"Die deutschen Bischöfe sind sehr besorgt"
Frage: Herr Bischof, die EKD präsentiert in ihrer "Orientierungshilfe" ein neues Leitbild von Familie. Ist dieses auch für die katholische Kirche ein Leitbild?
Tebartz-van Elst: Nein, das ist es nicht. Die deutschen Bischöfe sind sehr besorgt darüber, wie hier in einem offiziellen Text des Rates der Evangelischen Kirche eine Relativierung der lebenslang in Treue gelebten Ehe erfolgt. Glaubt man denn nicht mehr daran, dass lebenslange Treue möglich ist? Die katholische Kirche vertritt die Überzeugung, dass die Ehe zwischen Mann und Frau ein Sakrament ist.
Ehefrau und Ehemann in ihrer sakramentalen Gemeinschaft bilden in ihrer Liebe den Bund Gottes mit den Menschen ab. Das drückt sich auch darin aus, dass diese Gemeinschaft offen ist auf Nachkommenschaft hin - auch das ist ein Wesensmerkmal christlich gelebter Ehe und Familie.
Frage: Welche Aussagen des Textes halten Sie für besonders problematisch?
Tebartz-van Elst: Zunächst die Tatsache, dass hier die genannte Relativierung stattfindet. Problematisch ist auch, dass der Orientierungshilfe des Rates der EKD ein sehr einseitiger Gerechtigkeitsbegriff zugrunde liegt: Er ist sehr formal und verstärkt sozialethisch und nicht individualethisch ausgerichtet.
„Familie aber ist viel mehr als nur die Verteilung von Verantwortungslasten.“
Familie aber ist viel mehr als nur die Verteilung von Verantwortungslasten. Eine solche Sichtweise unterschlägt die Bedeutung dessen, was man füreinander ist und sein kann. Der Einzelne kann und darf das ihm eigene in die eheliche Gemeinschaft und die Familie einbringen, worin dann auch gemeinsame Entwicklung möglich wird. Darum ist nach dem Verständnis der katholischen Kirche gerade die lebenslange Treue der Ehepartner auch ein Abbild der Treue Gottes zu uns Menschen.
Frage: Gibt es auch Ansätze im Text, die Sie begrüßen und für weiterführend halten?
Tebartz-van Elst: Es ist positiv zu bewerten, dass die Arbeitshilfe sieht, dass der Beitrag der Familien zu unserer Gesellschaft ausdrücklich gewürdigt werden muss und auch politisch mehr Unterstützung verdient. In diesem Anliegen sind wir beieinander.
Frage: Stellt die Orientierungshilfe eine Belastung für die Ökumene dar?
Tebartz-van Elst: Es bereitet mir Sorge, dass wir gerade im Blick auf Ehe und Familie offensichtlich immer weiter auseinanderliegende Überzeugungen haben. Ich erinnere daran, dass sich dies mittlerweile auch in bioethischen Fragestellungen zeigt - etwa als es um den Import embryonaler Stammzellen ging. Im ökumenischen Gespräch miteinander gilt es nun umso mehr, all diese Themen aufzugreifen und sie auf der biblischen Grundlage zu vergewissern. Nur so können wir zu gemeinsamen Standpunkten kommen. Es ist für unsere Gesellschaft von großer Bedeutung, dass Ehe und Familie gestützt werden - gerade auch im Sinne einer Ermutigung und Unterstützung zur lebenslangen Treue.
Im Neuen Testament gibt es eine Fülle von ermutigenden Zeugnissen, die uns diese Richtung weisen. Als Christen sollten wir dieses Zeugnis in unserer Gesellschaft auch gemeinsam vertreten. In diesem Zusammenhang nehme ich wahr, dass christlich gelebte Ehe und Familie offensichtlich immer mehr zu einem kontrastierenden Lebensentwurf werden. Das war in der frühen Kirche ähnlich und hat ihr eine missionarische Anziehungskraft gegeben. Denn die Sehnsucht - gerade auch junger Menschen - nach Grundlagen und Überzeugungen für eine verlässliche Treue ist auch heute groß.
Das Interview führte Norbert Zonker (KNA)