So soll die Medienstrategie des Vatikan in Zukunft aussehen
Seit einem Jahr leitet der italienische Journalist Andrea Tornielli (55) – zuvor Redakteur der Turiner "La Stampa" und Leiter von dessen Online-Magazins "Vatican Insider" – die editoriale Direktion des vatikanischen Kommunikations-Dikasteriums. Er ist laut Statut für die redaktionelle Linie der vatikanischen Medien, die strategische Entwicklung neuer Kommunikationsformen und die "Integration der traditionellen Medien in die digitale Welt" zuständig.
Frage: Herr Tornielli, der Umbau des Mediensektors gehört zu den einschneidendsten Maßnahmen der Kurienreform. Neun verschiedene und eigenständige Bereiche wurden zu einer Einheit verbunden, teilweise sogar unter einem Dach. Ist das gelungen?
Tornielli: Es war und ist in der Tat ein sehr breites Reformprojekt. Mit mehr als 500 Mitarbeitern ist unser Dikasterium die größte Behörde der Kurie. Darunter sind 210 Redakteure aus 64 Ländern. Unsere Mitarbeiter hatten zuvor nach unterschiedlichen Statuten, in anderer Umgebung, in anderen Teams mit jeweils eigenem Arbeitsstil gearbeitet. Die Neuorientierung, der Umbau in ein neues Format war gerade für manche ältere Kollegen nicht einfach. Aber nach und nach sind die verschiedenen Bereiche zusammengekommen. Die Neuaufstellung ist meiner Ansicht nach gelungen, sie ist an einem guten Punkt. Es war ein großer Schritt.
Frage: Was ist Aufgabe der editorialen Direktion, die Sie seit einem Jahr leiten? Wofür sind Sie zuständig?
Tornielli: Wir sind eine der fünf Direktionen des Kommunikations-Dikasteriums, das von Paolo Ruffini als Präfekten geleitet wird. Unsere Direktion ist für die editoriale Linie aller vatikanischen Medien zuständig. Es geht um die Kommunikation und die Information der verschiedenen Bereiche, insbesondere um die neue große Einheit "Radio Vaticana – Vaticannews". Diese produziert Radioprogramme, Videos, betreut eine Webseite in 35 Sprachen und gibt verschiedene Newsletter heraus. Ich bin für diese Plattform zuständig, dann aber auch für die Linie des Osservatore, dessen Redaktionen demnächst auch räumlich in unseren Palazzo Pio umzieht, und weiter für die vatikanische Verlagsanstalt und dessen Publikationen.
Frage: Wieviel "Radio" steckt eigentlich noch in Radio Vaticana. Hat nicht die Homepage inzwischen Priorität?
Tornielli: Nein. Wir bauen unsere verschiedenen Formate aus, und wir bemühen uns überall um ein aktuelles und reichhaltiges Nachrichtenangebot. Das war und ist ein enormer Kraftakt. Bis vor vier Jahren machten unsere Redakteure im wesentlichen Radio. Jetzt schreiben sie zusätzlich auch Texte für die Homepage, und sie erstellen Videos von gehobenem Standard. Die Internetseiten nehmen beständig zu, ebenso die Zahl der Zugriffe. "Radio Vaticana – Vaticannews" hat seine Position als gefragte und zuverlässige Informationsquelle deutlich stärken können. Für mich ist das alles ein kleines Wunder. Aber es ist auch noch viel zu tun.
„Für mich ist das alles ein kleines Wunder. Aber es ist auch noch viel zu tun.“
Frage: Ist aber das Medium "Radio" nicht eigentlich tot?
Tornielli: Das Radio ist meines Erachtens keineswegs ein sterbendes Medium. Im Gegenteil ist es ein Instrument der Zukunft Es ist für uns weiterhin wichtig und interessant. Allerdings entwickelt und verändert es sich. Podcasts erhalten künftig eine noch größere Bedeutung neben dem Live-Radio. Wir bauen das Webradio stetig aus. Zudem bieten wir unsere Programme, insbesondere unsere Nachrichtensendungen an lokale Radiostationen zur Weiterverbreitung an. In Frankreich etwa wird das französisch-sprachige Radiogiornale von 60 Stationen, teils kleinen Diözesanradios zeitgleich ausgestrahlt. Ähnlich in Brasilien. Auch in Zusammenarbeit mit Radio Maria. Wir haben nicht nur Redaktionen für 35 Sprachen. Für Englisch, Französisch und Portugiesisch gibt es bei uns eigene Afrika-Redaktionen. Darüber hinaus übertragen wir Wochenprogramme in Kisuaheli und fünf weiteren traditionellen afrikanischen Sprachen. Und seit Juni bringen wir jeden Samstag um 12.30 Uhr eine fünfminütige Nachrichtenzusammenfassung auf Latein: "Hebdomada Papae", die aber nicht von uns sondern von den Latinisten des Staatssekretariats übersetzt wird. Das Radio wird bei uns zweifellos bleiben. Aber wir werden natürlich jedes Programm und jede Sektion überprüfen, und von Fall zu Fall bewerten, ob sie mit dem gleichen Raum, im gleichen Umfang und auf der gleichen Welle fortgesetzt werden soll.
Frage: Man hatte den Eindruck, dass bislang jede Sprachredaktion ihre eigene redaktionelle Linie fuhr. Wie weit reicht künftig die Einheitlichkeit, die Sie ja durchsetzen sollen?
Tornielli: Wir haben hier Journalisten aus 64 Ländern. Jede Nachricht über den Papst oder die Kirche wird von den jeweiligen Sektionen in ihrer Sprache, mit ihrem kulturellen Hintergrund und ihrem Medienverständnis erstellt. Auch wenn es in unserem Haus eine einheitliche Linie gibt, heißt das nicht, dass wir zu jedem Beitrag auch den gleichen Titel verordnen. Natürlich haben die Sektionen einen Freiraum, um einen Vorgang oder eine Ansprache für ihre Konsumenten angemessen zu präsentieren. Gleichzeitig ist es nötig, eine Einheit in fundamentalen Dingen zu haben. Mir geht es darum, dass wir im ganzen Medienbereich des Vatikan, vor allem die Sektionen von Vatican News immer enger zusammenarbeiten, Informationen austauschen und enger vernetzt sind. Bei uns arbeiten Italiener und Europäer mit Afrikanern und Indern zusammen, sie alle bringen ihre Sichtweise ein. Und das bereichert.
Frage: Gehört das vatikanische Presseamt auch in ihre Kompetenz? Machen Sie auch die Kommuniques des Pressesaals?
Tornielli: Absolut nicht. Das Presseamt hat seinen eigenen Direktor, Matteo Bruni. Er erhält vom Staatssekretariat die aktuellen Nachrichten, die er im Bollettino für die akkreditierten Medienvertreter veröffentlicht. Dort bin ich nicht verantwortlich. Aber wir versuchen, in der Leitung des Dikasteriums auch als Team zu arbeiten und uns zuzuarbeiten. Auch wenn ich keine direkte Verantwortung im Presseamt habe und Bruni keine bei Vatican News, so heißt das nicht, dass wir nicht kooperieren. Wir beraten uns über bestimmte Fragen und stimmen uns ab.
Frage: Wird der "Osservatore Romano" weiterhin als gedruckte Zeitung herauskommen.
Tornielli: Ja, das geht weiter. Dabei planen wir für die nächste Zeit freilich eine Änderung des Zeitungsformats. Zudem soll der Osservatore künftig noch mehr Hintergrundberichterstattung und inhaltliche Vertiefung liefern und dafür weniger aktuelle Nachrichten. Zudem suchen und prüfen wir derzeit ein Verbindungssystem, wie wir den Druck des Osservatore in andere Länder hin auslagern können. Wie die Tagesausgabe auch in anderen Staaten und Kontinenten gedruckt werden könnte, gegebenenfalls in kleiner Auflage von wenigen Hundert Exemplaren. Oder wie Wochenausgaben in anderen Ländern gedruckt und dann etwa Diözesan-Zeitungen als Beilage beigefügt werden könnten.
Frage: Das heißt, dass auch die Wochenausgaben in verschiedenen Sprachen weiterhin produziert werden sollen?
Tornielli: Ja, auch die Sprachausgaben etwa in Englisch, Französisch, Spanisch oder Deutsch und auch die polnische Monatsedition sollen bleiben. Demnächst werden die Redaktionen des Osservatore hierher in den Palazzo Pio umziehen. Damit rücken auch die Redakteure der Sprachausgaben näher an die jeweiligen Sektionen von Vatican News heran. Davon erhoffe ich mir einen zusätzlichen Austausch – und manche Synergien. Aber auch schon jetzt werden etliche Beiträge der Zeitung von den Redakteuren unserer Plattform erstellt. Etwa die Meldungen über die Predigten des Papstes bei seiner Frühmesse in Santa Marta. Denn es ist absurd, dass zwei Journalisten des Vatikan über den gleichen Vorgang zwei mehr oder weniger ähnliche Beiträge machen müssen.
Frage: Was ist mit der vatikanischen Druckerei und dem Verlag, bleiben die auch bestehen? Anfangs hieß es, die Aufgaben würden ausgesourct?
Tornielli: Eine Schließung ist nicht geplant. Allerdings denken wir über eine Optimierung und eine bessere Nutzung nach.
„Es gab keine betriebsbedingten Kündigungen, darauf hat der Papst für die Kurienreform insgesamt bestanden.“
Frage: Die Kurienreform soll nicht nur die Effizienz steigern und Ressourcen besser nutzen, sondern auch Einsparungen bringen. Wieviele Mitarbeiter wurden bei Ihnen entlassen?
Tornielli: Es gab keine betriebsbedingten Kündigungen, darauf hat der Papst für die Kurienreform insgesamt bestanden. Im Gegenteil wurden hier in den letzten Jahren verschiedene noch unklare Arbeitsverhältnisse neu geregelt. Jedoch werden auf Dauer sicher nicht alle durch Pension freiwerdenden Stellen nachbesetzt. Alle haben die Aufgabe, effizienter zu sein, auch unter Kostengesichtspunkten. Natürlich muss die Kommunikation als Kostenfaktor gesehen werden, aber vor allem auch als Dienst. Es ist klar, dass der Unterhalt so vieler Sprachsektionen Geld kostet. Aber wir leisten damit einen großen Dienst. Wir müssen dafür arbeiten, dass der Dienst weiter noch bekannter wird und noch stärker rezipiert wird. Und wir müssen uns noch mehr um den Austausch unseres produzierten Materials mit anderen Medien bemühen. Aber es gibt Regionen die Afrika, die nur per Kurzwelle erreicht werden können. Das kostet, aber das macht auch Sinn.
Frage: Wird man weiterhin auf Werbung ganz verzichten?
Tornielli: Darüber wird bei uns diskutiert. Ich persönlich denke, dass es künftig notwendig ist, sich für manche Formen der Werbung, auf angemessenem Niveau, zu öffnen. Das gilt besonders für institutionelle Werbung auf unseren Webseiten. Noch ist keine Entscheidung getroffen. Aber meiner Ansicht nach ist eine Öffnung auf Dauer unverzichtbar, um unseren Dienst garantieren und verwirklichen zu können.
Frage: Ist die Reform des vatikanischen Mediensektors an einem guten Punkt? Welche Vorteile brachte und bringt sie?
Tornielli: Einen großen journalistischen Vorteil sehe ich darin, dass die vatikanischen Medien und die Journalisten aus unterschiedlichen Sprachen und Kulturen jetzt zusammenarbeiten. Dass sie ihre Erfahrungen und Sichtweisen einbringen, sich austauschen und gegenseitig helfen; das fördert die Aktualität, weitet den Blick und schärft die Sensibilität. Das ist ein großer Reichtum – und zugleich eine große Schwierigkeit. Es war ein weiter Weg bis hierher; denn die Überlegungen gehen schon 20 Jahre, in das Pontifikat von Johannes Paul II. zurück. Und das Zusammenwachsen braucht weitere Zeit. Deshalb ist die Reform ja auch auf manche Schwierigkeiten gestoßen. Aber ich sehe letztlich nur positive Aspekte. Und ich betrachte es letztlich als ein Wunder, dass in so kurzer Zeit das ganze System praktisch neu gedacht und multimedial umgestellt wurde.