Schwester Anne Kurz über das Sonntagsevangelium

Wie Johannes Jesus durchschaut

Veröffentlicht am 18.01.2020 um 17:45 Uhr – Lesedauer: 
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Venne bei Münster ‐ Es ist eine kurze Stelle im Sonntagsevangelium: Johannes der Täufer sieht Jesus auf ihn zugehen. Was mag ihm dabei durch den Kopf gegangen sein? Darüber schreibt Schwester Anne Kurz und zeigt, was wir aus dieser Situation für unser Leben lernen können.

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Impuls von Schwester Anne Kurz

Viele Menschen sind auf den Täufer zugekommen, um ihn zu hören und sich von ihm taufen zu lassen. Jetzt aber geschieht etwas Neues: Der kommt auf ihn zu, den Johannes die ganze Zeit erwartet.

Johannes ist nicht nur der asketische Täufer und der unerschrockene Prophet. Hinter der rauen Schale seines Auftretens verbirgt sich ein feinfühliger und aufmerksamer Mensch. Die Wüste hat ihn manches gelehrt. Er ist einer geworden, der sehen und erkennen kann. Er lässt sich nicht blenden, sondern schaut auf den Grund der Menschen und Ereignisse.

In diesem Augenblick, da er Jesus auf sich zukommen sieht, geht ihm vieles auf. Darüber wer dieser Jesus ist und wer er selbst ist. Dennoch führt das lang ersehnte Kommen Jesu nicht dazu, dass Johannes ihm entgegenläuft. Die beiden fallen sich nicht in die Arme, verschmelzen nicht. Jeder geht weiterhin seinen Weg. Dabei könnte jetzt doch alles gut sein.

Johannes sieht Jesus auf sich zukommen. Und er sieht, dass alles auf diesen Jesus zukommt: Er wird die Sünden der Welt hinwegnehmen. Johannes erkennt, dass der, der auf ihn zukommt, seine Sendung und Lebensaufgabe angenommen hat. Der Geist Gottes ruht auf ihm. Er wird nicht resignieren, sondern mit dem Heiligen Geist taufen, dieser Welt für immer neues Leben geben. Ein tiefes, starkes Glück muss Johannes erfasst haben: Niemand wird den, der auf ihn zukommt, aufhalten. Er wird ankommen und alles gut machen.

Es gibt im Leben Augenblicke, in denen uns jemand oder etwas aufgeht. Sie sind wie ein Ruf oder eine plötzliche Einsicht. Schön sind diese Augenblicke und kennen doch ihren Schmerz. Wo einem in der Tiefe etwas aufgeht, wird man gebunden. Man kann nicht anders als es zu bezeugen. Mut und Entschiedenheit können daraus erwachsen: Eine Freundschaft einzugehen, sich einer Bitte zu stellen, eine Aufgabe anzunehmen oder sich in Neuland zu wagen.

„Alles wird einmal gut werden“ hörte die Mystikerin Juliane von Norwich Christus zu ihr sagen. Das muss Johannes der Täufer gesehen haben, als Jesus auf ihn zukommt. In dieser Hoffnung kann er seinen Weg weitergehen. Er kann darin einwilligen, mit Jesus noch tiefer verbunden zu werden in der Taufe des gewaltsamen Todes, den beide erleiden werden. Diese noch ferne Zukunft mag gegenwärtig gewesen sein als gemeinsame Schicksalsahnung.

Es wird alles gut. Das kann uns Kraft geben, unsere Lebensaufgabe anzunehmen, auch wenn manche Schatten vorausgeahnt werden. Jesus wird auf uns zukommen.

Von Schwester Anne Kurz

Evangelium nach Johannes (Joh 1,29–34)

In jener Zeit sah Johannes der Täufer Jesus auf sich zukommen und sagte: Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt! Er ist es, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der mir voraus ist, weil er vor mir war. Auch ich kannte ihn nicht; aber ich bin gekommen und taufe mit Wasser, damit er Israel offenbart wird.

Und Johannes bezeugte: Ich sah, dass der Geist vom Himmel herabkam wie eine Taube und auf ihm blieb. Auch ich kannte ihn nicht; aber er, der mich gesandt hat, mit Wasser zu taufen, er hat mir gesagt: Auf wen du den Geist herabkommen und auf ihm bleiben siehst, der ist es, der mit dem Heiligen Geist tauft. Und ich habe es gesehen und bezeugt: Dieser ist der Sohn Gottes.

Der Autor

Anne Kurz ist Schwester der Gemeinschaft Verbum Dei und lebt neben einem kleinen Exerzitienhaus in Venne bei Münster. Sie ist Theologin und Geistliche Begleiterin.

Ausgelegt!

Katholisch.de nimmt den Sonntag stärker in den Blick: Wie für jeden Tag gibt es in der Kirche auch für jeden Sonntagsgottesdienst ein spezielles Evangelium. Um sich auf die Messe vorzubereiten oder zur Nachbereitung bietet katholisch.de nun "Ausgelegt!" an. Darin können Sie die jeweilige Textstelle aus dem Leben Jesu und einen Impuls lesen. Diese kurzen Sonntagsimpulse schreibt ein Pool aus Ordensleuten und Priestern für uns.