Leben wie ein Mönch – aber maximal für ein Jahr
Jungen Menschen, die auf das Ende ihrer Schulzeit oder ihres Studiums zusteuern, wird von Eltern und Lehrern gerne gesagt, dass ihnen bald alle Türen offenstehen. Sie seien frei, so der wohlmeinende Hinweis der Älteren, hinaus in die Welt zu gehen und sich ihren Platz in der Gesellschaft zu suchen. Doch wie man diesen Platz genau findet, verraten Eltern und Lehrer nur selten. Angesichts der Fülle von Möglichkeiten stehen viele junge Erwachsene deshalb oft ziemlich ratlos vor einem neuen Lebensabschnitt. Was soll ich aus meinem Leben machen? Welcher Beruf ist der richtige für mich? Wo und wie will ich leben? Viele junge Menschen entschließen sich auch angesichts solcher Fragen dazu, zunächst eine Auszeit zu nehmen, bevor sie weiter daran arbeiten, ihren Lebenslauf zu veredeln.
Eine ganze Branche hat sich in den vergangenen Jahren auf diese besondere Lebensphase spezialisiert. Wer etwa im Internet recherchiert, landet schnell auf Seiten wie nach-dem-abitur.de, karrierebibel.de oder sabbatjahr.org. Dort werden zahlreiche Möglichkeiten aufgezeigt, wie man das "Gap Year" oder "Zwischenzeit" genannte Jahr nach Schulabschluss oder Studium sinnvoll zur Orientierung für den weiteren Lebensweg nutzen kann. Ganz oben auf der Liste der Empfehlungen stehen dabei Freiwilligendienste, Praktika, ein Auslandsjahr oder Nebenjobs, um so das erste eigene Geld zu verdienen.
Ein ungewöhnlicher Weg – ins Kloster
Tobias Mandel hat sich gegen alle diese Optionen entschieden – und stattdessen einen ungewöhnlichen Weg gewählt. Im vergangenen August hat der 24-Jährige sein Theologiestudium in Tübingen unterbrochen, um für ein Jahr im bekannten Benediktinerkloster Sant'Anselmo auf dem Aventin-Hügel in Rom zu leben. "Ich wollte eine Unterbrechung im Studium, ein Jahr ins Ausland gehen und ein mir bisher kaum bekanntes Leben als Mönch ausprobieren und kennenlernen", erzählt Mandel im Gespräch mit katholisch.de über die Motivation für sein persönliches "Gap Year".
Ermöglicht wurde dem gebürtigen Stuttgarter dieser zeitlich begrenzte "Eintritt" in ein Kloster durch ein besonderes Projekt: die "Klosterzeit". Das Programm, das seit zwei Jahren angeboten wird, schließt die Lücke zwischen einem dauerhaften Leben als Mönch und Angeboten wie "Kloster auf Zeit", die meist nur auf ein paar Tage oder Wochen ausgelegt sind. Die "Klosterzeit" bietet jungen Männern zwischen 18 und 30 Jahren die Möglichkeit, sechs bis zwölf Monate in einem Benediktinerkloster mitzuleben, mitzuarbeiten und mitzubeten.
Initiiert wurde das Projekt von Pater Thomas. Der Benediktiner aus dem schweizerischen Kloster Einsiedeln hatte vor ein paar Jahren – inspiriert von einem ähnlichen Angebot in den USA – die Idee, die Nachfrage junger Menschen nach einer Auszeit vom Alltag aufzugreifen und dafür die Türen von Benediktinerklöstern zu öffnen. "Eines Tages wurde mir bewusst, dass wir Benediktiner hervorragende Voraussetzungen haben, eine solche Auszeit anzubieten, da unser Orden weltumspannend vernetzt und in vielen Kultur- und Sprachregionen dieser Erde mit Klöstern präsent ist", erzählt er. Ähnlich wie die Karriereportale im Internet wollte der Mönch jungen Erwachsenen ermöglichen, ihren Horizont zu erweitern und Erfahrungen zu sammeln – und das in einem Kloster.
"Neugierde, sich auf etwas Neues einzulassen"
Dass diese spezielle Form eines "Gap Years" für junge Männer durchaus eine Option sein kann, zeigen die bisherigen Teilnehmerzahlen der "Klosterzeit". Derzeit absolvieren vier junge Männer das Programm, und drei weitere haben sich für 2020 bereits angemeldet. Die biografischen Hintergründe der Teilnehmer sind dabei sehr unterschiedlich – von Theologiestudenten wie Tobias Mandel über Mitglieder von Freikirchen bis hin zu jungen Männern, die zwar katholisch getauft, aber kaum praktizierende Christen sind. "Eines aber verbindet sie alle: Es ist die Neugierde, sich auf etwas Neues einzulassen", betont Pater Thomas.
Linktipp
Über seine Erlebnisse während der "Klosterzeit" schreibt Tobias Mandel einen Blog, den Sie hier lesen können.Inhaltlich ist die "Klosterzeit" für alle Teilnehmer gleich strukturiert. Zu Beginn absolvieren die jungen Männer gemeinsam eine Einführungswoche in Einsiedeln. Dort werden ihnen unter anderem der Tagesablauf in einem Kloster, die Gottesdienste und Stundengebete und die Geschichte des Mönchtums erläutert; außerdem gibt es eine Unterweisung in gregorianischem Choral. Anschließend wechseln die Teilnehmer in ein Kloster ihrer Wahl. Zur Auswahl stehen zwölf Benediktinerklöster auf vier Kontinenten. Neben Einsiedeln und Sant'Anselmo beteiligen sich auch die Dormitio-Abtei in Jerusalem und das Priorat Tabgha am See Genezareth sowie Klöster in Argentinien, England, Frankreich, Österreich, Spanien, Südkorea und den USA an dem Programm. Da die Mindestaufenthaltsdauer in einem Kloster drei Monate beträgt, kann die "Klosterzeit" auch in mehreren Niederlassungen absolviert werden.
Die konkreten Aufgaben in den Klöstern sind dabei sehr unterschiedlich und richten sich nach den Tätigkeiten der Mönche vor Ort sowie den Interessen und Fähigkeiten des jeweiligen Teilnehmers. "Sie reichen von Fahrdiensten für den obersten Benediktinerabt in Rom über Schreinerarbeiten bis hin zur Mithilfe in den Reisplantagen im südkoreanischen Kloster Waegwan", erläutert Pater Thomas.
Vom Abstauben des Chorgestühls bis zum Spüldienst
Tobias Mandel hat in seinen ersten Monaten in Rom bereits ganz unterschiedliche Aufgaben übernommen. Neben administrativen Arbeiten für den Prior von Sant'Anselmo bekommt er zu Beginn jeder Woche von seinem "Betreuermönch", der ihm während seiner "Klosterzeit" als Ansprechpartner zur Seite steht, einen Plan mit Aufgaben für die nächsten Tage. "Von Tätigkeiten in der Klosterbücherei über das Abstauben des Chorgestühls bis zum Spüldienst kann da alles dabei sein", erzählt Mandel. Als Ausgleich hat er einen Tag in der Woche frei, außerdem stehen ihm 30 Urlaubstage und ein monatliches Taschengeld zu.
Grundgerüst der Tage in Sant'Anselmo sind aber auch für Mandel die Gebetszeiten der Mönche – von der Laudes um 6.20 Uhr über das Mittagsgebet und die Vesper bis zur Komplet um 20.30 Uhr. "Als Volontäre sind wir fester Bestandteil der Hausgemeinschaft und haben die Möglichkeit, jedoch nicht die Pflicht, alle Gebetszeiten mitzufeiern. Auch liturgische Dienste als Ministrant oder Lektor können wir übernehmen", so der 24-Jährige.
Mandels Zwischenbilanz nach einem guten halben Jahr "Klosterzeit" fällt positiv aus. So habe er in seiner bisherigen Zeit in Rom in internationaler Atmosphäre bereits einen "sehr guten Einblick in den Klosteralltag und das facettenreiche Leben der Benediktiner" erhalten. Neben seinen klösterlichen Pflichten nutzt er das Jahr in Rom zudem noch für andere Aktivitäten. Er hat Italienisch gelernt, besucht Vorlesungen an der Hochschule der Benediktiner – und genießt nebenbei auch "la dolce vita" mit Besichtigungen in Rom, "wunderbarem italienischen Eis", Kaffee und Fahrten ans Meer.
Mehr Möchsnachwuchs dank der "Klosterzeit"?
Doch was erhoffen sich eigentlich die Benediktiner von ihrem Projekt? Etwa mehr Mönchsnachwuchs? Pater Thomas winkt ab. Primäres Ziel sei es, jungen Menschen ein spannendes Angebot für eine Auszeit zu machen. "Wenn jemand diese Auszeit nutzen will, um seine Berufung zu prüfen, oder wenn jemand während seiner 'Klosterzeit' merkt, dass er sich einen solchen Weg für sein ganzes Leben vorstellen könnte, dann ist das natürlich auch schön." Die Motive der bisherigen Teilnehmer seien ganz unterschiedlich. "Alle aber nehmen gewiss etwas mit für ihr weiteres Leben, was das auch immer ist", so der Ordensmann. Zwei Teilnehmer, die das Programm bereits abgeschlossen haben, hätten etwa einhellig erklärt, dass sie nach dem Ende ihrer "Klosterzeit" unbedingt etwas vom klösterlichen Rhythmus und von der beruhigenden Regelmäßigkeit des Mönchslebens in ihr "normales" Leben hinüberretten wollten.
Ähnlich äußert sich auch Tobias Mandel. "Die Teilnahme am Projekt kann sicher der Berufungsprüfung dienen oder sogar ein erster Schritt hin zu einem Leben im Kloster sein." Er selbst will jedoch einen anderen Weg gehen: "Bis Mitte Juli werde ich noch in Sant'Anselmo sein. Anschließend möchte ich mein Theologiestudium beenden und in der kirchlichen Seelsorge tätig werden."