirche Judenchristen, die weiter den Sabbat begingen und im Sonntag eine Verlängerung dieses heiligen Tages sahen. Darunter waren sogar einige, die von anderen Christen verlangten, den Sabbat ebenfalls zu ehren. Das sorgte nicht selten für Konflikte zwischen den Gruppen. Denn viele Heidenchristen feierten den Sabbat nicht und sahen den Sonntag sogar als ganz bewusstes Gegenstück, um sich von den Juden abzusetzen. Wieder andere Gruppen gingen mit den Vorgaben für gemeinsame Treffen sehr liberal um. Eine einheitliche christliche Glaubenspraxis gab es zu diesem Zeitpunkt also nicht.

Darstellung des letzten Abendmahls.
Bild: ©fotofrank/Fotolia.com

Vorbilder für die christlichen Mahlfeiern waren unter anderem das jüdische Festmahl und das griechische Symposion mit ihrem rahmenden religiösen Ritual.

Ebenso unterschiedlich waren die Formen, in denen die gemeinsamen Treffen gestaltet wurden. Alle bauten sie aber auf dem gemeinsamen Mahl auf, in der Antike ein wichtiges soziales und identitätsstiftendes Ritual. Die ersten "Abendmahle" waren in Sättigungsmahlzeiten eingebettet, die etwa von Gebeten begleitet wurden. Vorbilder dafür waren unter anderem das jüdische Festmahl und das griechische Symposion mit ihrem rahmenden religiösen Ritual. Das Sättigungsmahl fiel im christlichen Kontext weg, es blieben Brot- und Kelchriten, die dann zu einem Ritus miteinander verschmolzen.

Der konkrete Ablauf des Mahls war von Gruppe zu Gruppe unterschiedlich, die Gestalt vielfältig. Allen gemeinsam war allerdings der starke gemeinschaftliche Charakter: Die Gemeindemitglieder trugen die Feier. Der Vorsteher der Feier hatte zu diesem Zeitpunkt noch keine besonders herausgehobene Stellung, er wurde noch nicht als Priester und seine Aufgabe nicht kultisch verstanden. Der kollektive Charakter spiegelt sich auch darin, dass allen, die nicht persönlich zum Mahl kommen konnten, nach mancher Quelle später die Eucharistie von Diakonen nach Hause gebracht wurde.

Der Sonntag wird arbeitsfrei

Die Form der Sonntagsfeier änderte sich mit der Zeit. Ein wichtiges Datum war das Jahr 321, als Kaiser Konstantin den Sonntag für die meisten Römer arbeitsfrei machte. Wie stark seine religiösen Motive waren, ist umstritten, Der Kaiser machte den Schritt sicherlich auch aus politischem Kalkül: Er hoffte so das Reich zu einen und die aufstrebenden Christen wie die etablierten Heiden an das römische Kaiserreich zu binden. Damit wollte Konstantin auch seine Macht festigen.

Der Sonntag war nun kein Tag wie jeder andere mehr, an dem neben dem Gottesdienst noch gearbeitet werden musste, er stand ganz dem Glaubensleben zur Verfügung. Diese Möglichkeit traf sich mit anderen Entwicklungen: Die Gemeinden waren längst so sehr gewachsen, dass sich das ursprünglich mit kleinerer Gruppe gefeierte Mahl in der bisherigen Form nicht mehr hatte aufrecht erhalten lassen. Außerdem veränderte sich mehr und mehr die Rolle des Priesters in der Liturgie, dessen Anteil an den liturgischen Handlungen wuchs. Im Frühmittelalter schließlich wurde der Priester zum alleine Opfernden, der alle liturgischen Handlungen selbst vollzog. 

Bild: ©Harald Oppitz/KNA

Mit der Zeit nimmt der Priester eine immer zentralere Rolle ein.

In dieser Phase änderte sich das Verständnis der Christen von ihren Ritualen. Kultische Reinheit, Ritualisierung, Sakralisierung gewannen an Gewicht. Heilige Menschen, Orte und Zeiten wurden nun festgelegt – in diesem Zug nahm unter anderem die Heiligenverehrung zu. Die Messfeier war längst von einem rituellen Mahl zu einem Opfergeschehen geworden. Der Sonntag war nicht mehr nur ein arbeitsfreier, sondern ein im Ganzen verehrungswürdiger Tag.

Schon früh bleiben Gläubige fern

Mit dieser Veränderung der Sonntagsfeier kommt allerdings nun eine Frage verstärkt auf, die das Christentum seit seinen frühen Jahren beschäftigt: Müssen die Gläubigen alle sonntags zum Gottesdienst kommen? Die Kirche hat das immer mit Ja beantwortet. So lange die sonntägliche Eucharistie von der Gemeinschaft getragen wurde, nahmen sehr viele teil. Je mehr sich der Schwerpunkt der Feier und das liturgische Handeln auf den Priester verschob, stand dies in Frage. Jahrhunderte später trat die Gemeinde dann nur zum Gottesdienst hinzu, der Priester allein war der Liturge. Der Messbesuch wurde bei vielen Christen unregelmäßiger. Die Kirche hielt mit der Sonntagspflicht dagegen.

Lange war der Sonntag neben den Feiertagen der einzige arbeitsfreie Tag der Woche und damit für viele Menschen die einzige Möglichkeit, sich nach der harten Arbeit auszuruhen. Immer wieder gibt es Versuche, die Arbeitsfreiheit aufzuweichen. In der Industrialisierung holen manche Fabrikbesitzer dafür sogar die Kirche ins Boot und lassen Priester am Sonntag frühmorgens eine Messe lesen, damit die Arbeiter danach in der Fabrik arbeiten können. Dagegen steht seit 1891 in Deutschland die gesetzlich verankerte Sonntagsruhe. Im bis heute gültigen Artikel 139 der Weimarer Verfassung von 1919 heißt es: "Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt."

Das junge Wochenende

Der Sonntag als Teil des Wochenendes ist eine noch recht junge Entwicklung. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wird in Großbritannien der Samstagnachmittag arbeitsfrei, 1830 erscheint dann in der "Times" zum ersten Mal der Begriff "Weekend", der im frühen 20. Jahrhundert als "Wochenende" auch nach Deutschland kommt. Etabliert hat sich das System aus zwei arbeitsfreien Tagen hierzulande allerdings erst nach und nach ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Mit der gleichzeitig einsetzenden Abnahme des Kirchenbesuchs verliert der Sonntag seine Sonderstellung und geht im Wochenende auf. Bis 1975 war der Sonntag in Deutschland noch offiziell der erste Tag der Woche – auf diese alte Zählung bezieht sich etwa auch noch die Bezeichnung "Mittwoch". Erst seit 1976 beginnen Wochen offiziell mit dem Montag – in Ländern wie den USA, Israel oder China ist es allerdings bis heute beim Sonntag als erstem Tag der Woche geblieben.

Der Sonntag steht heute vor mehreren Herausforderungen. Einerseits gibt es immer weniger Priester, wodurch mancherorts nicht mehr jeden Sonntag die Messe gefeiert werden kann. Nicht alle Gläubigen wollen dann in den nächsten Ort fahren – Wort-Gottes-Feiern sind dann zum Teil die Lösung. Die jahrhundertelange Praxis der sonntäglichen Eucharistiefeier wird damit zumindest zeitweise aufgegeben. Gleichzeitig besuchen immer weniger Menschen die Sonntagsmesse, momentan sind es in der katholischen Kirche etwa neun Prozent der Mitglieder.

Zudem weichen immer häufigere verkaufsoffene Sonntage und die Globalisierung die Arbeitsfreiheit am Sonntag auf. Dagegen setzen die Kirchen mit einiger Regelmäßigkeit ihre Appelle an die gesamtgesellschaftliche Bedeutung des Sonntags. Umfragen geben ihnen dabei durchaus Recht. Denn unabhängig vom religiösen Bekenntnis hat der freie Sonntag bis heute einen guten Ruf unter den Deutschen und wird als Ruhepause und Unterbrechung geschätzt.

Von Christoph Paul Hartmann