Seelsorge und Beratung für Menschen in Trennungssituationen

Wie die Kirche Geschiedenen hilft

Veröffentlicht am 28.02.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Obwohl sie grundsätzlich die Unauflöslichkeit der Ehe betont, verschließt sich die Kirche längst nicht mehr der Realität, dass Ehen scheitern können – und bietet selbst Unterstützung für Menschen in Trennungssituationen an. Doch manche Stimmen fordern mehr als den Ausbau pastoraler Angebote.

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Eine Scheidung ist eine tiefgreifende biografische Ausnahmesituation. Eine Ausnahmesituation, die gesellschaftlich immer mehr zur Regel wird: Statistisch gesehen scheitert in Deutschland jede dritte Ehe. Nicht selten stürzt das die Betroffenen in eine schwere Krise. "Ein Betroffener hat mir einmal gesagt, es fühle sich so an, als hätte jemand bei ihm den Stecker gezogen", erinnert sich Eva-Maria Ritz, Leiterin der katholischen Ehe-, Familien-, und Lebensberatungsstelle in Leipzig. Viele Menschen schaffen es nicht mehr, diesen Stecker wieder selbst anzuschließen. Deshalb suchen sie sich Hilfe, um diese Krise zu bewältigen.

Obwohl sie grundsätzlich die Unauflöslichkeit der Ehe betont, verschließt sich die Kirche längst nicht mehr der Realität, dass Ehen zu Bruch gehen können – und bietet selbst Unterstützung für Menschen in dieser Lage an. "Gerade in der Situation des Scheiterns, aber auch darüber hinaus sollen die Menschen erfahren können, dass die Kirche sie begleitet und einlädt, mit ihr unterwegs zu sein", halten die deutschen Bischöfe in ihrem Wort zum nachsynodalen Schreiben "Amoris laetitia" von Papst Franziskus fest. Anlaufstellen, an die sie sich Betroffene mit ihren Problemen, Sorgen und Nöten im Rahmen einer Scheidung oder Trennung wenden können, sind die katholischen Ehe-, Familien-, und Lebensberatungsstellen oder die diözesanen Stellen für Alleinerziehendenseelsorge. Das Angebot reicht dabei von Einzelberatung über Seminare bis hin zu speziellen Gottesdiensten.

Keine "perfekten Lösungen"

Gerade in der Einzelberatung geht es oft um ganz praktische Tipps, wie man am besten mit der Situation umgehen und sie verarbeiten kann. Die kirchlichen Berater wie Eva-Maria Ritz erfinden dabei das Rad nicht neu: Meist geben sie ähnliche Ratschläge wie ihre Kollegen bei säkularen Trägern. "Natürlich haben auch wir zunächst einmal keine perfekten Lösungen", betont Ritz. Dennoch hätten kirchliche Beratungsstellen gegenüber anderen einen Vorteil, findet sie. "Wir versuchen, uns mit der jeweiligen Person so gut es geht und so lange sie es braucht zu beschäftigen." Das könnten andere Stellen nicht. "Es ist unser Auftrag als Kirche, es so lange wie möglich mit den Betroffenen 'auszuhalten'. Wir geben erstmal Zeit und hören ihnen zu." Leipzig, das im Bistum Dresden-Meißen liegt, ist zwar katholische Diaspora. Dennoch nehmen auch viele Nicht-Gläubige das kirchliche Angebot gerne wahr. Eva-Maria Ritz hat es eigenen Schätzungen zufolge jährlich mit 280 bis 300 Personen in Trennungs- und Scheidungssituationen zu tun.

Dass Menschen in dieser Lage unabhängig von ihrer Kirchenbindung gerne katholische Beratungsstellen aufsuchen, hat auch Heidi Ruster festgestellt, die im Erzbistum Köln als katholische Ehe- und Familienberaterin arbeitet. In ihrer Stelle in Bonn gibt es jährlich etwa 100 bis 120 Beratungsfälle vor beziehungsweise nach einer Scheidung. Das sind zwar bei weitem nicht so viele wie in Leipzig, dafür betreibt das Erzbistum Köln in der Fläche auch mehr Beratungsstellen als das Bistum Dresden-Meißen. "Die Menschen haben den Eindruck, dass die Kirche einer Beziehungsgeschichte besonderen Respekt entgegenbringt", betont Ruster. Sie hat es oft mit Menschen zu tun, die daran zu knabbern haben, dass sie das Versprechen, das sie ihrem Partner vor dem Traualtar gegeben haben, nicht einhalten konnten. "Man darf die Bindungskraft des Ehesakraments nicht unterschätzen."

Bild: ©dpa/Patrick Pleul

Mit einer Scheidung endet die Ehe. Wer kirchlich verheiratet ist, kann sich allerdings nur zivilrechtlich scheiden lassen, da die Ehe nach kirchlicher Lehre unauflöslich ist.

Gemeinsam mit den Betroffenen geht sie der Frage nach, an welchen Stellen der Ehe das Sakrament besonders spürbar geworden sei. "Ich versuche, ihnen aufzuzeigen, dass Gottes Heils- und Segenszusage auch dann gilt, wenn eine Ehe in einer Sackgasse feststeckt." Denn meistens bedeutet das Ende einer Ehe nicht das Ende der Familie, besonders dann, wenn die einstigen Partner gemeinsame Kinder haben. In diesem Fall sei es wichtig, dass es eine neue gemeinsame Kommunikationsbasis gibt.

Oft hilft es den Betroffenen, sich mit anderen Menschen auszutauschen, die sich in der gleichen Situation befinden. Unter "Leidensgenossen" entsteht nämlich eine ganz besondere Form der Solidarität. Außerdem ist die Hemmschwelle, sich zu öffnen, oft deutlich geringer als in der Einzelberatung. Deswegen bieten kirchliche Stellen ein- bis mehrtätige Seminare für Geschiedene und Getrenntlebende an. "Das ist ein ganz spezielles Forum, bei dem nicht nur die Seelsorger und die Berater, sondern auch die Betroffenen untereinander Wege der Linderung aufzeigen können", sagt Heidi Ruster.

Manchmal gibt es im Rahmen eines solchen Seminars – manchmal aber auch unabhängig davon – spezielle Gottesdienste für Menschen, die unter den Folgen einer Trennung oder Scheidung leiden. Meistens kommen dabei bestimmte Rituale und Symbole ins Spiel: eine mit gefrorenem Wasser gefüllte Herzform etwa, die durch die Kirchenbänke gereicht wird und mit jeder Berührung immer weiter schmilzt; oder ein Vorhang an der Kirchentür, den die Teilnehmer beim Verlassen des Gotteshauses zerreißen – als Zeichen für das, was sie hinter sich gelassen haben.

„Ich versuche, ihnen aufzuzeigen, dass Gottes Heils- und Segenszusage auch dann gilt, wenn eine Ehe in einer Sackgasse feststeckt.“

—  Zitat: EFL-Beraterin Heidi Ruster über ihre Arbeit mit Geschiedenen

Rituale sind in dieser Situation von größter Bedeutung, weiß Eva-Maria Ritz, die kirchliche Beraterin in Leipzig. Sie stellt den Menschen bei Bedarf eine kleine Handreichung zur Verfügung, aus der sie aussuchen können, was zu ihrer Situation gerade passt. "Das kann ein Gespräch mit einem Priester oder einem Menschen sein, der sie durchs Leben begleitet." Oder der Besuch an einem Ort, der in der Beziehung eine große Rolle gespielt hat oder an die gemeinsame Zeit erinnert.

In Ausnahmefällen kommt es vor, dass ein ehemaliges Paar trotz aller erlittenen Verletzungen ein gemeinsames Ritual wünscht, mit dem sie sich symbolisch gegenseitig aus ihrer Beziehung entlassen wollen. "Es kann ja durchaus noch etwas geben, was man sich in diesem Fall noch zusprechen kann." Ritz schickt diejenigen zu Seelsorgern, die eine Art Segen für die Auseinandergehenden anbieten. "Das haben wir uns von unseren evangelischen Geschwistern abgeschaut." Diese bieten schon länger spezielle Rituale am Ende einer Ehe an.

Andere Vorzeichen?

Manfred Belok, Professor für Pastoraltheologie an der Theologischen Hochschule im Schweizerischen Chur, bewertet das wachsende Engagement kirchlicher Stellen für Geschiedene und getrennt Lebende an sich positiv. "Ich finde es gut, dass sich Menschen innerhalb der Kirche Gedanken machen, was man denjenigen anbieten kann, die verletzt sind." Doch mit dem Ausbau des pastoralen Angebots allein sei es nicht getan, betont der Theologe. Es müssten sich in der Ehelehre die Vorzeichen ändern. "Wenn wir sagen, wir sind eine Kirche von Sündern, dann dürfen wir keine Heiligen erwarten."

Eine Trennung oder zivile Scheidung eines kirchlich verheirateten Paares berührt nach katholischem Verständnis das Eheband nicht. Doch wer danach ein weiteres Mal zivil heiratet, lebt nach dem Kirchenrecht grundsätzlich in dauerndem Ehebruch und ist von den Sakramenten ausgeschlossen. Daran hat sich auch nach dem vielbeachteten Schreiben "Amoris laetitia" von Papst Franziskus aus dem Jahr 2016 nichts geändert – auch wenn Betroffene in Einzelfällen und nach intensiver seelsorglicher Begleitung nun zur Kommunion zugelassen werden können. Es gibt zwar die Möglichkeit, eine kirchlich geschlossene Ehe annullieren zu lassen. Dabei muss festgestellt werden, dass sie aus bestimmten Gründen nicht gültig zustande gekommen ist und somit das Eheband gar nicht existierte. Doch viele Betroffene wollen diesen Schritt bewusst nicht gehen, weil sie in der gescheiterten Beziehung dennoch viel Bereicherndes erlebt haben.

Bild: ©grafxart/Fotolia.com

Das Wichtigste sei, dass die Betroffenen auch in der Situation des Scheiterns ihr Vertrauen auf Gott nicht verlieren, betont der Pastoraltheologe Manfred Belok. So könne man auch leichter mit den Brüchen des Lebens umgehen.

Laut Belok braucht es eine Theologie, die den veränderten Lebens- und Beziehungssituationen eines Menschen Rechnung trägt, ohne den Betroffenen ständig eine persönliche Schuld zu unterstellen. "Ich plädierte für eine Theologie, die die Fragilität von menschlichen Beziehungen wahrnimmt", sagt er. Keiner gehe mit dem Vorbehalt in eine Ehe, dass das in ein paar Jahren vorbei sein könnte. Doch eine Ehe unter Christen sehe heutzutage anders aus als früher – und das sei auch legitim.

Selbst der beste Wille des Menschen, zu lieben und zu versöhnen, sei aufgrund seiner "erbsündlichen Gebrochenheit" begrenzt, findet Belok. "Das muss ich als Realität akzeptieren, aber nicht ohnmächtig werden, sondern sagen, dass ich im Vertrauen auf Gott den nächsten Schritt gehe." Das Wichtigste sei, dass die Betroffenen auch in der Situation des Scheiterns ihr Vertrauen auf Gott nicht verlieren. So könne man auch leichter mit den Brüchen des Lebens umgehen. "Wir müssen einander helfen, die Erfahrung machen zu dürfen, dass Gott bedingungslos zu den Menschen steht – selbst wenn sie am Ende einer Beziehung mitschuldig sind."

Noch immer ist das Thema Scheidung in der Kirche hochstigmatisiert. Dabei müsse es endlich raus aus der Tabuzone, betont Eva-Maria Ritz. Unabhängig von einer anderen kirchlichen Sicht auf Betroffene brauche es noch viel mehr seelsorgliche Angebote. "Letztens hat eine Seminarteilnehmerin zu mir gesagt: Die Kirche kümmert sich sehr stark um Verheiratete, um alte Menschen, um Kinder; aber um Alleinlebende noch zu wenig." Seminare oder Gottesdienste gibt es nur vereinzelt. "Ich möchte der Kirche Mut machen, dass sie sich diesem Thema stärker widmet." Es lebten nämlich immer mehr Menschen – ob bewusst oder unbewusst – alleine. "Und die verlieren wir am Ende auch in den Kirchenbänken."

Von Matthias Altmann