Warum positives Denken ein leeres Glücksversprechen ist
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Es ist zu einer Art Mantra geworden, ja geradezu zur Pflicht: Positives Denken soll zu Erfolg, Gesundheit und ungetrübtem Lebensglück führen. Wer sich heute Skepsis oder gar Pessimismus gestattet, macht sich verdächtig. "Sorge Dich nicht, lebe!" Mit diesem fragwürdigen Imperativ lud der Autor Dale Carnegie gleich ein ganzes Buch auf, das 1948 in den USA und Jahre später hierzulande Millionen in seinen Bann schlug. Diese Beschwörungsformel mag bisweilen beflügeln, doch klingt sie wie Hohn in den Ohren all jener Menschen, denen trotz positiven Denkens eine unheilbare Krankheit, der plötzliche Verlust der Existenz oder gar der eines lieben Menschen jede Lebensplanung zunichte macht.
Zwar dokumentieren wissenschaftliche Untersuchungen die körperlichen und psychischen Vorzüge einer optimistischen Lebenshaltung, jedoch kann der zwanghafte Versuch, negative Gefühle oder Gedanken aus dem Alltag zu verbannen mehr schaden als nützen.
Automatischer Erfolg?
Die Techniken des positiven Denkens, geboren aus der Esoterikbewegung, besagen wenig anderes als die Steuerung des Unterbewusstseins, das automatisch den Erfolg herbeiführen soll – Persönlichkeits- und Motivationstrainer erheben diese Theorie zum Evangelium. Der so mit der Kraft des positiven Denkens aufgepumpte Schicksalsbezwinger soll nicht nur ungeahnte Wege, sondern am besten gleich übers Wasser gehen. Über die ziemlich sichere Gefahr des Ertrinkens hinaus birgt diese Sichtweise andere Gefahren, ähnlich denen des Karma-Glaubens: Kranke, gescheiterte und arme Menschen denken und leben falsch, sind selbst schuld an ihrer Misere.
Zwanghaft positives Denken kann Intoleranz und Gefühllosigkeit gegenüber den Sorgen und Ängsten der Mitmenschen begünstigen. Hinzu kommt der Irrglaube, allein mit positivem Denken sei das Schicksal zu beeinflussen, zu gestalten, zu steuern. In Wahrheit birgt jede Unternehmung die Option des Scheiterns, jeder Wunsch die der Nichterfüllung.
Christen verstehen auch etwas von der Fähigkeit, die Dinge optimistisch anzugehen, doch sie ahnen: Der Mensch denkt, und Gott lenkt. In diese Erkenntnis fällt auch die Intuition, jener geheimnisvolle Seelenseismograph, der häufig die Richtung weist. Wer sich einreden lässt, was er zu denken und zu fühlen hat, unterdrückt diese Intuition.
Positives Denken ist ein Glücksversprechen, doch führt schon der Begriff in die Irre. Nicht das Denken macht das Ich des Menschen aus, es ist der ganze Komplex von Denken, Fühlen, Hoffen, Wollen. Positives Fühlen, Erhoffen ist etwas anderes, als es zu denken. Wer still und unverrückbar in seinem Herzen an einem lebendigen Wunsch baut, entschlossen zu gewinnen, zieht aus dem Unsichtbaren Hilfskräfte an wie geistige Fruchtbarkeit, neue Wege, neue Menschen. "Es fällt uns etwas ein", "Es verwirklicht sich etwas…". Die Sprache weiß es schon lange, und die Menschen verwenden ganz richtig dieses große, schaffende "Es". Das Unbewusste arbeitet daran, oder anders: "Den Seinen gibt's der Herr im Schlaf."
Eine werdende Mutter lässt ja auch den Embryo nach seinen geheimnisvollen Gesetzen sich entwickeln, sie hat nichts zu tun, als "guter Hoffnung" zu sein. Hoffnung wächst aus dem Herzen, sie hat nichts zu tun mit dem "Alles-wird-gut-Prinzip", dass bald wieder mit den Neujahrswünschen einhergehen wird. Nein, Hoffnung hat zu tun mit der Gewissheit, dass etwas Sinn hat, ganz gleich wie es ausgeht. Zwanghaft positives Denken ist ein Produkt des Verstandes, es zwingt das Lebensglück ebenso wenig herbei wie es Leid vermeiden hilft.
Die Autorin
Brigitte Haertel ist Redaktionsleiterin von "theo – Das Katholische Magazin".Hinweis: Der Artikel erschien zuerst im "theo"-Magazin.